Hamburg. Onur und Koral Elci haben ihre Kitchen Guerilla vom Kochevent-Veranstalter zum Kantinenbetreiber und Online-Verlag entwickelt.

Dem Glücklichen schlägt keine Stunde. Was Friedrich Schiller schon früher wusste, setzt Koral Elci heute in die Tat um – Tag für Tag. Von Wagemut und Zuversicht beseelt, ist der diplomierte Designer bemüht, die Welt der Gastronomie zu revolutionieren. In kleinen Schritten. Der Name seines Unternehmens, das er gemeinsam mit seinem Bruder Onur leitet, ist Programm: Kitchen Guerilla. Zwar bremste Corona das Tempo, doch öffneten sich neue Geschäftstüren. Mit Fantasie und Tatkraft kämpfen sich die Brüder Elci mit ihrer Interpretation einer modernen Küche durch die Krise.

„Du musst machen, was dir Spaß bereitet und was du am besten kannst“, philosophiert Koral Elci bei einem starken Kaffee in der Firmenzentrale, genannt Base-Camp. „Und dann musst du gucken, wie du damit Geld verdienst.“ Dass die Umsetzung kein Kinderspiel ist, merkt er tagtäglich. Nicht erst, seitdem die Pandemie auch die gastronomische Welt zum Stillstand brachte.

Gründer lebt seit 1999 in Hamburg

„Wir haben die Pause genutzt, um mit neuen Ideen durchzustarten“, sagt der 42-Jährige mit Geburtsort Ankara. Seit 1999 ist Hamburg sein Heimathafen. Nach Stationen auf Zypern und in Argentinien schloss der Kreativgeist 2006 sein Studium an der Hochschule für Bildende Künste als Industrial Designer ab. Um die Semester zu finanzieren, hatte er das Szenelokal Familieneck im Herzen Ottensens gepachtet. Vor und hinter der Theke brummte es lustvoll. Eine Idee folgte der anderen. Dass nicht jede zündet, ist klar.

Es passt ins Bild, dass neben seinem Schreibtisch ein Köcher mit bunten Pfeilen steht. Wenn Koral Elci danach ist, greift er zum Bogen und nimmt die Zielscheibe an der Rückwand ins Visier. Für kleinere Pfeile und Entfernungen dient das Dartboard backbords. Dass die Brüder Elci gerne Ziele treffen, ist Familientradition. Schon der Vater war als Unternehmer ein Tausendsassa. In der Türkei betrieb der heute 70-Jährige ein Restaurant, betreute Touristen, besaß einen Steinbruch sowie eine kleine Reederei. Heutzutage arbeitet er als Controller in der Hamburger Firma seiner Söhne. 20 feste Mitarbeiter gehören dazu. Die meisten waren während Corona in Kurzarbeit. Entlassen werden musste keiner.

Wieder Leben im Hinterhofgebäude in Hamburg

Jetzt ist wieder Leben in dem urigen Hinterhofgebäude an der Warnholtzstraße in Altonas Altstadt eingekehrt. Früher wurden hier Belüftungsgeräte für U-Boote produziert, später im Auftrag des Altonaer Theaters an Bühnenbildern gewerkelt. Auf dem Hof befindet sich ein großer Saal, um Feste zu feiern. Zumindest bis zum Frühjahr 2020. Und hoffentlich bald wieder. Die Produktionsküche ist in Moorfleet angesiedelt.

In Altona führt eine Stahltreppe ins Obergeschoss. Willkommen im Geschäftsreich von Koral und Onur Elci. Die Kombination aus solider Bausubstanz und moderner Architektur harmoniert ansehnlich. Wo einst ein Kran Ware beförderte, sind die Tore weit geöffnet. In einem solchen Umfeld genießt Kreativgeist freies Spiel. Mehrere Initiativen des unorthodoxen Teams sind preisgekrönt.

