Hamburg. Plätze fast ausgereizt. Mehr als die Hälfte der Inhaftierten hat keinen deutschen Pass. Hoher Krankenstand bei Justizvollzugsbeamten.
Die Lage in den Hamburger Gefängnissen bleibt angespannt. Ende September saßen in den sechs Haftanstalten 1877 Männer und Frauen hinter Gittern. Die Gesamtkapazität des Justizvollzugs liegt derzeit bei 2213 Haftplätzen, von denen 84,8 Prozent belegt sind. Das hat die Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Justizpolitikers Richard Seelmaecker ergeben.
Im Strafvollzug gilt eine Auslastung von 85 bis 90 Prozent bereits als Vollbelegung. Mindestens zehn Prozent der Haftplätze müssen nach Einschätzung von Experten als erforderliche Reserve frei gehalten werden, um kurzfristig Gruppen von Häftlingen trennen und auf Unvorhergesehenes reagieren zu können. Besonders prekär ist die Situation in der Untersuchungshaftanstalt, in der 455 der 482 Plätze belegt waren. Das entspricht einer Auslastung von 95 Prozent.
Justiz: 316 Gefangene in „Santa Fu"
In Hamburgs größtem Gefängnis, der Justizvollzugsanstalt (JVA) Billwerder, sieht es nur wenig besser aus: Von den 772 Haftplätzen waren Ende September 677 belegt – 87,5 Prozent. Im geschlossenen Vollzug der Sozialtherapeutischen Anstalt waren 90,6 Prozent der 181 zur Verfügung stehenden Haftplätze belegt. Etwas niedriger ist die Belegungsquote im offenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt Glasmoor mit 83,4 Prozent der 206 Plätze.
In Hamburgs berühmtestem Gefängnis in Fuhlsbüttel mit dem „Santa Fu“ genannten Sternbau saßen 316 Gefangene ein. Das entspricht einer Auslastung von 84 Prozent. Auffällig ist, dass insgesamt 113 Frauen und Männer zur Verbüßung sogenannter Ersatzfreiheitsstrafen hinter Schloss und Riegel saßen, weil sie die ihnen auferlegte Geldstrafe nicht bezahlen konnten.
3115 Menschen per Haftbefehl gesucht
Die Antwort des Senats auf eine weitere Kleine Anfrage Seelmaeckers hatte im September zudem ergeben, dass 3115 Menschen in Hamburg per Haftbefehl gesucht werden. In 2527 Fällen beziehen sich die Haftbefehle auf verurteilte Straftäter, die ihre Strafe nicht angetreten oder bezahlt haben.
Laut der Senatsantwort auf die aktuelle CDU-Anfrage hat die Mehrheit der Inhaftierten keinen deutschen Pass. Ende September waren 1044 der 1877 Gefangenen Ausländer. Das entspricht einer Quote von 55,6 Prozent. In der Untersuchungshaftanstalt ist der Anteil ausländischer Gefangener mit 68 Prozent am höchsten. Überdurchschnittlich hoch ist ihr Anteil auch in der JVA Billwerder mit 58 Prozent.
Hoher Krankenstand bei Justizvollzugsbeamten
Die Senatsantwort weist auch die Belastung der Justizvollzugsbediensteten aus. Danach schoben die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im August mehr als 80.625 Mehrstunden vor sich her. Der Wert sank im September geringfügig auf 77.900 Stunden. Nach Angaben des Senats wurden von Anfang Juni bis Ende September 6556 Mehrstunden durch Freizeitausgleich und 394 Stunden durch Auszahlung abgebaut.
Die Fehlzeiten infolge von Krankmeldungen erreichen Werte, die für den öffentlichen Dienst insgesamt ungewöhnlich hoch sind. Bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Allgemeinen Vollzugsdienstes (AVD), die für die Betreuung und Versorgung der Gefangenen sowie die Sicherheit und Ordnung zuständig sind, lag die Fehlzeitenquote im Juli (aktuellere Zahlen gibt es nicht) insgesamt bei 11,4 Prozent. Besonders hoch waren die Ausfälle in der JVA Fuhlsbüttel mit 15,1 Prozent.
Mitarbeiter haben zahlreiche Überstunden
Die zuständige Behörde für Justiz und Verbraucherschutz verzeichnet insgesamt 73 Langzeiterkrankungen (mehr als 75 Tage durchgehend) bei den Justizvollzugsbediensteten. Eine Folge der Fehlzeiten kann darin bestehen, dass die vorgesehenen Sollstärken der Schichten in den Justizvollzugsanstalten nicht erreicht werden. In den beiden Wochen, beginnend mit dem 6. September, die Seelmaecker exemplarisch abgefragt hatte, waren 139 Schichten in den sechs Haftanstalten nicht mit der vorgeschriebenen Zahl von Mitarbeitern besetzt.
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„Seit Jahren vernachlässigt die grüne Behördenspitze unsere Mitarbeiter im Justizvollzugsdienst. Zuletzt schoben die Mitarbeiter fast 80.000 Mehrstunden vor sich her. Das zeigt die dauerhafte Überlastung“, kritisierte Seelmaecker. Das Unterlassen der Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) sei darüber hinaus zudem auch sicherheitsgefährdend. „Es werden regelhaft nicht die notwendigen Mindeststärken in den Gefängnissen sichergestellt. Das ist unverantwortlich. Wir fordern, endlich die Attraktivität des Berufes zu steigern, die Mehrstunden auszuzahlen und den Mitarbeitern die Wertschätzung entgegenzubringen, die sie verdienen“, sagte der CDU-Politiker.
Justiz: Belastendes Klima in Hamburgs Gefängnissen
Laut Senatsantwort wurden seit Beginn des Jahres 38 Tätlichkeiten von Gefangenen gegen Bedienstete registriert. In 71 Fällen kam es zu Übergriffen von Gefangenen auf Mithäftlinge. Die Justizvollzugsbediensteten mussten in 140 Fällen „unmittelbaren Zwang“ anwenden, also unter anderem körperliche Gewalt einsetzen, um Konflikte zu befrieden oder zu entschärfen.
Auf das belastete und belastende Klima hinter Gittern weist auch eine weitere Zahl hin: Seit Januar 2021 haben die Justizvollzugsbediensteten 447 Verdachtsfälle strafbarer Handlungen von Gefangenen registriert. Die Senatsantwort weist allerdings nicht aus, um welche Deliktformen es dabei ging. Besonders häufig gab es den Verdacht strafbarer Handlungen in der JVA Billwerder mit 173 Fällen sowie der Untersuchungshaftanstalt mit 110 Fällen.