Hamburg. Die neue Serie im Abendblatt: Wie nachhaltig ist Hamburg? Teil 2: Besuch in einem vorbildlichen Wohnquartier.
Ronja kennt es gar nicht anders: Wenn die Dreijährige im Badezimmer daheim den Knopf über der Toilette drückt, flutscht die Spülung wie im Flugzeug: Sauggeräusch, weg damit. Dass bei ihr Zuhause in der Jenfelder Au die Abwasserentsorgung anders als sonst in Hamburg funktioniert, ist dem plietschen Mädchen noch nicht bewusst. Ronja wächst wassersparend auf. Völlig normal ist das für sie.
Umso klarer ist ihren Eltern, dass sie in einem Modellgebiet wohnen. Getragen von dem Grundgedanken: Wasser ist ein rares Gut. Nicht sorgloses Verprassen, sondern ein bedächtiger Umgang ist Gebot der Stunde. Auf Initiative des Abendblatts hat das gemeinnützige Projekt Viva con Aqua zehn Beispiele zusammengestellt, wie Wasser gespart werden kann – direkt und indirekt, über eine vernünftige Praxis mit Wasserhahn, Duschkopf und Schlauch hinaus. Mehr dazu lesen Sie in dem Artikel unten auf dieser Seite.
Jenfelder Au: Wasser sparen und wiederverwerten
Judith Bräuer und Thomas Möller wählten das Quartier im Südosten der Hansestadt 2015 gezielt aus. Weil das Konzept einer Baugemeinschaft mit 20 Eigentümern auf dem Gelände der bis 1999 genutzten Lettow-Vorbeck-Kaserne in Jenfeld bezahlbaren Wohnbesitz ermöglichte. Wegen der sympathischen Nachbarn, darunter andere Familien mit Nachwuchs. Und weil die neuartige Wohnanlage Jenfelder Au aus Sicht des Ehepaars schon beim Einzug im Februar 2017 Modellcharakter hatte. Schön grün ist es hier, nicht nur wegen der Parkanlagen zwischen den Wohnblocks.
Lesen Sie hier den ersten Teil der Serie
Die Kita ist in der ehemaligen Bundeswehr-Kommandantur untergebracht. Das Gebäude mit dem schmucken Türmchen ist denkmalgeschützt. Bis Ende 2022 sollen alle 800 Wohneinheiten des Quartiers fertiggestellt und bezogen sein. Derzeit sind es 70 Prozent. Aktuell wird noch emsig gebaut.
Nachhaltiges Konzept der Wohnsiedlung
Nicht nur Ronjas Eltern schätzen die Kombination mehrerer Vorteile in ihren großzügig geschnittenen Räumen im dritten Stock. Tiefgarage, Fahrstuhl, zwei Balkone und ein überragender Blick über einen Rasenplatz mit Sportschule des Hamburger Fußball-Verbandes gehören dazu.
„Wir fühlen uns sehr wohl“, sagt Judith Bräuer bei Pfirsichstücken und Mineralwasser am Esstisch. Die 35-Jährige arbeitet in leitender Position bei der Krankenkasse DAK-Gesundheit. Ehemann Thomas Möller ist geschäftsführender Gesellschafter des Stolle Sanitätshauses mit 40 Filialen in Norddeutschland.
Zum Hauptsitz des Unternehmens am Friedrich-Ebert-Damm fährt der 36 Jahre alte Familienvater eine gute Viertelstunde - mit dem Rad. „Uns gefiel das nachhaltige Konzept dieser Wohnsiedlung auf Anhieb“, sagt er. Sinnvolle Nutzung wird großgeschrieben. In der Jenfelder Au tüfteln Profis von Hamburg Wasser an Lösungen, das immer kostbarere Nass zu sparen und wiederzuverwerten.
Hamburger Wasserkreislauf unterscheidet und trennt drei Abwasserströme
Die Klospülung, bei der Wasser nicht literweise runterrauscht, sondern abgesaugt wird wie im Flugzeug, ist Mosaiksteinchen eines Konzepts. Der Name des von Bundesministerien sowie der EU geförderten Versuchs ist Programm: „Hamburg Water Cycle“. Bei dem Kreislauf handelt es sich um einen ganzheitlichen Ansatz zur Abwasserentsorgung und Energieversorgung in der Großstadt. Wichtigster Baustein ist die getrennte Behandlung verschiedener Abwässer.
