Hamburg. 97 Wohnungen sind teilweise seit vielen Jahren unbewohnt, darunter auch Villen. Bezirk prüft in einem Fall die Zwangsvermietung.
Leichentuch oder Schutzhülle? Diese Frage stellt sich derzeit am Leinpfad. Seit etlichen Monaten ist die einst so schmucke, mehr als 100 Jahre alte Villa mit der Hausnummer 21 hinter weißen Planen verborgen. Bevor sie verhüllt wurde, bot sie jahrelang ein Bild des Jammers: die Fassade von Rissen durchzogen, die Fenster verrammelt, von der Veranda ein Stück Brüstung und die Treppe weggebrochen.
Seit mindestens zwölf Jahren steht die Backsteinvilla mit Blick auf den Alsterkanal mittlerweile leer. 2011 hatte ihr damaliger Besitzer, der Reeder Bertram Rickmers, dem Abendblatt auf Nachfrage zugesagt, sie originalgetreu sanieren und zu einem Wohnhaus für bis zu drei Parteien ausbauen zu wollen. Doch dem ist der Hamburger nie nachgekommen. Stattdessen verfällt das Haus, das mittlerweile schon mindestens einmal weiterverkauft wurde.
Damit ist die Villa am Leinpfad 21 eines der am längsten leer stehenden Gebäude in Winterhude, wo – wie das Bezirksamt Hamburg-Nord auf Abendblatt-Anfrage bekannt gab – in diesem Jahr bereits bei 97 Wohnungen ein gesetzeswidriger Leerstand ermittelt wurde. In vielen Fällen hat das Bezirksamt schon seit Jahren Kenntnis davon und versucht, die Eigentümer durch Zwangsgelder oder Geldbußen dazu zu bringen, den Leerstand zu beenden und die Wohnungen zu vermieten.
Leerstand: Bezirk lehnte Abbruch der Villa ab
Am Leinpfad sieht es nicht so aus, als ob die Sache schnell in Bewegung kommt. Einen Ende 2019 eingereichten Bauantrag für den Neubau eines Stadthauses hat der Eigentümer mittlerweile zurückgezogen, derzeit läuft ein Widerspruch beziehungsweise Klageverfahren gegen den Bezirk, der den Abbruch des Bestandsgebäudes (es gilt eine Erhaltungsverordnung) abgelehnt hat.
Dasselbe gilt für eine rosafarbene Villa an der Fährhausstraße. Dort wurde ebenfalls ein Bauantrag für einen Neubau zurückgenommen und gegen die Ablehnung des Abbruchs (des denkmalgeschützten Hauses) geklagt. Das Haus verwahrlost inzwischen zusehends.
Andreasstraße 25: Der Parkplatz als Hundeklo
Auch an der Andreasstraße 25 ist so etwas zu beobachten. Dort steht seit vielen Jahren eine Haushälfte aus der Gründerzeit leer. Der Gegensatz zu dem Nachbargebäude, mit dem es eine bauliche Einheit bildet, könnte größer nicht sein. Während Haus und Garten auf der einen Seite bestens gepflegt wirken, bröckelt nebenan der Putz von der Fassade, und das von Unkraut überwucherte Grundstück wird als Parkplatz und als Hundeklo missbraucht.
Im Internet findet sich zu der Adresse ein Eintrag aus dem Jahr 2013. Angeboten wurde ein WG-Zimmer im Erdgeschoss: 40 Quadratmeter für 700 Euro im Monat – befristet bis Ende Mai 2013. Danach, so heißt es in dem Inserat, werde das Gebäude kernsaniert oder abgerissen. Weder das eine noch das andere ist bisher geschehen. Die Nachbarn sind mittlerweile schwer genervt.
Politiker warnt vor "Unwesen" der Spekulanten
Mehrere von ihnen haben sich bereits an das Bezirksamt Hamburg-Nord gewendet, Jürgen Gietz hat dort sogar am 8. September Anzeige erstattet. „Das Bezirksamt weiß seit Jahren über den Leerstand Bescheid und hat mich darüber informiert, dass die im Wohnraumschutzgesetz vorgesehenen Maßnahmen bereits angewendet würden – ohne näher darauf einzugehen, welche das sind“, sagt Gietz. „Da diese aber nachweislich nichts gebracht haben, ist das Wohnraumschutz offensichtlich nichts weiter als ein zahnloser Papiertiger.“
Der CDU-Bezirksabgeordnete Philipp Kroll sagt: „Solange das Bezirksamt bei Leerstand und Zweckentfremdung einfach wegschaut bzw. nichts tut, werden die Spekulanten im Bezirk Hamburg Nord weiter ihr Unwesen treiben. Man kann sich nicht auf der einen Seite über Wohnungsmangel beklagen und auf der anderen Seite Leerstände und Zweckentfremdung dulden.“
Wohnungsleerstand: Bezirk gegen Senat
Tatsächlich teilte der Senat kürzlich in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU-Bürgerschaftsfraktion mit, dass der Bezirk Nord die Anzahl der Wohnungsleerstände „nicht in statistisch auswertbarer Form“ erhebe. Doch noch im vergangenen Jahr standen in Winterhude 146 Wohnungen leer, wie der CDU-Bezirksabgeordnete Kroll im Oktober 2020 vom Bezirksamt erfuhr.
Und auch Bezirksamtsleiter Michael Werner-Boelz sagt: „Das Bezirksamt hat immer wieder unter Beweis gestellt, das wohnraumschutzrechtlich unzulässige Zustände nicht hingenommen werden. Dabei ist die Verwaltung jedoch immer auf Handlungsmöglichkeiten nach Recht und Gesetz angewiesen.“ Wo das Gesetz diese Möglichkeiten nicht biete, müssten sie im Zweifel geschaffen werden – dies richte sich an den Gesetzgeber.
Bezirksamt machtlos gegenüber Eigentümern
Wie machtlos die Verwaltung im Umgang mit ignoranten Eigentümern ist, zeigt die Antwort auf eine Anfrage des CDU-Bezirksabgeordneten Kroll bezüglich der Andreasstraße 25 aus dem vergangenen Jahr. Darin verwies das Bezirksamt darauf, dass der Leerstand, der 2014 begonnen habe und mit einem „nicht näher konkretisierter Sanierungsbedarf“ begründet worden sei.
Da sich bei einer Besichtigung des Objektes eine Unbewohnbarkeit jedoch nicht bestätigen konnte, seien „Zwangsgelder erwirkt und in steigender Höhe erneut festgesetzt“ worden. Doch auch Bußgeldverfahren hätten den Eigentümer nicht motiviert, den Leerstand zu beenden. Auf Abendblatt-Anfrage teilte das Bezirksamt jetzt mit zu prüfen, ob ein Treuhänderverfahren eingeleitet werden könne. Dann würde der Treuhänder anstelle des Eigentümers eine Wohnnutzung wiederherstellen.
Insgesamt setzte das Bezirksamt von Januar und Oktober 2020 in Winterhude für zehn Objekte Zwangsgelder mit einem Gesamtvolumen von 1,23 Millionen Euro fest und verhängte zwei Geldbußen in Höhe von 32.750 Euro. Neben der Villa an der Andreasstraße waren auch Mehrfamilienhäuser am Jean-Paul-Weg und an der Sierichstraße betroffen Hier lässt der Investor HRP seit Jahren Dutzende Wohnungen leer stehen.