Hamburg. Ver.di fordert nach dem Urteil zur Bezahlung von Ganztags-Pflegekräften eine Neuordnung: “Staat muss mehr Lasten übernehnmen.“

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur häuslichen Pflege und Betreuung von Angehörigen wird weitreichende Folgen haben. Darin sind sich Gewerkschaften, Diakonie und Wohlfahrtsverbände einig. Demnach dürfte es künftig nicht mehr zulässig sein, die zumeist aus Osteuropa stammenden Arbeitskräfte im Haus der zu betreuenden Person unterzubringen, um sie 24 Stunden lang beaufsichtigen und unterstützen zu lassen.

Das Gericht hatte den Fall einer Bulgarin verhandelt, die eine bettlägerige 90-Jährige rund um die Uhr zu betreuen hatte, aber aufgrund ihres Arbeitsvertrages nur für 30 Wochenstunden bezahlt wurde. Die Richter stellten fest, dass die Beschäftigung illegal war und sprachen der Frau einen Anspruch auf Mindestlohn für alle 24 Stunden am Tag zu.

Urteil zu Mindestlohn für Pflegekräfte: Das will Ver.di

Konsequenzen aus diesem Präzendenzfall ergeben sich sowohl für die Pflegekräfte, die bislang regelhaft von ihren Vermittlern Arbeitsverträge mit Stundenzahlen bekamen, die weit unter dem tatsächlich geleisteten Aufwand lagen, als auch für die betreuten Personen und ihre Angehörigen, die die Pflegeleistung oft gerade wegen des preiswerten Angebots in Anspruch genommen haben.

Laut der Gewerkschaft Ver.di ist es allerdings noch unklar, ob die Betreuungskräfte künftig wirklich mehr verdienen werden oder vielleicht in erster Linie nur kürzer oder gar nicht mehr beschäftigt werden. „Dies ist abzuwarten“, sagte Arnold Rekittke vom Ver.di-Fachbereich Gesundheit. „Aber diejenigen, die in diesem grauen Markt beschäftigt sind, haben jetzt ein Anrecht auf eine deutlich höhere Stundenvergütung. Unseres Erachtens nach müssen alle Verträge nun rechtskonform ausgestaltet werden.“

24 Stunden Pflege heißt künftig: Höhere Kosten und Schichtarbeit

Das bedeutet insbesondere, dass alle geleisteten Arbeits- und Bereitschaftsdienststunden mit dem Mindestlohn von 9,50 Euro vergütet werden und nicht länger als zehn Stunden am Stück gearbeitet werden darf. Wer also 24 Stunden Betreuung will, muss künftig nicht nur mehr zahlen, sondern auch in Schichten arbeiten lassen.

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„Wenn Menschen aus Osteuropa und anderen Ländern zu uns kommen und hilfsbedürftige Menschen betreuen, macht das deutlich: Wir brauchen sie“, sagte Maria Loheide von der Diakonie Deutschland. „Aber für sie müssen dieselben Regeln und Rahmenbedingungen gelten wie für alle anderen auch. Dazu gehören der Mindestlohn und die Begrenzung der Arbeitszeit durch das Arbeitszeitgesetz.“

Die privaten Haushalte, die oft gerade wegen der günstigen Preise die Pflege ihrer Angehörigen privat organisiert haben, stehen demnach vor einer Kostenlawine. Viele können sich die private Pflege ihrer Angehörigen dann nicht mehr leisten.

Ver.di fordert: "Der Staat muss mehr Lasten übernehmen"

„Ver.di fordert deshalb eine Neugestaltung der Pflegeversicherung“, sagte Rekittke. „Wir fordern eine solidarische Pflegegarantie. Damit einerseits Angehörige und Pflegebedürftige nicht überfordert werden und andererseits die Beschäftigten gute Gehälter bekommen. Hier muss der Bundesgesundheitsminister endlich tätig werden.“ Sprich: Die Pflegeversicherung soll reformiert werden und der Staat mehr Lasten übernehmen.

Rekittke: „Die Betreuung im häuslichen Kontext muss nun vermutlich anders geregelt werden. Vor allem die Langzeitpflege ist zu verbessern. Es kann nicht sein, dass gute Pflege für Angehörige und Pflegebedürftige zum Armutsrisiko wird.“