Hamburg. Der Milliardär im großen Abendblatt-Gespräch über die Bundestagswahl, den HSV und die Zukunft des Hamburger Hafens.
Mit seinem Einstieg bei Hapag-Lloyd hat der Milliardär und Wahlschweizer schon einmal entscheidende Weichen für den maritimen Standort gestellt. Nun will der gebürtige Hamburger Klaus-Michael Kühne die Hafenzusammenarbeit vorantreiben. Schon um 9 Uhr lädt der 84-Jährige das Abendblatt zum Gespräch in sein Hotel The Fontenay, der Tag ist durchgetaktet: Der Unternehmer ist nun wieder häufiger in der Hansestadt, nachdem er in der Pandemie eine längere Zeit auf Mallorca verbracht hatte.
Am vergangenen Mittwoch hat er mit seiner Frau den Saisonauftakt des NDR Elbphilharmonie Orchesters besucht, nun kümmert er sich um seine Hamburger Engagements. Zufrieden registriert er, dass sein Hotel ins Laufen kommt: Viele Gäste tummeln sich in der Lobby. Weit weniger zufrieden ist er mit der Entwicklung beim HSV – und im Hafen müsse sich auch etwas tun.
Ich bin überrascht, wie viel gerade in Ihrem Hotel los ist …
Klaus-Michael Kühne Seit dem 1. Juni haben wir wieder geöffnet – und es läuft erstaunlicherweise richtig gut. Wir spüren einen Nachholeffekt bei Reisen, auch viele Hamburger mieten sich bei uns ein. Wir hatten zuvor erhebliche Auslastungsprobleme, weil die Luxuskategorie weniger gefragt war und zu wenige Ausländer nach Hamburg kamen. Das ist nun viel besser geworden. Wir haben keine Vollauslastung, aber liegen bei rund 60 Prozent. Das ist der beste Sommer seit unserer Eröffnung.
Kommen wir noch einmal auf Corona: Die Schweiz hat anders als die Bundesrepublik auf die zweite und dritte Welle reagiert – sie hat stärker auf die Verantwortung der Menschen gesetzt, Deutschland eher auf Gebote und Verbote. Was finden Sie zielführender?
Die Schweizer Politik hat mir besser gefallen; manche Restriktionen in Deutschland fand ich merkwürdig und übertrieben, gerade hier in Hamburg. Aber die Politik ist von Ängsten getrieben und hat es nicht leicht. Ein Patentrezept in der Pandemie gibt es nicht. Ich kann mit allem leben, aber ein etwas freiheitlicher Kurs ist mir sympathischer. Als die Pandemie begann, stand die Welt kurz still.
Haben Sie da um Ihr Lebenswerk, um Kühne + Nagel, gefürchtet?
Ja, ich habe mir wirklich große Sorgen gemacht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Arbeit unter Pandemiebedingungen noch funktioniert – gerade bei unserer internationalen Vernetzung. Wir haben aber unser IT-System blitzschnell auf Homeoffice umstellen können, und die Mitarbeiter haben super mitgezogen. Da waren die größten Sorgen bald vorbei. Nach drei Monaten, ab Juni 2020, hat sich das Geschäft wieder normalisiert. Schon Ende des Jahres lagen wir dann wieder auf Vorjahresniveau – das hat meine Vorstellungskraft überschritten.
Ihre Beteiligung an Hapag-Lloyd hat gewaltig an Wert zugelegt und dürfte jetzt bei 10 Milliarden Euro liegen. Da sind Sie ein Krisengewinnler …
Das ist eigentlich erschreckend und ungesund. Diese Ausschläge beim Aktienkurs sind etwas erratisch. Aber das lässt mich relativ kalt: Wir haben nicht die Absicht, Hapag-Lloyd-Anteile zu verkaufen oder weitere Anteile zu erwerben. Ich halte die derzeitigen Notierungen für überzogen, wie im Übrigen die ganze Börse und den Kurs von Kühne + Nagel auch. In der Schifffahrt hat sich die Pandemie durch steigende Frachtraten massiv ausgewirkt. Man kann sich über den Wertzuwachs freuen, aber schauen wir mal, wie lange das so bleibt.
Haben Sie dem früheren Finanzsenator Wolfgang Peiner schon eine Flasche Schampus geschickt? Er hatte Sie doch 2008 vom Einstieg bei Hapag-Lloyd überzeugt.
Das war umgekehrt – ich hatte damals dem Senat deutlich gemacht, dass wir Hapag-Lloyd aus den Klauen der TUI befreien müssen. Damals ging es der Reederei schlecht. Die Rettungstat haben wir dann gemeinsam auf den Weg gebracht.