Gründer: „Wir leben Zuversicht“

Koral und Onur Elci am Kickertisch ihrer Firmenzentrale in Altona.
Koral und Onur Elci am Kickertisch ihrer Firmenzentrale in Altona. © Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

„Wir leben Zuversicht“, sagen die Firmengründer unisono. Diese positive, anpackende Lebenseinstellung beflügelte vor elf Jahren zu einer Pioniertat. Der Grundgedanke: In einem Hamburger Restaurant, möglichst an einem gewöhnlichen Ruhetag, übernimmt Elcis Kochbrigade das Kommando. Die Küchen-guerilla besetzt das Lokal für einen Abend. Tickets für das kommunikative Mahl am langen Tisch können im Internet erworben werden. Die illustre Speiserunde war stets ausgebucht – quasi ohne Werbung. Und der vorübergehend ausgemusterte Wirt erhielt einen Anteil des Gewinns. Diese Aktion wurde in rund 40 Länder exportiert. Die pfiffige Hanseaten-Guerilla düste deswegen sogar nach Südkorea.

„Es ist pure Leidenschaft“, sagt Koral Elci, „einen Businessplan gab es nicht.“ Zuversicht umso mehr. Zug um Zug entwickelte sich die Aktion weiter. Im Auftrag anderer Firmen wurden kulinarische Konzepte erdacht. 2015 bot die Facebook-Zentrale in Hamburg einen speziellen Job: Statt eines herkömmlichen Betriebsrestaurants sollte die Kitchen Guerilla eine Gaststätte der Zukunft gestalten, so etwas wie eine Kantinen-Revolution – von frischer Kochkunst inspiriert. Mittlerweile betreibt das Elci-Unternehmen vier solcher andersartigen Kantinen. Notgedrungen sind sie noch geschlossen.

Koral am Hilfsprojekt „Kochen für Helden“ beteiligt

Als auch dieses Geschäft auf Touren kam, machte Corona einen weiteren Strich durch die Rechnung. Anlass zum Durchatmen, Luft holen – und Attacke. Auf neuen Wegen. Koral Elcis persönliche Devise: „Ich lass mich nicht unterkriegen, kleinmachen, stressen.“ Bewegung müsse vorwärts erfolgen, nie rückwärts. „Gerade in Krisenzeiten kommt es auf Geschwindigkeit und Kreativität an“, weiß Koral Elci aus Erfahrung.

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Er ist Mitinitiator des sozialen Hilfsprojekts „Kochen für Helden“. Mit Sponsorenunterstützung wurden jene versorgt, die während der Pandemie ihre Frau oder ihren Mann standen. Der Verein „Soli-Küche“ teilte bisher 20.000 Mahlzeiten aus. Am Bahnhof Altona steht aktuell ein weißer Container, um bedürftige Menschen mit warmen Gerichten in Restaurantqualität zu bedienen.

Ayshe Rustikal gemeinsam mit Tim Mälzer erschaffen

In heiklen Situationen bewährt sich das Unternehmensprinzip mehrerer Standbeine. In einem Online-Magazin teilt die Guerilla Rezepte, Porträts, Ideen. Als Auftragsarbeiten werden Filme, Fotos und redaktionelle Inhalte geliefert. Maßgeschneidert.

Gemeinsam mit Fernsehkoch Tim Mälzer schufen die Elcis ein gastronomisches Ereignis namens Ayshe Rustikal. Organisiert wurden außerdem Events wie „Latinoriental“ oder ein Mindesthaltbarkeits-Dinner. Dafür gab es offizielle Auszeichnungen, zum Beispiel den Titel „Gastronom des Jahres“. Zusammen mit Tochter Lea publizierte Koral Elci das Kochbuch „Umessen“.

Neues Geschäftsmodell: Lunchbox Hamburg

Neu im Programm, aus der Not geboren, sind zwei Geschäftsmodelle. Lunchbox Hamburg versorgt Unternehmen ab fünf Mitarbeitern mit gesundem Mittagessen. Und ab August werden in Supermärkten acht Fertiggerichte in Gläsern feilgeboten. Was als „Topfundfertig“ begann, heißt dann „Better Lunch Projekt“. Rewe und Edeka haben bereits angebissen. Familienvater Koral Elci hofft, dass sich Zuversicht unter dem Strich rechnet. Genau das ist seine Geschäftsidee.