Hamburg. Ein Simulator im Internationalen Maritimen Museum bietet echte Bedingungen für die Fahrt mit einem Containerschiff – ein Selbstversuch.
Gar nicht so leicht, den Ozeanriesen flussaufwärts auf Kurs zu halten: Zwischen Blankenese und Teufelsbrück droht das Containerschiff ins Schlingern zu geraten. Ein Desaster, wenn man ein paar Tausend Container an Bord hat. Und wenn der Bremsweg mehr als einen Kilometer beträgt. Steuerbords blockiert ein auf Grund gelaufener Havarist das Fahrwasser. Außerdem stören entgegenkommende Frachter und Schlepper die Elbpassage.
In dieser brenzligen Situation gilt es Nerven zu bewahren. Vielleicht war es doch nicht so schlau, den Hebel im Steuerstand bei knapp zwölf Knoten weiter nach vorne zu legen. Volle Fahrt voraus. „Achtung!“, mahnt der Lotse. „Sog und Wellenschlag vermeiden.“ Andernfalls brechen Leinen, werden Boote von der Pier gerissen, könnten Bunkerschläuche reißen. Von einer Kollision ganz zu schweigen.
Schiffe können per Knopfdruck gestoppt werden
Es ist schweißtreibende Arbeit auf Deck eins des Internationalen Maritimen Museums in der HafenCity. Der Schiffsführungssimulator dort ist so echt gestaltet, dass man denkt: Junge, du stehst tatsächlich ganz oben auf der Kapitänsbrücke. Und unter dir brummt mit bäriger Kraft eine Maschine groß wie ein Dreifamilienhaus.
Bevor es am Köhlbrand im Hamburger Hafen aber richtig zur Sache geht oder gar zur Kollision kommt, legt die 294 Meter lange und gut 32 Meter breite „Tokyio Express“ eine Pause ein. Was in der realen Schifffahrt natürlich ein Ding der Unmöglichkeit ist, schafft Rüdiger Gutjahr mit links. Spielerisch. Per Mausklick stoppt der erfahrene Kapitän auf großer Fahrt das Computerprogramm.
Rüdiger Gutjahr steuerte selbst Containerschiffe
Zeit zum Klönschnack auf der Kommandobrücke. Rüdiger Gutjahr kann niemand Seemannsgarn oder Döntjes vom Klabautermann erzählen. Der gebürtige Franke, seit Jahrzehnten in der Hansestadt zu Hause, steuerte bis 1996 eigenhändig Container- und Kühlschiffe über die Meere – davon zwölf Jahre für die Reederei Laeisz, ebenfalls für Rickmers. Weltweit. Hamburg bis Busan in Südkorea und zurück. Tokio, Hongkong und so weiter, alles abgehakt. Anschließend war der heute 65-Jährige als Elblotse im Einsatz.
Nach dem Ruhestand 2008 heuerte er im Maritimen Museum an. Der verstorbene Gründer Peter Tamm, dessen gleichnamiger Sohn das Vermächtnis lenkt, wurde auf Rüdiger Gutjahr aufmerksam. Männer seiner Kategorie, erfahrene Profis mit Herzblut und maritimer Seele, sind genau die Spezies Seebär, um einem neuen Projekt Fahrt zu verleihen: 2013 ging der Schiffssimulator im Kaispeicher B an den Start. Gebaut wurde die Anlage von Rheinmetall.
Simulator war ein Geschenk von Hapag-Lloyd
Dem Museum wurde sie von Hapag-Lloyd geschenkt. Rund 50.000 Hamburger und auswärtige Besucher versetzten sich seitdem in die Lage, als Hobbykapitäne Verantwortung am Ruder zu übernehmen. Im Juli 2017 standen Prinz William und seine Kate neben dem damaligen Bürgermeister Olaf Scholz und Peter Tamm jr. am Steuerrad. Die technische Einweisung erfolgte damals vom Hapag-Kapitän Hans Trey sowie Rüdiger Gutjahr. Inzwischen gab der heute 85-jährige Trey das Kommando an seinen Freund Gutjahr ab.