Die Stadt diskutiert, ob sie ihren Hapag-Lloyd-Anteil bei Kursen um 200 Euro nicht verkaufen und Kasse machen sollte.
Der Bürgermeister will nicht verkaufen. Die Stadt ist ein stabilisierender Faktor mit ihren 14 Prozent. Vielleicht reichen auch zehn Prozent, aber dieser Mindestanteil ist notwendig, um den Standort zu sichern. Auch wenn der Einstieg der Stadt ordnungspolitisch umstritten war, würde ich als Stadt nicht verkaufen. Die Zusammenarbeit funktioniert wirklich gut.
Wenn Sie nach Hamburg kommen, kümmern Sie sich dann vor allem um die Investments der Stiftung?
Da gibt es einiges zu tun. Für die Graduierten-Feier an der Kühne Logistics University habe ich nun eine virtuelle Ansprache gehalten. Mit der Universität bin ich sehr zufrieden: Sie hat sich auch in der Pandemie weiterentwickelt. Es sind uns keine Studenten weggelaufen, obwohl einige Austauschprogramme mit China oder den USA entfallen mussten. Die KLU erweitert ihren Horizont, forscht verstärkt zu Nachhaltigkeit, Seeverkehr und Luftfracht.
Wir wachsen jährlich um zwei bis drei Professorenstellen. Irgendwann werden wir aus unserem Gebäude in der HafenCity herauswachsen und in den nächsten drei Jahren sicher neue Flächen benötigen. Unter Umständen werden wir eine zweite Universität in ähnlicher Form in Fernost einrichten – oder mehrere Ableger schaffen, um die Internationalisierung voranzutreiben. Das wäre eine logische Folgerung – der Stiftung fließen ja derzeit wegen der hohen Dividenden viele Mittel zu. Die Stiftung ist sehr vermögend.
In der Kultur bleiben Sie ebenfalls engagiert?
Ja. Ich fördere seit Längerem die Elbphilharmonie und das Philharmonische Staatsorchester an der Oper. Das kam in der Pandemie etwas zum Erliegen, nicht alle Fördermaßnahmen griffen. Wir werden aber Hauptsponsor der Elbphilharmonie bleiben und haben uns gerade für die Zeit von 2022 bis 2024 verpflichtet. Meine Frau und ich sind auch privat sehr gerne in diesem wunderbaren Konzerthaus.
Als drittes Projekt finanzieren Sie in Hamburg ein Medizinprojekt, bei dem es um die Entschlüsselung des Erbgutes geht. Wie kam es dazu?
Ich hatte vor vier Jahren eine Herzoperation am UKE und kam in Kontakt mit Hermann Reichenspurner und Stefan Blankenberg. Wir kamen auf die Ursachen von Herzkrankheiten zu sprechen, ein Forschungsthema, das gut zu unserem Zentrum in Davos passt, dem zweiten Standbein der Stiftung. Daraus erwuchs dann die Kooperation mit dem UKE unter Einbeziehung des Universitätsspitals Zürich. Erste Zwischenerkenntnisse aus der Genomsequenzierung sollen noch in diesem Jahr vorliegen. Alle Beteiligten versprechen sich viel davon.
Können Sie sich weitere Engagements in Hamburg vorstellen?
Ja, durchaus. Ich bin vom UKE auf ein substanzielles Projekt angesprochen worden. Das befindet sich aber noch in der Prüfung.
Jahrelang haben Sie sich auch beim HSV engagiert, mit überschaubarem Erfolg …
Leider. Beim HSV wird herumgewurstelt wie eh und je, im vorigen Jahr setzte man auf ältere Spieler, die aus unterschiedlichen Gründen nach einem Jahr wieder abgewandert sind, jetzt will man der Jugend den Vorrang geben und verpflichtet zusammengewürfelte unbeschriebene Blätter – ich kann es nicht fassen und möchte keine weiteren Kommentare abgeben.
Verfolgen Sie denn die 2. Liga?
Ich kann nicht davon ablassen, die HSV-Spiele sehe ich mir an – aber nicht mehr mit dem Enthusiasmus. Die Ergebnisse haben die Begeisterung doch ziemlich abflauen lassen.
Ich kann Sie ja mal mit ans Millerntor nehmen …
Die spielen besser. Das ist schon erstaunlich. St. Pauli tickt da anders. Dem HSV klebt das Pech und das Unvermögen an den Hacken.
In Kürze sind Bundestagswahlen – dürfen Sie als Auslandsdeutscher noch wählen?
