Hamburg. Kiezgänger diskutieren, ob Restaurants, Kneipen und Theater bald nur noch Geimpfte und Genesene einlassen sollten.
Nach eineinhalb Jahren könnte endlich Normalität einkehren: Feiern ohne Maske, Barbesuche ohne Abstand, vielleicht sogar volle Kneipen oder enges Tanzen im Club. Diese Freiheiten würden allerdings nur für Geimpfte und Genesene gelten. Getestete blieben außen vor. In anderen Worten: Aus den drei Gs sollen zwei werden. Dieses Regelwerk plant der Senat, wie Sprecher Marcel Schweitzer bereits am Dienstag in Aussicht stellte.
Hamburg hatte das 2G-Modell bereits in die letzte Ministerkonferenz eingebracht, war jedoch gescheitert. Nun stimme sich der Senat mit den Landesbehörden ab, welche Lockerungen infrage kämen. Kommt das neue Modell auf St. Pauli an? Oder lehnen die Wirte, Bar- und Theatergänger den Vorstoß ab? Die Menschen auf dem Kiez diskutieren das Für und Wider.
Corona-Lockerungen: Hamburger Wirte sprechen von Impfpflicht durch die Hintertür
Oliver Borth (49) steht am Freitagnachmittag vor seiner Kiezkneipe, dem „Hans Albers Eck“. Er schaut auf den Hans Albers Platz. Dort spannen Kellner große Regenschirme auf, verstellen Bänke und waschen Tische ab. Nebenan vor dem „Frieda B.“ rückt Betreiber Tim Becker (41) die Absperrgitter zurecht. Die beiden Wirte blicken der geplanten Corona-Novelle skeptisch entgegen. Sie fühlen sich gebeutelt von den bisherigen Regeln.
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„Für mich klingt das nach einer Impfpflicht durch die Hintertür. Warum soll nicht weiter getestet werden?“, fragt Borth. Er kontrolliere seine Gäste. Wer hinein wolle, müsse eins der drei Gs erfüllen und sonst draußen platznehmen. Das müsse reichen. Von den zwei Gs ist er nicht überzeugt. „Auf mich wirken die Verordnungen wie eine neue Staffel von ‘Und täglich grüßt das Murmeltier’“, sagt er, „ich mache das seit eineinhalb Jahren mit. Aber irgendwann ist auch mal Schluss.“
Setzt der Senat seinen Plan um, würde Borth ihn mittragen und hofft im Gegenzug auf ein Ende der Sperrstunde: Ab 23 Uhr dürfen Wirte an Party-Hotspots, etwa auf dem Hans Albers Platz, keinen Alkohol mehr ausschenken. In der angrenzenden Gerhardstraße ist das hingegen erlaubt, weshalb sich zu später Stunde Massen dort durchschieben. Fotos vom Wochenende, wie sich Partygänger in der schmalen Straße sammeln, bestätigen dies.
Vorstoß könnte Kiezwirten mehr Einnahmen bringen
Auf längere Öffnungszeiten hofft auch Borths Nachbar von „Frieda B.“ Seine Tür steht offen. Rockige Beats dringen nach draußen und erinnern an das, wofür der Kiezbar vor Ausbruch der Pandemie bekannt war: Tanzabende bis die Morgenstunden. Doch seit eineinhalb Jahren tanzt dort niemand mehr. Umso mehr hofft „Frieda B.“-Chef Becker, dass der Senat bald lockert.
„Wenn Clubbing durch 2G wieder möglich wird, ist das gut für uns. Dadurch verdienen wir mehr Geld.“ Er glaubt, dass seine Gäste mitmachen würden. Die Mehrheit sei ohnehin geimpft. Dass manche Gäste auf der Strecke blieben, weil sie sich nicht jeder impfen lassen dürfe, findet er moralisch fragwürdig. „Aber man kann es nicht jedem recht machen“, sagt er, „wir ziehen jedenfalls mit. Wir kämpfen um unser Überleben.“
Freude und Unmut
Allmählich füllt sich der Hans Albers Platz. Eine Schlange bildet sich an der Ecke zur Reeperbahn, direkt vor dem Corona-Testzentrum. Von beiden Seiten drängen sich Menschen durch die Menge. Christin Petersen findet es gut, dass es solche Angebote gibt. Sie ist aus Henstedt-Ulzburg angereist, möchte an diesem Abend mit ihrem Mann Torge Petersen (50) ins Theater gehen. Die beiden sind geimpft und brauchen keinen Test. Dass sie demnächst neue Freiheiten genießen könnten, stößt bei ihnen auf Freude und Unmut.
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„Es ist super wichtig, sich impfen zu lassen“, sagt Christin Petersen (52), „aber wer sich testen lassen möchte, sollte weiterhin dazugehören.“ Sie hat Vertrauen in die Testzentren. Außerdem würden die zwei Gs Menschen ausschließen, die sich nicht impfen lassen dürfen. Ihr Ehemann befürwortet dagegen das neue Modell. Wenn Unentschlossene in Zugzwang gerieten, könnte Hamburg die Herdenimmunität erreichen und dann alle Corona-Regeln abschaffen.
Könnte das 2G-Modell Touristen verprellen?
Doch würden die Touristen dann lieber anderswo feiern und Hamburg umgehen? Julia (30) und Max Lowak (30) würden jedenfalls nicht mehr aus dem niedersächsischen Diepholz anreisen. Am Freitagabend schlürfen sie Cocktails im „Safari Bierdorf“ auf der Großen Freiheit. Beide sind nicht geimpft – Julia Lowak darf nicht und ihr Mann lehnt den Piks ab. Er sagt: „Ich halte vom Vorhaben des Senats nichts. Auch Geimpfte können das Virus übertragen. Warum sollen Ungeimpfte dann außen vor bleiben?“
Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:
- Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
- Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
- Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
- Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
- Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).
Dennoch: Auch die drei Gs haben einen Haken. Ihm sei aufgefallen, dass die Kellner zwar auf das Testergebnis, aber nicht auf die Tagesaktualität achten würden. „Meine Tests hätten einen Monat alt sein können und es wäre nicht aufgefallen.“ Seine Frau habe das auch beobachtet, doch gestört habe sie das nicht. Dabei zählt Julia Lowak wegen einer Vorerkrankung am Herzen zur Risikogruppe. Angst vor einer Ansteckung hat die Altenpflegerin nicht, sagt sie. Es sei jedem selbst überlassen, das Risiko einer Infektion abzuwägen und seine Freizeit entsprechend zu gestalten.
Ob der Senat die zwei Gs definitiv einführen wird und wie das Modell im Detail aussieht, wird Senatssprecher Schweitzer voraussichtlich während der Landespressekonferenz am kommenden Dienstag bekanntgeben.