Hamburg. Der CDU-Fraktionschef macht keinen Hehl aus seinem Ehrgeiz – und erläutert, wie seine Partei bis dahin gegen Rot-Grün punkten will.

Nach der historischen Niederlage bei der Bürgerschaftswahl 2020 hat sich die CDU in Hamburg neu aufgestellt und in der Spitze stark verjüngt – mit dem 36 Jahre alten Parteichef Christoph Ploß und dem 37 Jahre alten Fraktionschef Dennis Thering. Die Chance zur eigenen Profilierung hatte der neue Oppositionsführer in der Bürgerschaft bisher kaum: Die Pandemie war vor allem eine Zeit der gemeinsamen Krisenbewältigung.

Im Abendblatt-Interview zieht Thering eine erste Zwischenbilanz, macht Vorschläge zum weiteren Umgang mit Corona – und sagt, bei welchen Themen seine Fraktion den rot-grünen Senat bis 2025 stellen will. Auch über seine Ambitionen spricht er offen.

Hamburger Abendblatt: Herr Thering, Sie sind seit gut einem Jahr CDU-Fraktionschef in der Bürgerschaft und damit Oppositionsführer. So richtig auf Gegenkurs zum Senat können und wollen Sie wegen der Pandemie nicht gehen. Macht das Amt noch Spaß?

Dennis Thering: Ja, absolut. Es macht immer noch riesig Spaß, viele neue Menschen kennenzulernen und auch mitzuhelfen, Hamburg gut durch diese Pandemie zu bringen. Als ich im März vergangenen Jahres gewählt wurde, war mit dem Pandemiebeginn klar, dass das jetzt nicht die Zeit ist, alles zu kritisieren. Deswegen haben wir gesagt: Hanseaten halten zusammen. Und wir haben den Bürgermeister unterstützt. Aber ab dem Zeitpunkt, wo vieles in der Pandemiebekämpfung nicht funktioniert, etwa in den Schulen oder mit der Auszahlung der Hilfsgelder, haben wir das als Opposition auch deutlich kritisiert. Ich freue mich sehr auf den normalen Politikbetrieb, wenn wir unsere Ideen wieder in die Stadt tragen können.

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Andererseits: Alle Senatorinnen und Senatoren sind noch im Amt. Haben Sie vielleicht doch etwas falsch gemacht?

Thering: Wenn wir uns an Corona-Partysenator Grote erinnern: In wahrscheinlich jedem anderen Bundesland wäre der Minister nach so einem Fehlverhalten nicht mehr im Amt. Bei Justizsenatorin Anna Gallina muss man jetzt sehen, wie es weitergeht. Ich finde auch, dass Schulsenator Ties Rabe sich viele grobe Schnitzer erlaubt hat. Aber es gibt ja auch Lichtblicke: Sozialsenatorin Melanie Leonhard macht einen guten, soliden Job. Mal schauen, die Legislaturperiode ist noch lang, und es geht ja auch nicht primär darum, dass man Senatoren aus dem Amt treibt, sondern dass Hamburg gut durch die Krise kommt. Wir werden die Arbeit des Senats weiter kritisch begleiten.

In der Wahrnehmung vieler Menschen entscheiden Bürgermeister und Senat in dieser Pandemie allein. Hat sich die Bürgerschaft den Schneid abkaufen lassen?

Thering: In den ersten Wochen der Pandemie gab es einen sehr engen Austausch zwischen dem Bürgermeister und den Fraktionsvorsitzenden, das hat dann nachgelassen. Auf Initiative der CDU haben wir die Rechte des Parlaments aber mittlerweile so gestärkt, dass jede neue Corona-Verordnung auch beraten und debattiert wird – aber meist im Nachhinein. Schöner wäre es, im Vorhinein schon mal über die Inhalte zu sprechen. Ich finde, dass die Regierungsfraktionen zu vieles einfach abnicken, was vom Senat kommt. Die Grünen hatten ein neues Selbstverständnis angekündigt. Davon ist aktuell noch nicht viel zu sehen.

Haben die vielen Videokonferenzen, etwa in den Ausschüssen, der Parlamentsarbeit eher geschadet, oder ist vieles sogar einfacher geworden – und könnte zum Teil so bleiben?