Ja, eigentlich darf man nur die ersten 25 Jahre im Ausland wählen. Wer aber besondere Interessen in Deutschland hat, bekommt eine Ausnahmegenehmigung. Wir haben gewählt. Die Politik in Deutschland ist ein Trauerspiel. Es dürfte so knapp werden, dass ich bezweifele, dass wir eine stabile Regierung bekommen.
Fürchten Sie Rot-Rot-Grün?
Natürlich! Das wäre schlimm fürs Land, weil alles nach links kippt und die Wirtschaft vor unabsehbaren Belastungen steht – mit fatalen Folgen für den Arbeitsmarkt. Jamaika wäre das beste Bündnis für Deutschland. Ich hoffe auf eine konservative Linie, aber möchte, dass die Grünen mitmischen: Der Klimaschutz muss vorankommen. Aber wir müssen es ausbalancieren. Diese Balance sehe ich bei den Linken nicht.
Sie sind jetzt 84 Jahre alt – wollen Sie sich bald stärker zurückziehen?
Nein, da habe ich keine Pläne. Ich bin zwar nicht mehr so oft in meinem Schweizer Büro, sondern mehr auf Mallorca. Aber auch da kann ich arbeiten. Ich schicke meinen Sekretärinnen regelmäßig elektronische Diktate. Auf eine 40-Stunden-Woche komme ich sicherlich noch. Das gefällt mir und bringt mich auf die richtigen Gedanken: Ich habe unverändert Ziele, bleibe informationshungrig und setze Akzente.
Kürzlich habe Sie einen Akzent gesetzt, als Sie im Juli einen Brief an die Hamburger und Bremer Bürgermeister und Wirtschaftssenatoren geschrieben haben. Darin haben Sie darauf gedrängt, dass die Gespräche von Eurogate und HHLA über eine Kooperation ein Erfolg werden und die norddeutschen Häfen enger zusammenarbeiten.
Der Brief sollte eigentlich nicht veröffentlicht werden. Aber da es jetzt durchgesickert ist, kann ich etwas dazu sagen. Die Hafensenatorin in Bremen plädiert aus gutem Grund für eine engere Kooperation der Häfen: Bremen leidet unter dem Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven, an dem sich Hamburg nicht beteiligt hat. Nun ändert sich das, auch Hapag-Lloyd befindet sich hier in Verhandlungen. Es ist vieles in Bewegung geraten – und auch wir müssen uns bewegen.
Hamburg sieht sich vielleicht in einer Position der Stärke. Der Hafenumschlag legte zuletzt zu.
Langfristig wird auch Hamburg verlieren, trotz Elbvertiefung. Die großen Schiffe passen nicht unter der Köhlbrandbrücke durch und kommen nicht mehr in die Stadt, sondern wollen an der Küste entladen. Deshalb werden Bremerhaven und Wilhelmshaven in Zukunft stärker gefragt sein. Hamburg muss sich stärker in diese Debatte einbringen. Wir könnten die Amerikadienste und die kleineren Schiffe an der Elbe konzentrieren. Eine Gesamtstrategie ist für alle ökonomisch klüger.
Sie haben angeboten, dass sich Ihre Kühne Holding AG finanziell beteiligen und bei dieser Konsolidierung als Dritter einsteigen könnte …
Ja, das könnte helfen, die Rivalität zu neutralisieren. Vor allem aber geht es mir darum, die Stadtstaaten aufzurütteln. Bremen ist sehr aufgeschlossen, hat sich gleich gemeldet und einen Termin vereinbart. Hamburg hat mir erst in den letzten Tagen geantwortet.
Tut sich Hamburg bei diesem Thema schwerer als Bremen?
Ich höre, es wird intern viel diskutiert. Offenbar ist eine Hafenkooperation ein brisantes Politikum. Die Hamburger wollen die Führung, da machen die Bremer aber nicht mit – zumal Wilhelmshaven in die Überlegungen einzubeziehen ist. Aus meiner Sicht gibt es keine Alternative zu einer engen Zusammenarbeit beziehungsweise Verschmelzung. Auch Rotterdam und Antwerpen haben länderübergreifend zwischenzeitlich eine einheitliche Strategie. Es wäre töricht, wenn die deutschen Häfen nicht gegenhalten würden.
Als große Wirtschaftsnation braucht Deutschland starke Häfen. Es ist höchst bedauerlich, dass sich nichts tut und sich die Verhandlungen so lange hinziehen. Ich sehe das übrigens als Hamburger – mir ist wichtig, dass die Stadt mit ihrem Kernstück, dem Hafen, nicht verkümmert.