Hamburg. Teil 3 der Serie über den Verkehr der Zukunft: Mehr U-Bahn-Linien, S-Bahnen ohne Fahrer – der ÖPNV wird für die Region immer wichtiger.

Wer über die Mobilität der Zukunft redet, der hat – zumindest in großen Städten – immer auch den öffentlichen Personennahverkehr – kurz: ÖPNV – im Blick. Dieser steht in Hamburg vor neuen Herausforderungen, manche Veränderungen der nächsten Jahrzehnte zeichnen sich bereits konkret ab. So wird das U-Bahn-System ausgebaut und um eine neue Linie ergänzt, autonome Fahrzeuge werden eingesetzt und Ticketkäufe im Zuge der Digitalisierung einfacher.

Der rot-grüne Senat hat sich ein Ziel gesetzt auf dem Weg, die Dominanz des Autos zurückzufahren: So soll der Anteil der Wege, die mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, mit Shuttle-Service wie Moia, zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden, von 64 Prozent bis 2030 auf 80 Prozent steigen.

Verkehr in Hamburg: Baubeginn der U-Bahn-Linie 5

Ein erster Meilenstein für die weitere Entwicklung des ÖPNV steht Ende des Jahres 2021 an. Dann soll der erste Spatenstich für den Bau der neuen U-Bahn-Linie 5 erfolgen. Der erste, rund sechs Kilometer lange Abschnitt Ost liegt zwischen dem Bramfelder Dorfplatz und der City Nord – auf der Strecke sind fünf Haltestellen geplant.

Die Bauarbeiten werden Jahre dauern, der Testbetrieb mit Fahrgästen soll von 2027 an starten. Der zweite Abschnitt wird von der City Nord bis in die Innenstadt führen und von dort aus weiter bis zu den Arenen in Stellingen. Es wird bis Ende der 2030er-Jahre dauern, bis die gesamte rund 24 Kilometer lange Strecke fertiggestellt ist.

U 5 könnte 45.000 „Personenfahrten“ einsparen

Die Hochbahn, die verantwortlich für den Bau ist, geht von 270.000 Menschen aus, die täglich mit der U 5 fahren werden. Das Verkehrsunternehmen schätzt, dass durch die neue Linie etwa 45.000 „Personenfahrten“ mit dem Auto pro Tag eingespart werden können. Als Argument für den Umstieg vom Pkw auf die Schiene führt Hochbahn-Chef Henrik Falk die verkürzten Fahrzeiten an.

Die Verkürzung der Reisezeit sei eine der wichtigsten Entscheidungskriterien, um vom eigenen Auto auf den ÖPNV umzusteigen. Mit der U 5 sei es kein Verlust, den Pkw stehen zu lassen, sondern ein Gewinn. So sollen die Fahrgäste beispielsweise in 22 statt 37 Minuten von Steilshoop zur Universität gelangen. Oder von Allermöhe bis zum UKE – auf dem Gelände wird es eine eigene Haltestelle geben – nur noch 30 statt 42 Minuten brauchen.

U 5 soll alle 90 Sekunden fahren

Eine Premiere ist auch, dass auf der U 5 vollautomatische Bahnen ohne Fahrer eingesetzt werden sollen, um zu ermöglichen, dass hier alle 90 Sekunden zu Hauptverkehrszeiten eine U-Bahn fährt. Dafür wird die neue Fahrzeuggeneration DT 6 angeschafft. Die Ausschreibung startet 2022, voraussichtlich von 2026 an sollen die ersten Wagen – die auch als Ersatz für den DT 4 auf dem übrigen Streckennetz und dann mit Fahrer eingesetzt werden sollen – ausgeliefert werden.

Die Stadt hat hohe Erwartungen an ihre neue U-Bahn-Linie: Sie ist das größte Bauvorhaben innerhalb des ÖPNV seit Jahrzehnten. Allein für den ersten Abschnitt wird mit Baukosten von rund 1,8 Milliarden Euro gerechnet. Für die weitere Strecke soll die Kostenberechnung im Sommer 2022 erfolgen. Die U 5 habe einen „Nutzen für die ganze Stadt“, kündigt Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) an.