Thering: Natürlich ist es schöner und für viele Themen auch wichtig, sich persönlich zu treffen. Aber manches, etwa interne Arbeitssitzungen, kann man auch künftig digital organisieren. Die klassische Ausschussarbeit sollte aber wieder in den normalen Betrieb zurückkehren. Das gilt auch für die Parlamentssitzungen, da vermissen wir alle den Plenarsaal. Momentan sitzen wir so weit auseinander, dass man seine eigene Fraktion kaum sieht.

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

Wann sollte die Bürgerschaft wieder im eigenen Hause tagen?

Thering: Im Laufe des Septembers sollte das möglich sein. Dann dürften alle Abgeordneten voll geimpft sein.

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak hält eine Aufhebung aller Beschränkungen für möglich, wenn alle Bürger ein Impfangebot erhalten haben. Sind Sie auch dieser Meinung?

Thering: Ein Angebot erhalten ist das eine, sie müssen sich dann auch impfen lassen. Wenn Mitte, Ende September alle vollständig geimpft sind, die das wollen, sollte man die Beschränkungen auch weitgehend aufheben. Natürlich muss man dabei gucken, wie sich das Infektionsgeschehen entwickelt. Aber für die vollständig Geimpften sehe ich – bis auf die Abstands- und Maskenpflicht an einigen Orten – die Beibehaltung von Beschränkungen als überflüssig an. Und wer sich gegen eine Impfung entscheidet, wird mit einem Restrisiko leben müssen.

Für wie groß halten Sie die Gefahr einer vierten Welle?

Thering: Das hängt stark davon ab, wie schnell es jetzt mit dem Impfen geht – vor allem auch bei den unter 18-Jährigen. Es ist gut, dass Hamburg jetzt auch die 16- und 17-Jährigen zur Impfung aufruft. Das reicht aber nicht, wir müssen auch den 12- bis 15-Jährigen die Möglichkeit geben. Mich haben einige Eltern angesprochen, dass sie in ein anderes Bundesland fahren müssen, um ihr Kind impfen zu lassen. Da erwarte ich, dass das jetzt auch in Hamburg möglich gemacht wird. Wir müssen so viele Menschen wie möglich impfen lassen, um eine Herdenimmunität zu erreichen, die bei der Deltavariante laut Expertenmeinung bei rund 85 Prozent liegt. Wir müssen auch insgesamt den Zugang zum Impfen leichter machen – eine Möglichkeit wären Impfboxen etwa in Shoppingcentern, wo man sich ohne Termin impfen lassen kann.

Themenwechsel: Eine Senatsanfrage der CDU hat es gezeigt: Die Zahl der in Hamburg zugelassenen Autos wächst stärker als die Bevölkerung. Wie wollen Sie die Menschen zum Umsteigen auf Bus, Bahn und Fahrrad bringen?

Thering: Die Gestaltung der Mobilität wird eine der größten Herausforderungen nach Corona sein. Die Zahlen zeigen, dass es nach wie vor einen großen Wunsch nach einem eigenen Auto gibt. Wir als CDU wollen alle Verkehrsteilnehmer berücksichtigen, für uns gibt es nicht Verkehrsteilnehmer erster oder zweiter Klasse wie bei den Grünen. Aber auch wir freuen uns über jeden, der sein Auto stehen lässt und mit dem Fahrrad oder Bus und Bahn fährt oder zu Fuß geht. Rot-Grün zwingt alle Fahrradfahrer auf die Straße, das ist aber vielen zu gefährlich und sorgt für engere Fahrbahnen. Wir sind dafür, mehr Parkraum in Quartiersgaragen zu schaffen, so dass wir mehr Platz für gute Fahrradwege abseits der Straßen und für Fußgänger schaffen.

Verkehrssenator Anjes Tjarks betont, es gebe zwar mehr Autos, die würden aber weniger gefahren.

Thering: Das ist dann ja auch eine Erkenntnis. Die Menschen wechseln die Verkehrsmittel flexibler. Darauf muss Politik sich einstellen. Man könnte diejenigen, die das wünschen, von Niendorf oder Sasel an die City-Grenze mit dem Auto fahren und dieses dort in Park+Ride-Anlagen abstellen und auf den HVV umsteigen lassen. Wir brauchen da einfach ein bisschen mehr Kreativität. Unter SPD und Grünen ist mir das alles zu sehr aufs Fahrrad ausgerichtet.

