Hamburg. Der stellvertretende Parteivorsitzende der CDU erzählt im Abendblatt-Podcast “Entscheider treffen Haider“, worauf es wirklich ankommt.
Was beunruhigt ihn mehr: die steigenden Corona-Zahlen oder die einbrechenden Umfragewerte der CDU/CSU? Wann ist die Pandemie beendet, und was hat Olaf Scholz, was Armin Laschet nicht hat? In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ ist heute Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zu Gast, der selbst mal wie ein möglicher Kanzlerkandidat aussah und jetzt erleben muss, wie seine Partei auf das schlechteste Ergebnis bei einer Bundestagswahl zusteuert. Oder geht da noch was?
Das sagt Jens Spahn über …
... kleinste Fehler im Wahlkampf:
„Es treibt mich um, dass wir uns mit so vielen unwichtigen Dingen im Wahlkampf beschäftigen. Zum Beispiel mit Versprechern, die dann in den Twitterblasen zu großen Themen aufgeblasen werden. Dabei interessiert die Menschen was ganz anderes. Sie wollen darüber reden, wie es unserem Land nach 18 Monaten Pandemie eigentlich geht. Wo waren wir gut, wo müssen wir besser werden? Was machen wir in den 20er-Jahren, in denen es mehr Umbruch geben wird als in den vergangenen zwei Jahrzehnten zusammen? Bleiben wir wirtschaftlich stark? Schaffen wir Zusammenhalt? Wie verhindern wir, dass aus den vorhandenen Spannungen in der Gesellschaft Spaltungen werden? Es geht um viel bei dieser Wahl, und darüber müssen wir endlich reden."
… nette Kanzlerkandidaten:
„Im Moment geht es mir zu sehr um die Frage, wer eigentlich ganz nett ist. Na klar sind Annalena Baerbock und Olaf Scholz nett, ich mag die beiden. Aber nett ist meine Oma auch, und trotzdem soll sie nicht Kanzlerin werden. Das ist nicht die Kategorie, um die es geht. Wir müssen uns doch fragen, wer die Erfahrung und die Statur und die Fähigkeit in der Zusammenführung unterschiedlicher Interessen hat, dieses Land durch schwere Zeiten zu führen. Ich habe selbst in Sachen Beliebtheit in den vergangenen Monaten viel erlebt, das war wie in der Pandemie, es ging hoch und runter. Aber Beliebtheit ist für Politiker nicht das entscheidende Kriterium. Entscheidend ist, ob es Vertrauen gibt, dass das Richtige gewollt und mit einem klaren Kurs umgesetzt wird. Egal, ob es gerade diese oder jene Überschrift gibt."
... die eigene Beliebtheit:
„Mich hat die Pandemie gelehrt, mich nicht von schlechten Umfrage- oder Beliebtheitswerten oder Shitstorms im Netz ablenken zu lassen, sondern Kurs zu halten. Mich hat dieses Auf und Ab sehr viel gelassener gemacht. Und wenn es dann einmal trotzdem zu viel wird, gehe ich spazieren, lang und ausgiebig, im Wald zum Beispiel. Und wenn ich dort Bäume sehe, die 100 oder 200 Jahre alt sind, und schon so viel erlebt habe, denke ich mir: Wir schaffen diese Zeit auch noch. Das gibt mir Ruhe und einen Fokus auf das, worum es geht."´
... die vierte Corona-Welle und das Impfen:
„Die vierte Welle ist da, die Frage ist nur, wie hoch und wie gefährlich sie wird. Wir haben alle Instrumente in der Hand, sicher durch Herbst und Winter zu kommen. Der entscheidende Punkt ist das Impfen. Vor wenigen Monaten haben noch 80 Prozent der Deutschen nicht geglaubt, dass die Bundesregierung es schafft, allen ein Impfangebot zu machen. Nun ist das Angebot für alle da, jetzt geht es darum, dass möglichst viele sich für die Impfung entscheiden. Mich treibt natürlich um, wie wir noch mehr Menschen davon überzeugen können, dass eine Impfung nicht nur gut für sie selbst, sondern vor allem für die Gemeinschaft ist."
… die 2G-Strategie:
„Zwischen Bund und Ländern haben wir uns auf 3 G verständigt. 2 G auf freiwilliger Basis geht auch, der 1. FC Köln macht das bereits in der ersten Fußball-Bundesliga. Ich finde aber den Ansatz des Hamburger Senats auch nicht so unklug zu sagen: 3 G gilt grundsätzlich, aber bei 2 G kann man auf bestimmte Schutzmaßnahmen verzichten. Warten wir mal, wie sich die Veranstalter entscheiden. Ich glaube schon, dass es viele Menschen geben wird, die sich freuen, dorthin zu gehen, wo nur Geimpfte oder Genese um sie herum sind. Das den Veranstaltern zu überlassen und nicht politisch vorzuschreiben, kann verhindern, dass es in unserer Gesellschaft zum ganz großen Konflikt kommt. Denn den sehe ich in jeder Veranstaltung, die ich mache: Geimpft oder nicht geimpft, das ist eine Frage, die Emotionen und Kontroversen auslöst. Ich bin unbedingt fürs Impfen, finde aber gleichzeitig wichtig, dass aus den vorhandenen Spannungen nicht Spaltungen entstehen."