U 4 soll verlängert werden

Ein weiteres Großprojekt der Hochbahn befindet sich bereits im Bau, dafür sind Kosten von rund 465 Millionen Euro veranschlagt: Im Februar erfolgte der erste Spatenstich für die Verlängerung der U 4 auf die Horner Geest. Bislang bindet diese Linie die HafenCity an die Innenstadt an und fährt danach auf der Strecke der U 2 über die Haltestelle Horner Rennbahn weiter in Richtung Billstedt.

Ein gläserner Bahnhof direkt am Fluss: die Halteststelle Elbbrücken der Linie U 4. Gleich nebenan ist ein S-Bahnhof.
Ein gläserner Bahnhof direkt am Fluss: die Halteststelle Elbbrücken der Linie U 4. Gleich nebenan ist ein S-Bahnhof. © Marcelo Hernandez

Aber künftig wird die U 4 hinter der Station Horner Rennbahn in Richtung Nordosten ausfädeln und auf einer 2,6 Kilometer langen Strecke, die bis 2026 fertiggestellt sein soll, rund 13.000 Hamburger zusätzlich an das U-Bahn-Netz anbinden. Entlang der neuen Verbindung werden die Haltestellen Stoltenstraße und Horner Geest gebaut.

Auch S-Bahnen sollen digital gesteuert werden

Aber nicht nur die Hochbahn beeindruckt durch Großprojekte, auch bei der Deutschen-Bahn-Tochter S-Bahn Hamburg gibt es eine spektakuläre Neuheit. Eine Revolution der Bahntechnik und eine Europa-Premiere sei das, was auf der bestehenden rund 23 Kilometer langen S-Bahn-Strecke zwischen Berliner Tor und Bergedorf/Aumühle umgesetzt werde, sagt Kay Uwe Arnecke, Chef der S-Bahn Hamburg.

Die Rede ist vom Pilotprojekt „Digitale S-Bahn“. Auf der Strecke fahren vom 11. Oktober an vier hochautomatisierte S-Bahnen, die digital gesteuert werden. Die Züge sollen auch nach dem Ende des ITS Weltkongresses 2021, der vom 11. bis 15. Oktober in Hamburg stattfindet, eingesetzt werden.

Pilotprojekt „Digitale S-Bahn“ kostet 60 Millionen Euro

Drei Jahre wurde an dem Pilotprojekt gearbeitet, das rund 60 Millionen Euro gekostet hat. Der Abschnitt wurde technisch umgerüstet, damit das funkbasierte Zugsteuerungssystem European Train Control, mit dem die Strecke überwacht wird, dort eingesetzt werden kann. Außerdem wurde in die Züge das Automatic-Train-Operation-System eingebaut, welches den digitalen Betrieb ermöglicht. Es ist zwar noch ein Lokführer an Bord, der greift aber nur bei Störungen ein. Das Fahrzeug fährt selbstständig von Haltestelle zu Haltestelle und erkennt, wann die Türen geöffnet und geschlossen werden müssen.

Der Chef der Hamburger S-Bahn: Kay Uwe Arnecke.
Der Chef der Hamburger S-Bahn: Kay Uwe Arnecke. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services

Ohne Fahrer fährt der Zug dann vom Bahnhof Bergedorf die etwa ein Kilometer lange Strecke in die Abstellanlage. Arnecke nennt die Vorteile der digitalen S-Bahn: „Unsere Fahrgäste profitieren gleich dreifach. Mehr Platz in den Zügen, ein zuverlässigeres S-Bahn-Angebot und noch energieeffizienteres Fahren.“ Und die digitale S-Bahn soll auch Teil der Zukunft des Hamburger ÖPNV sein. Arnecke sagt. „Ziel ist es, das gesamte S-Bahn-Netz mit der Technik auszurüsten.“

„Der ÖPNV der Zukunft ist klimaneutral"

Unterdessen hat sich Mobilitätswendesenator Tjarks viel vorgenommen: „Der ÖPNV der Zukunft ist klimaneutral, komfortabel und flexibel. Bis 2030 sollen in Hamburg Busse und Bahnen ohne lokale Emissionen fahren. Gleichzeitig bauen wir das Schienennetz massiv aus und bringen es so noch näher an die Menschen ran.“ Alleine in den kommenden 20 Jahren werden 36 neue Bahnhöfe errichtet, kündigt Tjarks an.