Manche Städte, etwa Paris und Madrid, sind sehr radikal, was Einschränkungen für den Autoverkehr angeht. Dort sind Politiker mit einer klaren Agenda gewählt worden, Autos aus weiten Teilen der City herauszuhalten. Muss Hamburg radikaler werden, um endlich die Verkehrswende zu schaffen?

Thering: Politik sollte nicht radikal sein. Mit unserem Innenstadtkonzept wollen wir einzelne Straßen zu Fußgängerzonen machen. Natürlich muss nicht jeder letzte Winkel in der Innenstadt mit dem Auto erreichbar sein, aber man muss mit dem Auto bis in die Innenstadt fahren können – gerade jetzt, wo der Einzelhandel ums Überleben kämpft. Aber: Ich freue mich über jeden, der nicht das Auto benutzt, weil es bessere Alternativen gibt.

Das Kohlekraftwerk Moorburg, einst von einem CDU-Senat ersonnen, ist nach nur sechs Jahren Betriebsdauer stillgelegt worden. Jetzt ist die Gelegenheit, eine milliardenschwere Fehlplanung einzuräumen...

Thering: Genehmigt wurde das Kraftwerk von einer grünen Senatorin. Das darf man dabei nicht vergessen. Die Zeiten waren damals andere. Klar ist: Energie muss weiterhin bezahlbar bleiben. Es kann nicht sein, dass wir ein Kraftwerk abschalten und die Strompreise durch die Decke gehen. Vielleicht hätte man auf eine andere Energieform setzen können, aber ein Kraftwerk zu bauen, um die Energieversorgung der Stadt zu sichern, das halte ich prinzipiell auch im Rückblick nicht für einen Fehler. Moorburg war damals das sauberste Kohlekraftwerk Europas, dazu gehört es auch heute noch. Verantwortungsvolle Politik hätte geschaut, ob man vielleicht erstmal andere schmutzigere Kraftwerke abschaltet. Ich freue mich über jedes Kohlekraftwerk, das vom Netz geht. Aber das darf nicht dazu führen, dass die Lebenshaltungskosten der Menschen weiter exorbitant steigen. Diese Entwicklung halte ich für zutiefst unsozial.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Wenn Corona irgendwann nicht mehr die Schlagzeilen bestimmt, mit welchen Themen will die CDU dann politisch angreifen?

Thering: Viele Themen liegen auf der Hand. Jetzt geht es erstmal darum, Arbeitsplätze zu sichern, die Wirtschaft fit zu machen, vor allem auch den Hafen. Wir sehen, dass Rotterdam und Antwerpen uns immer mehr das Wasser abgraben, dass Kreuzfahrtschiffe nach Kiel abwandern, dass der Hamburger Hafen an Attraktivität verliert. Das liegt unter anderem an der Infrastruktur, an der unzureichenden digitalen Infrastruktur, an den hohen Hafengebühren. Und der Kostendruck bei den Reedereien wird weiterhin zunehmen. Deshalb brauchen wir jetzt endlich einen Hafenentwicklungsplan, den die Handelskammer und wir als CDU schon lange fordern. Neben der Wirtschaft wird es um die Frage gehen, wie können wir Schule attraktiver machen. Deutschland steht beim digitalen Lernen vergleichsweise schlecht da, das merkt man auch in Hamburg.

Auch Sport ist für uns ein großes Thema. Da wird viel geredet, aber wenn es konkret wird, dann fällt die Sporthalle Hamburg mit einem Dachschaden aus. Und es drohte sogar, dass die Erstligamannschaft des HSV Handball nach Lüneburg hätte ausweichen müssen. Das ist ein Armutszeugnis. Zusätzlich fehlt eine zweitligataugliche Eissporthalle. Und im Breitensport gibt es insbesondere auch im Winter viel zu wenig Hallenzeiten. Außerdem geht es uns um das wichtige Thema bezahlbares Wohnen und um eine gute Wissenschafts- und Familienpolitik.

