Hamburg. Die Sansibar auf Sylt ist legendär. Ihr Chef Herbert Seckler erzählt Lars Haider von Existenzängsten und Schicki-Micki-Reichen.
Die Sansibar auf Sylt macht heute an einem schlechten (!) Tag so viel Umsatz, wie Herbert Seckler in seinem gesamten ersten Jahr als Unternehmer gemacht hat – und trotzdem steht der Chef manchmal nachts auf und checkt seinen Kontostand.
In der Reihe „Entscheider treffen Haider“ traf Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider Seckler in seinem legendären Weinkeller in den Dünen und führte ein Gespräch mit vielen Überraschungen: Es geht um Schicki-Micki-Reiche, um Katzen und Makrelen, um Rieslinge, die gut und geschäftsschädigend zugleich sein können – und um das Glück, auf Sylt zu leben.
Das sagt Herbert Seckler über …
… die Regel, dass man ihn auf dem Handy nicht vor zwölf Uhr anrufen darf:
„Bis zwölf Uhr gehöre ich der Familie, ab zwölf Uhr arbeite ich. Vorher brauchen wir Ruhe.“
… die Corona-Krise:
„Für mich persönlich war die Corona-Krise gar nicht so schlimm. Ich hatte im ersten Lockdown schöne drei Monate. Jeden Tag schien die Sonne, ich saß jeden Tag oben zusammen mit meiner Frau in der Sansibar, keine Menschen, kein Nichts. Das war auch mal ein anderes Erlebnis. Ich mache das hier 43 Jahre und hatte ja nie geschlossen. Mir hat die Arbeit eigentlich nicht gefehlt, ich habe mich da sehr schnell dran gewöhnt und einfach meinen alten Rhythmus beibehalten. Meine Frau und ich sind gegen zwölf Uhr gekommen und wieder gegangen, wenn es kalt wurde. Ich will das jetzt alles nicht beschönigen, aber mir hat die Zeit nichts ausgemacht, ganz ehrlich. Ich bin hier oben auf Sylt glücklich, egal wie es ist. Was die wirtschaftliche Seite angeht: Wenn du mehr als vier Jahrzehnte so einen Laden machst, und kannst nicht mal ein paar Monate Lockdown überstehen, dann hast du irgendwann mal irgendwo etwas falsch gemacht.“
… das Glück, auf Sylt zu sein:
„Man kann fast stündlich beobachten, wie sich Menschen, die nach Sylt kommen, verändern. Sie bringen ihren Alltagsstress mit, aber wenn sie einmal am Strand waren, verschwindet der sehr schnell. Das ist schon toll hier, was die Insel mit einem macht, sie ist großartig. Für mich ist jeder Tag, den ich nicht auf Sylt bin, ein verlorener Tag. Deshalb verlasse ich die Insel auch so gut wie nie mehr. 2020 war ich komplett hier.“
… Schwaben und Sylter, Katzen und Makrelen:
„Ich bin Schwabe, und ich bleibe auch Schwabe, obwohl ich solange auf Sylt bin. Und meine Kinder sind auch Schwaben, obwohl sie erzählen, dass sie Sylter sind. Da habe ich eine gute Geschichte: Wenn eine Katze in einem Fischladen Junge bekommt, dann sind das keine Makrelen. Also sind meine Kinder Schwaben. Und auch sonst sind sie wie ich und wollen auf keinen Fall die Insel verlassen. Meine zweitälteste Tochter hat einen Freund aus Österreich und der wollte, dass sie dort hinzieht, aber das wollte sie nicht. Wenn man am Meer groß geworden ist, das kann man nicht wegwischen.“
… seinen Start auf Sylt und den Umsatz der Sansibar:
„Ich bin 1974 das erste Mal nach Sylt gekommen und hatte große Erwartungen. Ich kam mit dem Autozug, es war Ebbe und ich habe gedacht: Das soll das Meer sein? Ich habe damals zunächst im Moby Dick gearbeitet, als Kellner, später in einer Cocktail-Bar in Westerland, die einem einheimischen Gastronomen gehörte. Als der pleitegegangen ist, habe ich zunächst in Tinnum auf einem Campingplatz weitergemacht, was mir gar nicht gefallen hat. Und dann habe ich die Sansibar kaufen können, für 250.000 D-Mark. Ich war jung und dumm, und dachte, dass ich vier Monate aufmache, Pommes und belegte Brötchen verkaufe, im Winter Skifahren gehe und also ein schönes Leben habe. Das war nicht so. Ich habe im ersten Jahr 80.000 D-Mark Umsatz gemacht, das ist heute ein sehr schlechter Tag. Und ich sage jetzt nicht, was heute ein sehr guter Tag in der Sansibar ist, aber es ist um einiges mehr.“
… seine Existenzangst:
„Dass ich im Winter durchschlafen kann, weil ich mir keine wirtschaftlichen Sorgen mache, das ist maximal zehn Jahre her. Mehr als 30 Jahre habe ich jeden Winter geschwitzt, weil ich kein Geld hatte. Ruhig schlafe ich immer noch nicht. Ich stehe manchmal nachts auf und gucke meinen Kontoauszug an. So bin ich. Wir hatten einen Banker, der hieß Lehmann, bei der Commerzbank. Der hat mich morgens um acht Uhr angerufen, obwohl er wusste, dass ich lange arbeite, und gesagt: „Herr Seckler, da ist eine Überweisung mit 200 D-Mark, die können wir nicht durchlassen.“ Sie können sich gar nicht vorstellen, was das mit mir gemacht hat. Banker waren für mich Halbgötter, wie Ärzte, so bin ich erzogen worden im Schwabenland. Deshalb stehst du bei so einem Anruf senkrecht im Bett, weil man ein komisches Gefühl hat. Mir war das unangenehm und peinlich. Heute hört sich das alles mit der Sansibar toll an, aber ich bin durch eine komische Zeit gegangen. Die Existenzangst bleibt, die steckt so tief in dir drin, die kriegst du nicht wieder raus.“
… Kaufangebote:
„Es waren viel zu viele. Ganz früher kamen Interessenten und sagten: „Herr Seckler, wenn sie verkaufen, bekommen sie so und so viel.“ Und als ich zustimmte, wollten sie nur noch die Hälfte geben. Die vergangenen Jahre hätte ich nicht gewusst, was ich mit dem Geld aus einem Verkauf der Sansibar machen sollte. Und so richtig traue ich dem Geld auch nicht mehr…“
… den Vergleich mit Jürgen Gosch:
„Der Gosch ist ein Genie. Der hat unheimlich viel von sich aus Reklame macht. Sein System kann man vervielfältigen. Ich habe mir das auch mal eingebildet, aber das geht mit der Sansibar nicht, das ist unmöglich. Es laufen noch zwei Läden gut, in Stuttgart und in Düsseldorf. Und natürlich das Geschäft im Internet.“
… seine Erfolgsstrategie, die keine ist:
„Man muss das Glück haben, dass das, was man selber gut findet, möglichst viele andere Menschen auch gut finden. Ich habe nie eine Strategie gehabt, viel bei mir ist Bauchgefühl. Nicht ich entscheide oder ein Weinhändler, sondern nur die Kunden: Wenn die von einem Wein kein zweites Glas bestellen, wird er beim nächsten Mal nicht mehr eingekauft. Wenn die in Gerichten herumstochern, werden sie von der Karte genommen.“
… Mitarbeiter und eine einfache Regel:
„Ich achte sehr darauf, dass die gut drauf sind. Bisher hatten wir das Glück, dass wir unter einer Vielzahl von Menschen auswählen konnten, wen wir nehmen. Das ist im Moment schwieriger. Viele sind in andere Berufe gewechselt, aus der Gastronomie raus. Mein Ratschlag an alle Mitarbeiter ist immer derselbe: Mach die Augen zu und überlege dir, wie du an viel Trinkgeld kommst. Du kannst alles nachgeben, du kannst die Kinder verwöhnen, du kannst machen, was du willst. Denke nur immer daran, wie du möglichst viel Trinkgeld bekommst. Und die Gäste in der Sansibar geben viel Trinkgeld. Ansonsten stehe ich auf Typen als Mitarbeiter, deshalb uniformieren wir auch nicht.“
