Hamburg. Wenn ein Mensch, der für tot gehalten wurde, plötzlich in der Leichenhalle wieder aufwacht. Die Geschichte im Crime-Podcast.

Plötzlich bewegt er sich. Ganz dezent nur, kaum wahrnehmbar, nach Stunden, in denen kein Lebenszeichen auszumachen war. Wie tot hat der Körper bis eben noch dagelegen, kalt, blass, die Pupillen starr, ohne dass ein Puls zu tasten wäre. Eine Atembewegung war ebenfalls nicht zu sehen.

Und nun also hat dieser vermeintlich Verstorbene sein Bewusstsein wiedererlangt, an diesem Ort, wo sonst nur die Toten ruhen: in einer Leichenhalle! „Das klingt gruselig und ein bisschen nach Horrorfilm. Scheintot – und lebendig begraben! Seit Jahrhunderten geht die Angst um vor der Aussicht, bei lebendigem Leib im Sarg zu landen, in der Kühlkammer oder sogar in der Erde“, sagt Rechtsmediziner Klaus Püschel im Abendblatt-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. „Doch was tun, wenn es dunkel um einen ist und die Hilferufe ungehört bleiben?“, fragt Mittelacher.

Wie feststellen, ob Tote wirklich tot sind?

Um sicherzustellen, dass jeder, der fälschlich für verstorben erklärt wurde, von den vermeintlich Toten auferstehen kann, hat der spätere Charité-Direktor Christoph Wilhelm Hufeland anno 1791 Mittel und Wege für einen Weg zurück ins Leben ersonnen. Der Mediziner setzte auf beheizte Leichenhäuser, einen Seilzug am Fuß und ein rettendes Glöckchen. Andere vertrauten darauf, dem Verblichenen eine Feder oder einen Spiegel vor Mund und Nase zu halten und zu beobachten, ob sich doch noch etwas regt.

Auch an den Särgen wurde seinerzeit getüftelt; es gab Modelle mit Fenster, Luftlöchern, Klingelzug oder auch mit Klappspaten als Zubehör. Und mancher, der jeden Zweifel ausräumen wollte, verfügte im Testament den Pulsaderschnitt oder sogar den „Herzstich“, bei dem ein spitzes Instrument zwischen die Rippen ins Herz gestoßen wurde. Nach einer solchen Prozedur war niemand mehr am Leben, wenn er begraben wurde. Todsicher.

Scheintod ist heute ein seltenes Phänomen

„Tatsächlich ist es in Zeiten, in denen zum Beispiel die Angst vor Epidemien und Ansteckung groß war, durchaus vorgekommen, dass ein vermeintlich Toter nicht mehr wirklich aus der Nähe angesehen oder gar untersucht wurde“, erklärt Püschel. „Es ist sehr gut denkbar, dass damals Menschen verscharrt wurden, die noch lebten. Heute allerdings handelt es sich bei dem Scheintod um ein höchst seltenes Phänomen. Bei 800.000 Toten in ganz Deutschland pro Jahr liegt die Anzahl solcher Fälle im einstelligen Bereich. Im Krankenhaus werden diese vermeintlich Verstorbenen manchmal ins Totenzimmer gebracht oder bereits in die Leichenhalle.“

Beim sogenannten Scheintod handelt es sich um einen Zustand tiefer Bewusstlosigkeit, bei dem der Körper völlig leblos erscheint. Dieser Schwebezustand wird auch als Vita minima bezeichnet, also Leben auf niedrigstem Niveau. Das Autorenduo Püschel/Mittelacher hat dieses Thema auch in ihrem Buch „Der Tod gibt keine Ruhe“ beschrieben.

17 Minuten lang Tod — und dann doch nicht

„Im Jahr 2002 habe ich selber mal einen entsprechenden Fall miterlebt“, erinnert sich der Rechtsmediziner. Eine 83 Jahre alte Dame brach in Hamburg-Lokstedt an einer Bushaltestelle zusammen. Rettungskräfte versuchten, sie wiederzubeleben. Nach 17 Minuten, in denen der Notarzt im EKG eine Nulllinie sah, wurden die Maßnahmen abgebrochen.

Später in der Leichenhalle der Rechtsmedizin bemerken Mitarbeiter, dass sich der Brustkorb der scheinbar Toten ganz leicht hebt und senkt. Jetzt ist auch ein langsamer Herzschlag feststellbar. Daraufhin wird sofort die Rettungskette alarmiert. „Und ich, der ich als diensthabender Arzt in der Nähe war, habe zeitweise selber die Herzdruckmassage durchgeführt“, so Püschel. Die 83-Jährige kommt in die Klinik, wo sie jedoch wenig später nach einem irreversiblen Herz-Kreislauf-Versagen stirbt.

Sichere und unsichere Todeszeichen

„Es gibt mehrere sichere Todes­zeichen“, erläutert Püschel. „Das sind Leichenstarre und Leichenflecke, Fäulnisveränderungen sowie Verletzungen, die mit dem Leben nicht zu vereinbaren sind – also wenn beispielsweise bei einem Verkehrsunfall einem Menschen der Kopf abgetrennt wurde. Unsichere Todeszeichen sind dagegen unter anderem lichtstarre Pupillen, Auskühlung und ein nicht messbarer Puls. Auf solche Signale darf man sich unter keinen Umständen verlassen.“ Auch wenn Püschel ganz auf die Wissenschaft vertraut, hat er Verständnis dafür, wenn es immer noch Menschen gibt, die sich davor fürchten, sie könnten lebendig begraben werden.

„Während meiner mehr als 40 Jahre in der Rechtsmedizin bin ich einige Male gebeten worden, persönlich sicherzustellen, dass die Menschen wirklich ganz eindeutig verstorben waren“, erzählt er. „Ich erinnere mich an Fälle, bei denen ich bei alten Menschen die große Schlagader am Handgelenk geöffnet und damit dokumentiert habe, dass sie sicher nicht mehr pulsierte.

Die betreffenden Personen hatten diese Form der Todesfeststellung ausdrücklich als letzten Willen schriftlich niedergelegt. Dieser letzte Wunsch rührt mich auch. Es gibt Situationen, in denen ich gegen die eigene Vernunft dem letzten Willen nachgebe, weil ich glaube, dass dieser Mensch damit seinen Frieden findet.“