Andere reden viel über Klimaschutz.

Thering: Das Thema Klimaschutz ist doch eine Selbstverständlichkeit. Das fängt ja beim Thema Baumpflanzung an, da haben wir ein Baumpflanzkonzept vorgelegt – weil wir in Hamburg immer noch eine abnehmende Zahl an Bäumen haben. Grünflächen dürfen nicht weiter bebaut werden, und viele unserer Vorschläge sind auch schon übernommen werden – etwa die Begrünung der Dächer von Bus-Wartehäuschen. Wir haben da also schon viele gute Vorschläge gemacht und werden das auch weiterhin so machen.

Die Hamburger CDU hat sich mit Christoph Ploß an der Partei- und Ihnen an der Fraktionsspitze neu aufgestellt. Sie stehen beide für ein konservatives Profil, eher für Merz und Söder, sind gegen eine Frauenquote und die Gendersprache. Kann man mit so einem Profil in einer liberalen Stadt wie Hamburg überhaupt Erfolg haben?

Thering: Wenn ich meine Frau fragen würde, würde die sagen: Du bist alles, aber nicht konservativ. Ich finde dieses Schubladendenken schwierig. Christoph Ploß und ich haben viele Gemeinsamkeiten und tauschen uns sehr viel aus. Und wir haben mit Franziska Hoppermann eine liberale Kandidatin auf Platz 2 der Landesliste und als Direktkandidatin im Wahlkreis Wandsbek für die Bundestagswahl. Ich sehe auch nicht, wo wir hier ausschließlich konservative Politik machen. Die Menschen interessiert es auch nicht, ob jemand nun als links, liberal oder konservativ bezeichnet wird. Sie wollen, dass die Politik ihre Probleme löst.

Gemeint ist eine konservative Ausrichtung in der Gesellschaftspolitik. Ist es nicht komisch, dass Sie sich dazu nicht klar bekennen können?

Thering: Uns hat im Wahlkampf zuletzt eine klare Positionierung gefehlt. Keiner wusste, wofür die CDU steht. Deswegen ist es gut, dass die Partei jetzt klar Position bezieht. Das polarisiert natürlich auch mal. Aber natürlich ist die CDU eine konservative Partei, das ist doch kein Geheimnis. In Hamburg setzen wir personell und inhaltlich auf eine gute Mischung – und haben dabei in kürzester Zeit eine gute Wiedererkennbarkeit hergestellt.

Sie teilen sich das politische Spielfeld ja etwas auf: Christoph Ploß’ Bühne ist Berlin, Ihre hier in Hamburg. Können Sie sich vorstellen, Spitzenkandidat bei der Bürgerschaftswahl 2025 zu werden?

Thering: Der Fraktionsvorsitzende muss immer die Bereitschaft mitbringen, Spitzenkandidat zu werden. Ich habe immer gesagt: Wenn ich Fraktionsvorsitzender werde, dann bringe ich diese Bereitschaft mit. Entscheiden wird die Partei das rechtzeitig vor der Wahl. Mir macht die Arbeit sehr viel Spaß - und meine Lust, Spitzenkandidat zu werden, ist deswegen sehr ausgeprägt. Aber jetzt gibt es erstmal wichtigere Probleme in unserer Stadt zu lösen.

Was ist Ihr Wahlziel für die CDU bei der Bundestagswahl?

Thering: Wir wollen – das ist doch klar – das bestmögliche Ergebnis für die CDU erreichen. Armin Laschet soll Bundeskanzler werden und dafür wird die CDU Hamburg mit aller Kraft kämpfen. Aber vieles hängt von der bundesweiten Entwicklung ab. In Hamburg ist die Partei jedenfalls hoch motiviert.

Heißt bestmöglich, dass sie sich verbessern wollen? Letztes Mal waren es vier Abgeordnete, sollen es diesmal fünf sein?

Thering: Das ist mit dem neuen Wahlrecht kaum möglich. Das hat uns in Hamburg allen geschadet. Es ist leider unwahrscheinlich, dass Hamburg wieder so viele Abgeordnete nach Berlin schickt wie beim letzten Mal. Aber unser Ziel bleibt natürlich besser abzuschneiden.