Hamburg. Anders als Berlin hat Hamburg wenig Probleme mit Clans. Im Fall des Bohrer-Einbruchs bei der Haspa gibt es hier nun aber einen Clan-Bezug.

Als Anfang März Einsatzfahrzeuge der Polizei auf der Wilstorfer Straße im Stadtteil Harburg vorfuhren, um einen Kiosk zu durchsuchen, führte die Spur ins Clan-Milieu. Nach Erkenntnissen von Ermittlern hatten Angehörige einer Großfamilie dort Zigaretten verkauft, die im großen Stil aus dem Zen­trallager einer Supermarktkette gestohlen worden waren, in dem sich Angehörige des Clans hatten anstellen lassen.

Es ist einer der wenigen Hamburger Fälle dieser ganz besonderen Form der Kriminalität, die vornehmlich durch Groß­familien aus dem arabischen Raum dominiert wird.

Anders als in Berlin, Bremen oder Nordrhein-Westfalen ist Clan-Kriminalität, die sich durch einen stark überhöhten familiären Ehrbegriff, große Gewaltbereitschaft oder eine Paralleljustiz auszeichnet und der organisierten Kriminalität zugerechnet wird, in Hamburg kein sichtbares Thema.

Die typischen Erscheinungsformen – Dominanz in Straßenzügen oder ganzen Vierteln, auch gegenüber der Polizei und Behörden – sucht man in Hamburg vergeblich.

Clan-Kriminalität: OK-Ermittler erklärt "Hamburger Polizei-Modell"

„So etwas haben wir hier nicht“, sagt Helge Hinrichs, stellvertretender Leiter der Abteilung gegen Organisierte Kriminalität. Warum das so ist? Das liege unter anderem an der damaligen Verteilung von Zuwanderern. Die Angehörigen der berüchtigten Clans Abou-Chaker, Rammo oder Miri stammen aus dem Libanon.

In Hamburg sind diese Landsleute nicht so stark vertreten. Andererseits, sagt Hinrichs, habe man die Gewohnheiten und die Haltung, die die besondere Dominanz dieser Familien ausmachen, in Hamburg nicht zugelassen. Dazu gehört vor allem die sichtbare Ablehnung des deutschen Staates und seiner Gesetze.

Man habe hier in Hamburg zwar auch Gruppierungen, die mit ihren Autos und der Rolex am Handgelenk rumprotzen. Man stehe diesen Gruppen aber „ständig auf den Füßen“. Läuft etwas aus dem Ruder, werde das laut Hinrichs „im Keim erstickt“. Selbst bei den berüchtigten Hochzeitskorsos, bei denen aus PS-starken Autos schon mal in die Luft geschossen werde, greife man sofort ein.

Kurdische Clans teilten Heroingeschäft unter sich auf

Die Wurzeln dieses Vorgehens liegen schon Jahrzehnte zurück. Anfang der 1990er-Jahre waren es drei kurdische Clans, die das damals unglaublich lukrative Heroingeschäft unter sich aufgeteilt hatten. Das heutige typische Clan-Gehabe war ihnen fremd.

Es ging darum, Geld zu verdienen. Die Einnahmen wurden zum Großteil in die Türkei transferiert. Die Polizei reagierte mit zwei „Kurden-Sokos“, die gezielt gegen die Gruppierungen vorgingen. Die Soko „983“ führte in den zweieinhalb Jahren ihres Bestehens 207 Verfahren gegen 241 Beschuldigte durch, bevor sie 2001 aufgelöst wurde.

Bereits 1995 hatte die Polizei eine Eingreiftruppe aufgestellt, „KOSTA“ genannt. Sie ging gezielt gegen Albaner vor, die durch rücksichtslose Straf­taten und intensive Bewaffnung aufgefallen waren.

Clan-Kriminalität jahrelang ignoriert?

Hamburg als Stadtstaat hat bei diesem Vorgehen „gute Karten“. Die Polizeidichte ist groß. Schnell ist genügend Verstärkung vor Ort, um jede Situation schnell kontrollieren zu können. Dazu hat man einen weiteren Vorteil. Die Ermittlungen gegen die organisierte Kriminalität und die Strukturanalyse liegen in einer Hand. So habe man einen besseren Blick auf die Entwicklung.

Warum das in Berlin und Bremen nicht geklappt hat, erzählt man bei der Polizei nur hinter vorgehaltener Hand. Die Clans wurden dort, teilweise politisch gewollt, über Jahre ignoriert. Man ließ sie einfach gewähren. Mittlerweile hat sich diese Einstellung geändert.

In Berlin beispielsweise geht man mit der Taktik der „1000 Nadelstiche“ gegen Clans vor. „Wir hatten die Befürchtung, dass sich die Familien in Richtung Hamburg orientieren“, sagt Hinrichs.

Das sei aber nicht passiert. Die Berliner Clans blieben in „ihrem Kiez“. Was auch in Kreisen der Sicherheits­behörden bekannt ist: Die Gefängnisaufenthalte sollen dort für Clan-Mitglieder angenehmer als woanders sein. So bemühten sich beispielsweise die Anwälte einsitzender Mitglieder des Rammo-Clans mehr um eine Verlegung einsitzender Mitglieder von Brandenburg nach Berlin als um einen Freispruch.

Ohnehin ist ein Gefängnisaufenthalt in der Clan-Karriere fest einkalkuliert. „Es ist wie ein Ritterschlag“, so ein Beamter. Gleichzeitig – auch das zeichnet Clan-Kriminalität aus – wird für die Angehörigen der Einsitzenden auskömmlich gesorgt.

Erkenntnisse aus EncroChat: Jeder macht mit jedem Geschäfte

Ganz außen vor ist Hamburg bei der Clan-Kriminalität allerdings nicht. Dafür ist die Stadt und das Umland zu attraktiv. So soll es bei dem Kernbohrer-Coup, bei dem im August in Norderstedt die Schließfächer der dortigen Haspa-Filiale Ziel waren, Bezüge zum Clan-Milieu geben. Bei den Taten und krummen Geschäften in der Hansestadt geht es rein um das Geld.

In Hamburg hat sich eine schwer kriminelle Szene entwickelt, die weggeht von ethnischer Abschottung. Erkenntnisse haben sich insbesondere durch die EncroChat-Verfahren ergeben, die der Polizei einen nie da gewesenen Einblick in die großen Drogengeschäfte gegeben haben. Eine wichtige Erkenntnis: Jeder macht mit jedem Geschäfte.

Clan-Kriminalität: Fast 400 Fälle im Bereich Lüneburg

Zu sehen ist es derzeit vor allem an der Wils­torfer Straße, die man bei der Abteilung Organisierte Kriminalität, „im Blick hat“, wenn es um Clan-Kriminalität gehe. Bezeichnenderweise wurde der Einsatz an dem Kiosk von Niedersachsen aus geführt.

Dort sieht es schon wieder ganz anders aus: 1951 Straftaten, die als Clan-Kriminalität eingestuft werden, hat man dort vergangenes Jahr bearbeitet. Fast 400 Fälle wurden allein bei der Polizeidirektion Lüneburg bearbeitet, die südlich an Hamburg grenzt.