Doch nur Busse und Bahnen reichen nicht aus: „Wir wollen dieses starke Netz gleichzeitig mit On-Demand-Shuttles ergänzen, sodass die Menschen den ÖPNV angepasst an ihre eigenen Bedürfnisse nutzen können. All das wird die Attraktivität des Nahverkehrs so steigern, dass die Nutzerzahlen zukünftig noch einmal deutlich über den heutigen liegen und wir so nachhaltig Klima und Verkehr entlasten“, kündigt Senator Tjarks an.

Wachsende Fahrgastzahlen bei Moia

Eines dieser Mobilitätsangebote auf Abruf ist zum Beispiel Moia. Die VW-Tochter hat mit ihren markanten goldfarbenen Elektrofahrzeugen seit dem Start im April 2019 rund 3,5 Millionen Fahrgäste in der Hansestadt befördert. Im Zuge der Corona-Lockdowns pausierte auch der Fahrservice zeitweise. Seit dem 1. Juni 2021 bietet Moia erneut allen Hamburgern und Touristen seinen Dienst an.

„Seit dem Neustart verzeichnen wir wieder stetig wachsende Fahrgastzahlen, zuletzt waren es im August rund 150.000 Kunden“, sagte Sprecherin Jenny Langfeldt. Und die Moia-Konzernmutter VW hat große Pläne. Von 2025 an sollen autonom fahrende Fahrzeuge, sogenannte Robotaxis, in Hamburg zum Einsatz kommen. „Hamburg wird als erste Stadt einen autonomen Ridepooling-Service mit einem ID. Buzz haben“, kündigte Moia-Chef Robert Henrich an.

Auch Hochbahn plant autonom fahrende Busse

Neben den bei VW in Osnabrück gefertigten aktuell eingesetzten Fahrzeugen wird Moia auch die nächste Generation des VW Bulli einsetzen. Der trägt den Namen „ID.Buzz“, wird vollelek­trisch angetrieben und soll 2022 auf den Markt kommen. Zuerst in einer Version, die nur von einem Fahrer gelenkt werden kann. Im Hintergrund aber laufen die Vorbereitungen dafür, den Bulli für das autonome Fahren hochzurüsten. Noch in diesem Jahr soll in der Nähe vom Münchner Flughafen eine Teststrecke in Betrieb gehen.

U-Hochbahn-Chef Henrik Falk.
U-Hochbahn-Chef Henrik Falk. © Andreas Laible / FUNKE Foto Services

Auch die Hochbahn setzt auf autonom fahrende Busse. Hochbahn-Chef Falk geht davon aus, „dass 2025 schon die ersten automatisierten Shuttles durch Hamburg fahren werden“. Wie das funktioniert, können die Hamburger bereits in der HafenCity kennenlernen. Denn dort fährt im Zuge des Pilotprojekts noch bis zum 24. Oktober der Heat (Hamburg Electric Autonomous Transport)-Bus. Das batteriebetriebene Fahrzeug fährt autonom, stoppt an fünf Haltestellen und wird im laufenden Verkehr eingesetzt. Allerdings ist hier noch ein speziell geschulter Betreuer an Bord, der bei Störungen eingreifen könnte.

Fahrpreise werden abends automatisch abgerechnet

Die Fahrpreise innerhalb des Verkehrsverbunds werden häufig als Tarifdschungel bezeichnet. Wer selten mit Bus oder Bahn unterwegs ist, für den ist es gar nicht so einfach, am Automaten oder über die HVV-App den richtigen Fahrpreis zu finden. Doch auch das soll sich von Oktober an ändern. Dann sollen die ersten Fahrgäste im Rahmen des ITS Weltkongresses das Check-in/Be-out-System mit dem Namen „hvv ANY“ in Bussen und Bahnen nutzen. Wie das funktioniert?