… die Wichtigkeit prominenter Gäste für die Sansibar:
„Wenn sie nett sind, sind sie wichtig. Wenn sie nicht nett sind, können sie auch wieder gehen. Die Leute, die was sind, die sind sehr höflich. Die Schicki-Micki-Reichen, die gibt es bei uns nicht. Wenn hier einer kommt und macht auf dicke Hosen, dann geht er wieder. Wir haben sehr, sehr reiche Gäste, aber die behandeln unsere Mitarbeiter mit Respekt, Anstand und sind zuvorkommend.“
… Weine und Rieslinge:
„Ich finde, dass man bestimmte Marken haben muss. Ich kann sagen, dass ich einen besseren Wein wie Rothschild habe, aber ich muss trotzdem den Rothschild im Angebot führen. Es gibt Tausende Weine auf der Welt, die gut sind, und das gilt auch für Deutschland. Heute ist es gar nicht so leicht, einen schlechten deutschen Wein zu finden, früher musste man gute suchen. Deutsche Rieslinge spielen weltweit in der Champions-League, aber in der Gastronomie sind sie schwierig zu verkaufen, zumindest bei mir in der Sansibar. Ein Riesling ist sehr kräftig und er hat Zucker, wenn ein Gast den bestellt, kauft er kein Dessert mehr. Von einem Weißburgunder oder Grauburgunder trinkt man drei Flaschen, von einem Riesling nur eine.“
… die legendäre Sansibar-Currywurst:
„Unsere Currywurst verbinden viele Menschen mit der Sansibar, weil es sie bei Air Berlin gab, und weil sie wirklich sehr gut ist. Es war eine andere Fluggesellschaft da, die sie auf ihre Speisekarte nehmen wollte, aber ich bin im Moment nicht sehr erpicht drauf.“
… vegetarische Speisen und Gäste:
„Wir haben viel gemacht mit vegetarischen Speisen, wir haben viel probiert. Aber es gibt vielleicht zwei Gäste am Tag, die sagen: Oh, wie toll, sie haben etwas Vegetarisches. Eine vegetarische Currywurst wird es nicht geben.“
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… den Tourismus auf Sylt:
„Als ich 1974 gekommen bin, gab es die Diskussion über den Tourismus auf Sylt schon. Die Insel lebt zu hundert Prozent vom Tourismus. Das muss den Menschen hier klar sein. Ich weiß nicht, was die da reden, ich habe das nie kapiert. Was stimmt, ist, dass die Insel nach Corona so voll ist wie nie zuvor. Es läuft besser denn je, die Hotels sind ausgebucht, und, und, und. Aber lass Corona vorbei sein, dann werden viele wieder nach Spanien, Österreich und anderswohin in den Urlaub reisen.“
… die Immobilienpreise auf Sylt:
„Sylt war immer teuer, und jedes Jahr wird das mehr. Viele haben Angst um ihr Geld und kaufen jetzt um jeden Preis Immobilien. Man kriegt ja kaum noch was gekauft hier oben, es gibt nichts mehr.“
… seine Kinder als Nachfolger:
„Meine Kinder sind noch ein bisschen zu jung, um den Laden allein zu machen. Ich bin da reingewachsen, Jahr für Jahr. Das ist schon eine andere Aufgabe für meine Kinder, die einen Laden übernehmen, der an schlechten Tagen soviel Umsatz macht wie ich im ersten Jahr. Meine Existenzangst hat mich immer angetrieben, das ist für Kinder, die nie Not gelitten haben, schwer zu verstehen.“