Hamburg. Vakzine von Biontech und Moderna erst mal ausschließlich für Zweitimpfungen. Was das für Impfzentrum und Praxen bedeutet.

Neue wissenschaftliche Erkenntnisse aus einer Oxford-Studie und ein Hinweis der Ständigen Impfkommission (Stiko) wirbeln die Hamburger Impfkampagne gegen das Coronavirus durcheinander. Wer beim ersten Piks Astrazeneca erhielt und in den kommenden Wochen zum zweiten Mal geimpft wird, soll dann automatisch einen mRNA-Impfstoff wie den von Biontech und Moderna erhalten. Zehntausende freie Termine, die in dieser Woche für Erstimpfungen in den Messehallen freigeschaltet wurden, hat die Sozialbehörde wieder einkassiert. Sie werden dringend benötigt für die Kandidaten, die nun das neue Impfschema erhalten.

Senatorin Melanie Leonhard (SPD) sagte, alle bereits vereinbarten Termine würden eingehalten. Aber über zwei Wochen werde es keine neuen geben. Wer bereits zweimal Astrazeneca erhalten habe, sei gut geschützt.

Impfung mit Astrazeneca – dann Biontech oder Moderna

Bei den Haus- und Fachärzten dürfte sich das Impftempo ebenso verlangsamen. Auch wer in einer Praxis beim ersten Piks „Astra“ bekam, soll automatisch Biontech oder Moderna im zweiten Durchgang erhalten. Ob sich das so schnell umsetzen lässt, ist fraglich. Haus- und Betriebsärzte haben ihre Bestellungen für die kommende Woche bei den Apotheken bereits platziert. Die Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Dr. Jana Husemann, sagte dem Abendblatt, sie erwarte, dass „die Nachfrage nach Biontech steigen“ werde. „Das bedeutet erneut Chaos in unseren Praxen.“

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Nach vorläufigen Studien schützt eine „heterologe“ Impfung (zuerst Astrazeneca, dann Biontech oder Moderna) besser vor einer Corona-Infektion. Die Impfreaktionen sind laut Fachmagazin „Lancet“ jedoch mit größerer Wahrscheinlichkeit heftiger. Es treten häufiger grippeähnliche Symptome auf.

Universität Hamburg verschickt Impf-Info an Studierende

Um 11.16 Uhr ging die E-Mail am Freitag raus. Absender: Der Präsident der Universität Hamburg, Empfänger: alle Studierenden, Betreff: Impfmöglichkeiten. Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Lenzen ließ die angehenden Akademiker darüber informieren, dass die Wissenschaftsbehörde darauf hingewiesen habe, alle könnten sich nun Impftermine im Impfzentrum besorgen. Die Priorisierung sei gefallen. Auch Studierende, die nur während des Semesters in Hamburg weilen, seien in den Messehallen impfberechtigt.

Schnell 116 177 wählen oder www.impfterminservice.de im Internet ansteuern – und schon kann das Wintersemester ab Oktober wie von Senatorin Katharina Fegebank (Grüne) geplant wieder in Präsenz stattfinden. Erst am 27. Juni hatte die Zweite Bürgermeisterin vorbildlich getwittert, dass sie „so happy“ sei, im Impfzentrum den ersten Piks bekommen zu haben.

Katharina Fegebank bei Twitter

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Es dauerte 104 Minuten, bis Fegebanks Senatskollegin Melanie Leonhard (SPD) alles kassierte: die Mail von Lenzen, die Hoffnungen der Studierenden, alle Pläne für eine beschleunigte Hamburger Impfkampagne.

Die Sozialsenatorin ließ Zehntausende freie Impftermine wieder zurücknehmen und verhängte für zunächst zwei Wochen eine Art Vergabe-Stopp für neue Erstimpfungen. Damit war eine Verwirrung komplett, die „überfallartig“ (ein Verantwortlicher) von der Ständigen Impfkommission ausgelöst worden war. Gab es zunächst die Hoffnung auf viele neue Termine für Impfwillige in Hamburg und ausreichende Mengen an mRNA-Impfstoff von Biontech und Moderna, löste sich das Heilsversprechen kurz vor dem Wochenende in Rauch auf.

Neue Impftermine in Hamburg noch im Juli

Was an diesen Vakzinen da ist, was an Kapazitäten in den Messehallen frei, das wird benötigt für rund 50.000 Hamburgerinnen und Hamburger, die bei der Erstimpfung im Impfzentrum Astrazeneca erhielten und nun auf ihren zweiten Termin warten. Dasselbe gilt für weitere 50.000 dieser Impfkandidaten, die in Hamburger Praxen „erstversorgt“ wurden. Von diesen Zahlen geht die Kassenärztliche Vereinigung aus.