Das ausgeklügelte Programm ist eine digitale Wundertüte. 30 verschiedene Schiffe stehen zur Auswahl, ebenso viele Fahrgebiete und Häfen. Der Con-tainerriese „Tokyo Express“ ist auch wegen des containerbeladenen Vorschiffs beliebt. Als Versuchskapitän guckt man nicht nur auf Wellen. So wie bei einem der eingespeicherten Kreuzfahrtschiffe. „Der Atlantik ist stinklangweilig“, weiß Kapitän a. D. Gutjahr. Weil jede Menge Wasser – und sonst nichts. Spannender anzusteuern sind Städte wie Rotterdam, St. Petersburg, Singapur – und selbstverständlich Hamburg, Heimathafen des Maritimen Museums.
Hamburger Elbkulisse wirkt täuschend echt
Auf fünf Monitoren wirkt die Elbkulisse täuschend echt. Der Wedeler Yachthafen ist zu sehen, das Treppenviertel in Blankenese, Finkenwerder, die Köhl-brandbrücke, der Burchardkai, Alten-werder. Richtfeuer, Tonnen und Hafen-anlagen säumen den Weg. Museumsbesucher, die auf große Fahrt gehen möchten, können im Voraus Tickets für den Simulator buchen. Mittwochs und sonntags heißt es um zwölf sowie 14 Uhr: „Leinen los!“. Fünf Euro kostet das Vergnügen in der Gruppe, zusätzlich zum Eintritt. Wer im Freundeskreis, mit der Firma oder zum Geburtstag auf die Brücke treten will, zahlt 90 Euro pro Stunde.
In der Regel stehen den Besuchern zwei erfahrene „Erklärbären“ zur Seite. Zwar sind 30 Ehrenamtliche im Team, dennoch wird Nachwuchs gesucht. „Bezug zur Schifffahrt ist kein Muss“, weiß Rüdiger Gutjahr. Dagegen seien Begeisterung für Technik und ein kommunikatives Naturell vorteilhaft. Wer gut schnacken kann, hat mehr zu sagen. Wie im tatsächlichen Bordleben eben.
Schiffsfahrt verläuft in Echtzeit
Der Rundblick auf der Brücke auf Decks eins umfasst 180 Grad. Wetterverhältnisse, Windstärke und Geräuschpegel können individuell eingestellt werden. Die Fahrt verläuft in Echtzeit. Allerdings können „langweilige“ Strecken ausgespart werden. Sonst dauert der Spaß stundenlang. Zum realitätsnahen Umfeld gehören neben Bildschirmen mit jeder Menge Daten, einem Bullauge mit Blick zur Brückennock, dem Steuerpult, Maschinentelegraf und Kreiselkompass auch Hebel für die Bug- und Heckstrahlsteuerung.
Wer mag, betätigt das Typhon, ein akustisches Signalgerät. Bevor wir mit der „Tokyo Express“ das Containerterminal Altenwerder ansteuern, erzählt Gutjahr mehr über seine maritime Passion. Der diplomierte Wirtschaftsingenieur für Seeverkehr engagiert sich auch für historische Barkassen.
Gutjahr engagiert sich für Schiffe
Beispiele sind das 1937 gebaute Inspektionsboot „Süderelbe“ und das Bauleiterboot „Stickersgatt“. Beim Hafengeburtstag oder Paraden der Traditionsschiffe ist Gutjahr auf dem Wasser mittenmang. Daheim in Rissen gibt es nicht nur Seekisten, einen Rettungsring, Schiffsmodelle und eine maritime Bibliothek, sondern sogar eine Lotsenleiter an der Wand.
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„Ganz langsam“, kommandiert der Kapitän von achtern, als wir wieder auf die Bildschirme blicken. Das Tempo drosseln. Kurz vorm Ziel bloß nicht vom Kurs abkommen. Ein Segen, dass wir noch 3,50 Meter Wasser unterm Kiel haben.