Die Fahrzeuge wurden entsprechend mit „beacons“ ausgestattet. Das sind Signalgeber, die mit dem Smartphone korrespondieren. Bevor man dann in den Bus oder die Bahn einsteigt, loggt man sich über die hvv-switch-App bei ANY ein, und beim Aussteigen wird der Fahrgast automatisch wieder ausgeloggt. Der Vorteil: Nach 24 Stunden wird automatisch je nach Anzahl der Fahrten der günstigste Tarif berechnet und abgebucht. Das heißt, der Fahrgast muss sich nicht mehr mit den oft etwas unübersichtlichen Tarifen beschäftigen.

Digitalisierung soll neue Zielgruppen erreichen

„Mit hvv switch machen wir einen weiteren großen Schritt zur Digitalisierung im ÖPNV. Wir zeigen damit, dass Bus- und Bahnfahren völlig unkompliziert ist. Damit wollen wir auch neue Zielgruppen erreichen, die wir dadurch gewinnen, weil sie sehen, dass der ÖPNV zum Lifestyle gehört. Und das ist nur der Anfang. Ziel ist es, über diese App nach und nach alle möglichen Verkehrsmittel buchen zu können. Egal, ob nun Carsharing, ein StadtRad oder einen E-Scooter“, sagt Hochbahn-Chef Henrik Falk.

Für CDU-Fraktionschef und Verkehrsexperten Dennis Thering steht fest: „Ein besonderes Augenmerk muss auf die sogenannte letzte Meile gelegt werden. Hier braucht es vielfältige, niedrigschwellige und vernetzte Angebote wie On-Demand-Shuttle und -Taxis, Leihfahrräder, E-Scooter oder Ähnliches im gesamten Hamburger Stadtgebiet und darüber hinaus, um eine zuverlässige und sichere Mobilität bis zur Haustür tatsächlich auch sicherzustellen.“

E-Scooter sorgten für viele Diskussionen

Vor allem die E-Scooter, in Hamburg gibt es diverse Anbieter, haben für Diskussionen gesorgt. Viele schätzen inzwischen, für kurze Strecke einfach solch einen Roller per App freizuschalten und dann an einem beliebigen Ort wieder abzustellen. Es gibt auch Zonen, vor allem in der Innenstadt, wo das Abstellen verboten ist. Kritiker sehen die Fahrzeuge, die nicht schneller als 20 Kilometer pro Stunde fahren als Gefahr an, vor allem wenn die Nutzer damit über Bürgersteige fahren.

Immer wieder kommt es zu Unfällen, an denen E-Scooter-Fahrer beteiligt sind. Aktuell sind auf Hamburgs Straßen laut Verkehrsbehörde rund 9000 E-Scooter im Betrieb. Während die E-Scooter-Anbieter erst seit Juni 2019 in der Hansestadt aktiv sind, ist das StadtRad längst ein Klassiker. Die Deutsche Bahn (DB)-Tochter war im Sommer 2009 gestartet, damals mit einer Flotte von rund 700 der roten Leihfahrräder und 68 Stationen. Jetzt, zwölf Jahre später, sind es mehr als 3300 Räder, und es gibt 273 Ausleihstationen. Das System soll weiter ausgebaut werden.

Verkehr in Hamburg: HVV ist die Dachorganisation

Wenn es um den ÖPNV in Hamburg geht, dann ist Verkehrsverbund (HVV) die Dachorganisation, insgesamt fahren innerhalb des HVV rund 25 Verkehrsunternehmen. Die städtische Tochter ist für alle Services, Angebotserweiterungen und die Fahrpläne verantwortlich. Und HVV-Chefin Anna-Theresa Korbutt kündigt an. „In den kommenden Jahren wird der HVV noch mehr Menschen einen noch einfacheren Zugang zu nachhaltigen Mobilitätslösungen bieten. Mit dem Hamburg-Takt, mit vielen innovativen Ideen, für die Mobilitätswende.“

Aber was ist der Hamburg-Takt, der bis 2030 eingeführt werden soll? Die Antwort darauf gibt Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD). „In der gesamten Stadt soll man dann vom frühen Morgen bis in die Abendstunden innerhalb von fünf Minuten ein öffentliches Nahverkehrsangebot erreichen können.“