Walter Plassmann, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hamburg, zur Corona-Impfung bei Hamburger Haus- und Fachärzten: Es ist alles vorbereitet.
Walter Plassmann, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hamburg © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services

Ihr Vorstandschef Walter Plassmann sagte dem Abendblatt, es gebe absehbar in den kommenden Wochen einfach zu wenig Impfstoff von Biontech und Moderna, um die für den Sommer geplanten Erstimpfungen anzubieten. Wie Senatorin Leonhard wies er darauf hin, dass die Impfkandidaten bitte „in ihren Bahnen“ bleiben mögen. Heißt: Wer im Impfzentrum zur ersten Spritze war, soll dort auch zur zweiten hin. Dasselbe gelte für die Praxen.

Leonhard beruhigte: Wer einen festen Termin habe, für den ändere sich nichts. Automatisch gebe es Biontech oder Moderna. Und: Wer zweimal Astrazeneca bekommen habe, sei gut gegen eine Corona-Infektion geschützt.

"Astrazeneca ist kaum noch vermittelbar"

Fachleute sagen: Mit der neuen, bislang noch nicht als Empfehlung formulierten Information der Ständigen Impfkommission (Stiko) sei der Impfstoff von Astrazeneca in Deutschland kaum noch vermittelbar. Das Image sei ohnehin schlecht gewesen, weil es anfangs bei Jüngeren äußerst seltene Fälle von Sinusvenenthrombosen gegeben habe.

Diese Spritzen werden aufwendig mit dem Impfstoff präpariert.
Diese Spritzen werden aufwendig mit dem Impfstoff präpariert. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Die Stiko hatte jetzt aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse darauf hingewiesen, dass eine „Astra“-Impfung kombiniert mit einer Biontech- oder Moderna-Spritze frühestens vier Wochen danach einem „doppelten Astra“ in der Wirkung „deutlich überlegen“ sei. In eine offizielle Empfehlung ist das noch nicht gegossen.

Die Gesundheitsminister der Länder und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) haben sich aber schon einmal auf dieses neue Vorgehen verständigt. Leonhard kündigte für Hamburg an, dass es wohl noch diesen Monat neue Termine für Erstimpfungen geben werde. KV-Chef Plassmann sagte, vorziehen könne man die mit Astrazeneca Erstgeimpften vermutlich nicht, weil es an mRNA-Impfstoff fehle. Er appellierte außerdem: „Bitte gehen Sie nicht spontan in eine Arztpraxis. Setzen Sie sich erst mit der Praxis in Verbindung und sprechen Sie das weitere Vorgehen ab. In der Woche ab dem 12. Juli könnte die Lage anders aussehen.“

Hamburger Ärzte: Impf-Chaos befürchtet

Dr. Stefan Renz, Vorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Hamburg.
Dr. Stefan Renz, Vorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Hamburg. © HA | Marcelo Hernandez

Unter den Hamburger Ärzten grassieren Frust und Furcht vor langen Debatten. Monatelang haben sie mit Patienten über Astrazeneca diskutiert, haben ihre medizinischen Fachangestellten mit einem aufwendigen Einladungsmanagement und dem Abwehren Tausender Impfbegehren befassen müssen. Und nun kommt neue Unruhe in die Behandlungszimmer. Die 1. Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Dr. Jana Husemann, fürchtet ein "Chaos". Und: Wer zweimal mit Astrazeneca geimpft sei, werde von der Stiko verunsichert.

Immunisiert diese Impfung gegen die Delta-Variante? Husemann sagte: „Dies führt verständlicherweise zu einer erhöhten Kontaktaufnahme mit den Praxen und eine zusätzliche Belastung für unsere Praxisteams. Diese Frage kann jedoch auch von den Impfexperten des Robert-Koch-Instituts noch nicht zufriedenstellend beantwortet werden.“

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

Der Vorsitzende der Hamburger Kinder- und Jugendärzte, Dr. Stefan Renz, bedauert die stockende Impfkampagne und den Mehraufwand für die Praxen. Renz sagte, viele Impftermine würden abgesagt. Es drohe sogar bereits bestellter Impfstoff zu verfallen. Husemann wie Renz wunderten sich, warum die Stiko „über Nacht“ die seit Längerem bekannte Erkenntnis von verbesserter Wirkung durch eine kombinierte Astrazeneca-Biontech-Impfung verkündet habe. Dieses unabgestimmte Vorgehen sei „völlig unnötig gewesen“.