Hamburg. Wie geben mächtige Ozeanwellen ihren Impuls an den Boden weiter? Eine Forscherin lauscht mit Sensoren und bekommt viele Informationen.

Schon 1920 kannte man an der Nordsee ein besonderes Verfahren, um vor Stürmen zu warnen. Ein Hamburger Seismometer zeichnete damals die Bewegungen der Erdkruste auf. Wenn die Ausschläge zunahmen, gab es Alarm: Womöglich näherte sich ein Sturm vom Atlantik her. Unsere Erdkruste wirkt stark und fest. Auf ihr stehen Gebäude, es fahren Züge und Brücken überqueren Flüsse und Täler.

Und doch ist der Untergrund stets ganz leicht in Bewegung. Als Seismologin am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) untersuche ich diese kleinen Erschütterungen, das seismische Hintergrundrauschen. Es entsteht etwa durch Verkehr oder Straßenbau. Ein Großteil wird jedoch durch Ozeanwellen erzeugt, die gegen den Meeresgrund drücken.

Hamburger Seismometer zeichnete Schwingungen auf

Dies kam schon vor hundert Jahren den Küstenbewohnerinnen und Fischern zugute. Dort wo der Sturm auf dem Atlantik tobte, entstanden stärkere Wellen, die den Meeresboden über das normale Maß hinaus in Schwingungen versetzten. Schneller als der Sturm selbst verbreiteten sich die Schwingungen in der festen Erde in alle Richtungen. So wurden sie auch auf dem Seismometer in Hamburg aufgezeichnet. Wurden die Ausschläge immer stärker, nahm der Sturm offenbar Kurs auf die Küste – und die Menschen im Landstrich konnten gewarnt werden.

Heute belausche ich die Erde mit viel feineren Sensoren und an verschiedenen Orten gleichzeitig. Wenn ich deren Signale vergleiche, erhalte ich wertvolle Informationen. Denn noch ist unklar, wie genau die mächtigen Ozeanwellen ihren Impuls an den Boden weitergeben. Wir wissen, dass dabei die Topografie eine Rolle spielt. Berge und Hügel oder Rinnen im Meeresboden erzeugen ein anderes seismisches Signal als ein flacher Untergrund. Auch die Richtung der Wellen ist wichtig.

Seismometer auf Helgoland installiert

Was die Nordsee betrifft, sind wir jetzt einen riesigen Schritt weiter. Auf der Insel Helgoland haben wir an mehreren Orten zusammen mit der Universität Kiel feine Seismometer installiert. Nutzen wir alle Sensoren zusammen, können wir in verschiedene Richtungen horchen. Lauschen wir in Richtung Atlantik, gibt uns die stets bewegte See rund um Grönland deutliche Signale. Horchen wir aber in Richtung Küste, finden wir erstmals ein ganz neues Muster. Eindeutig eine neue Quelle, die das seismische Signal hier stark beeinflusst: Ebbe und Flut.

Damit hatte niemand gerechnet. Bislang galten die Gezeiten auf relativ flachem Boden als unauffällig und ohne Effekt für die Schwingung der Erdkruste. Tatsächlich konnten wir das Signal überhaupt nur entdecken, weil wir auf höheren Frequenzen lauschten. Solche sind stets nur in der Nähe ihrer Quelle – in diesem Fall also relativ nah der Küste – zu hören. Tiefere Signale lassen sich dagegen auch aus weiterer Entfernung messen.

Seismologie auch relevant für die Klimaforschung

Mit Bausteinen wie diesem schlüsseln wir das Rauschen immer weiter auf. So lassen sich die vielen einzelnen Einflüsse, aus denen sich das Signal an einem Ort zusammensetzt, besser beziffern. Denn nur, wenn ich den seismischen Normalzustand einer Region verstehe, kann ich die interessanten Abweichungen in den Aufzeichnungen richtig interpretieren.

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So liefert mir die Seismologie auch ein spannendes Werkzeug für die Klimaforschung. Ich plane, die historischen Hamburger Aufzeichnungen der letzten hundert Jahre zu untersuchen. Hier schlummern Wetterereignisse, die noch kein Mensch und keine Wetterstation erfasst haben. Wie stark und wie häufig waren die Stürme damals – und verändern sie sich mit dem Klimawandel?

Prof. Céline Hadziioannou ist Geophysikerin am CEN und erforscht mit ihrer Arbeitsgruppe das seismische Grundrauschen mit ganz neuen Methoden.