Um der Sache auf den Grund zu gehen, machen wir uns mit dem Ehepaar und Tochter Ronja auf den Weg. Weit ist er nicht. Direkt vor dem rotgeklinkerten, Gebäudekomplex am Kuehnbachring befindet sich ein grasgesäumter Teich. Der Hamburger Wasserkreislauf, so die Übersetzung, unterscheidet und trennt drei Abwasserströme: Schwarzwasser aus der Toilette, Grauwasser vom Duschen und (Ab)Waschen, zudem Regenwasser. Sie werden separat gesammelt und behandelt. Das Investitionsvolumen des Kreislaufs für 800 Wohnungen beträgt rund 13 Millionen Euro.
Mehr als 800 angeschlossene Wohneinheiten
„Mit mehr als 800 angeschlossenen Wohneinheiten wird die Jenfelder Au das europaweit größte Wohnviertel sein, in dem Stoffstromtrennung mittels Vakuumtechnologie umgesetzt wird“, sagt Wenke Schönfelder, Projektleiterin Energiemanagement bei Hamburg Wasser. (Von dem städtischen Unternehmen stammen auch die Illustrationen und Daten aus Hamburg, die Sie links sehen.)
„Auf diese Weise wird aus dem Abwasser vor Ort Energie gewonnen und dem Quartier zur Verfügung gestellt“, sagt Schönfelder. Unter dem Strich ergebe sich ein rund 30 Prozent niedrigerer Wasserbedarf. Die Vakuumspülung verbraucht etwa einen Liter – im Gegensatz von sechs oder mehr pro Spülgang bei herkömmlichen WCs. Anwohner haben ausgerechnet, dass sie in ihrem dreiköpfigen Haushalt so etwa 27.000 Liter Wasser im Jahr sparen. Das zahlt sich finanziell aus, schont vor allem die Umwelt. Vor allem schärft das Modell „Hamburg Water Cycle“ die Sinne für Wasserverbrauch mit Köpfchen und Bedacht.
3,7 Kilometer langes Unterdrucknetz
Derweil die dreijährige Ronja von einer Brücke aus über den Teich auf das Gebäude ihrer Kita zeigt, deutet Thomas Möller in die andere Richtung. Hinter einem fast fertiggestellten Neubau befinden sich silberglänzende Silos. Es handelt sich um das Herzstück des Kreislaufs in der Jenfelder Au. Dort, wo das Wohnen der Zukunft erprobt wird. Aufgabenstellung: Aus Abwasser Energie gewinnen. Weil damit alle gewinnen.
Über ein 3,7 Kilometer langes Unterdrucknetz wird das „Schwarzwasser“ aus den Toiletten zum Betriebshof auf dem Gelände geleitet. In einem großen Stahlbehälter mit Sichtfenster, dem Fermenter, vergärt das Schwarzwasser. Dadurch entsteht Biogas. Ein Blockheizkraftwerk wandelt es in Strom und Wärme. Dadurch wird beispielsweise die Fußbodenheizung in der Wohnung des Ehepaars Bräuer/Möller gespeist.
Für Ronja sind herkömmliche Klos ungewöhnlich
Was kompliziert klingt, ist für Judith Bräuer, Thomas Möller und Tochter Ronja einfach: Sie bemerken davon nichts – von der andersartigen Vakuumspülung der Toilette im Bad abgesehen. Nach dem Einzug gab es Informationsveranstaltungen im Gemeinschaftsraum, Faltblätter, individuelle Aufklärungsgespräche mit Fachleuten von Hamburg Wasser. Ein Prinzip wird beherzigt: keine Medikamente, Putzmittel und Essensreste in die Toilette. Was ohnehin selbstverständlich sein sollte.
Das Erstaunen der Besucher hat sich bei Ronjas Familie gelegt. Man gewöhnt sich daran. Und für Ronja sind herkömmliche Klos ungewöhnlich. Vielleicht wird diese Einstellung bald Alltag.
Lesen Sie in der nächsten Folge: Wie nachhaltige Mobilität machbar ist.