… Impfgegner:
„In dem Moment, in dem eine Diskussion eine Glaubensfrage wird, in der es nicht um Fakten, sondern um Einschätzungen und Meinungen geht, fehlt die Grundlage für ein vernünftiges Gespräch. In Deutschland ist die Gruppe der radikalen Impfgegner relativ klein. Es gibt halt viele, die zögern, zaudern oder Fragen haben. Noch können wir Menschen erreichen und überzeugen, und darauf setzen wir. Aber wenn jemand zu mir sagt, dass es doch sein Problem sei, wenn er an Covid erkrankt, dann antworte ich ganz klar: Wenn es ihr Problem ist, sich anzustecken, dann müsste es ja auch ihr Problem sein, wer sich medizinisch um sie kümmert. Ist es aber nicht.“
… das Ende der Pandemie:
„Das Gröbste ist überstanden, für die große Mehrheit der Geimpften und Genesenen wird es keine weiteren Kontaktbeschränkungen geben. Wir haben schon viel Normalität und Alltag zurück, auch wenn Hamburg noch relativ strenge Regeln hat. Das, was wir in den ersten drei Wellen erlebt haben, wird es so nicht noch einmal geben. Insofern sind wir auf dem Weg raus der Pandemie. Das große Risiko ist jetzt, dass wir eine Pandemie der Ungeimpften sehen, wir erleben das bereits auf den Intensivstationen. Dort sind über 90 Prozent der Patienten nicht geimpft."
… das Umfragetief der CDU/CSU:
„Wir waren in Umfragen schon mal da, wo wir jetzt sind, das war vor Corona. Nach 16 Jahren Kanzlerschaft Angela Merkel muss die Partei wieder laufen lernen. Die Kanzlerin war der Fixstern, an dem sich alles orientiert hat, auch in der CDU. Der Übergang in die Zeit danach ist schwieriger geworden, als wir das alle gedacht haben. Trotzdem sind die Meinungsumfragen nur Momentaufnahmen, wenn auch wenige Wochen vor der Wahl. Außerdem gibt es keinen Wunsch nach fundamentaler Veränderung. Wir müssen in den Wochen bis zur Wahl jetzt klar herausarbeiten, was die Unterschiede zwischen uns und den anderen sind."
… die SPD und Olaf Scholz:
„Es ist absurd, dass die SPD in Umfragen gleichauf mit der CDU/CSU ist. Das gelingt auch nur deswegen, weil sich die SPD hinter Olaf Scholz versteckt. Wenn sie das Programm der SPD nehmen, ist das ziemlich links, so wie in den 70er-Jahren. Und Olaf Scholz ist schlau: Von Saskia Esken und Kevin Kühnert sehen sie nichts. Der Kanzlerkandidat ist das Feigenblatt einer linken SPD."
…die Frage, wie groß die Verzweiflung der CDU/CSU sein muss, dass sie von der SPD verlangt, eine Koalition mit den Linken auszuschließen:
„Es ist ein Unterschied, ob sie in Umfragen zehn Prozentpunkte vorne liegen, oder ob es so knapp wird, wie es im Moment aussieht. Denn dann muss man die Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien deutlich herausarbeiten, und dazu gehört auch deutlich zu machen, wer es wie mit den populistischen Vereinfacher vom rechten oder linken Rand hält. Es macht einen Unterschied, mit wem man eine Koalition eingeht."
… den Wahlkampf-Endspurt:
„Durch die Flut in Nordrhein-Westfalen konnte Armin Laschet als Ministerpräsident nicht wie geplant Wahlkampf machen, was ich angesichts der Lage auch richtig fand. Nichtsdestotrotz müssen wir jetzt in den Endspurt gehen, und dabei sage ich ganz klar: Die Bürger wählen nicht erst am 26. September, die Briefwahl wird diesmal eine deutlich stärkere Rolle spielen als in der Vergangenheit, und deswegen geht es jetzt darum, als Team alles dafür zu tun, dass die CDU/CSU größte Fraktion wird. Das ist auch Armin Laschets große Stärke, Leute mit unterschiedlichem Profil einzubinden und neben sich zu haben. Wir müssen deutlich machen, dass wir im Team neben unserem Kanzlerkandidaten, der ein Glücksfall für die CDU/CSU ist, eine Breite an profilierten Köpfen haben wie keine andere Partei. Die SPD hat Saskia Esken."
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… Christian Lindner und Freundschaften in der Politik:
„Freundschaften oder gute persönliche Beziehungen zu Politikern aus anderen Parteien sind die Voraussetzung dafür, dass man sprechfähig ist. Aber Machtfragen entscheiden sich nicht, weil man sich mag oder duzt. Klar machen persönliche Verbundenheiten Koalitionsgespräche und gemeinsames Regieren leichter. Und trotzdem mache ich mir nichts vor, und das sage ich auch allen, die überlegen, FDP zu wählen: Solange es von Christian Lindner keine klare Aussage zu einer Ampelkoalition gibt, kann es sein, dass man der FDP seine Stimme gibt, und damit rot-grüne Politik wählt."
… den Spaß in der Politik:
„Mir macht Politik großen Spaß. Ich mag es sehr, zu diskutieren, und mir gefällt es, wenn nicht alle einer Meinung sind. Und ja, ich mag auch die öffentliche Debatte, das war schon damals so bei der katholischen Jugend im Münsterland so. Im Grunde ist das dasselbe Prinzip wie heute, das mache ich gern."