Hamburg. Vor 35 Jahren wurden die Weichen für den Ankauf des Hamburger Museumsschiffs gestellt. Fast wäre die Sache schiefgegangen.

Keiner sieht sie. Keiner kann sie orten. Während in Bangkok ein Wolkenbruch den anderen jagt, ist dort auf dem „Fluss der Könige“ eine Hamburger Expertenkommission unterwegs. In einem Langboot suchen die Männer die „Sangria“. Ein Schiff, dessen Name aus einer Schnapslaune heraus entstand. Die Hamburger wollen ihren Namensgeber, Eigentümer und Kapitän finden: den Inder Geoffrey Walker, Direktor der ­Navorient Maritime Limited, samt Schiff.

Der lange Weg der „Cap San Diego“

„Wo, zum Teufel, steckt diese ‚Sangria‘, die am 31. Oktober 1986 unter ihrem ehrwürdigen Erstnamen ‚Cap San Diego‘ ihre Wiederauferstehung feiern und danach zum Star des 800. Geburtstages des Hamburger Hafens werden soll?“, telegrafiert Abendblatt-Reporter Günter Stiller im August 1986 von Bangkok nach Hamburg.

Klatschnass springt der mitgereiste Kapitän a. D. Manfred Fraider in eine Telefonzelle und hat schließlich die wichtige Information: Das Schiff, einst der stolze „Schwan des Südatlantik“, liegt in Bangkok an der Pier 16 A. Dort treffen sie den Eigner in der Kapitäns­suite beim Curryschmaus, mit Bier und breitem Grinsen, bis er die Hamburger Delegation des Schiffes verweist, weil sie mit ihren Fotoapparaten Außenaufnahmen machen will.

„Das steht nicht im Vertrag. Verlassen Sie sofort mein Schiff! Hier habe immer noch ich das Sagen.“ In diesem Augenblick mögen die Hamburger auch kaum seinem Versprechen glauben, dass Walker mit dem Schiff tatsächlich am 31. Oktober in Hamburg ist.

Der Schiffseigentümer hatte ganz andere Pläne

Eigentlich hatte der Eigentümer mit seiner „Sangria“ ganz andere Pläne. Er wollte den Stückgutfrachter loswerden und verschrotten. Doch ein Hamburger Bündnis aus Senat, Maklern und maritimen Enthusiasten setzte alles daran, um das 1961 in der Deutschen Werft Hamburg gebaute Schiff der Cap-San-Klasse vor den Brennern und Pressen zu retten.

Als Stückgutfrachter fuhr das Schiff ab 1962 regelmäßig über den Atlantik.
Als Stückgutfrachter fuhr das Schiff ab 1962 regelmäßig über den Atlantik. © Hamburg Süd-Archiv | HA

Makler wie Helmut Wieck, Prokurist bei der Peter Döhle Schifffahrts-KG, und Experten wie Achim Quaas, damals wissenschaftlicher Volontär der Kulturbehörde und später Leiter des Hafenmuseums, waren beseelt von der Idee, das Schiff wieder nach Hamburg zu holen und für die breite Öffentlichkeit zu erhalten.

Dem Abendblatt liegt eine chronologische Darstellung der Akten aus dem Staatsarchiv über den Ankauf der „Cap San Diego“ vor.

Schiff fuhr regelmäßig über den Atlantik

Sie beginnt am 22. Mai 1986 mit dem Hinweis: „Telex Peter Döhle (Makler): Erlaubnis für Achim Quaas am 27.5. an Bord zu kommen (…) Fotos vom Schiffsinneren erlaubt; Außenaufnahmen in Stettin verboten.“ Danach berichtete der Mitarbeiter der Kulturbehörde Achim Quaas nach dem Besuch des Schiffes, das im polnischen Stettin lag, über den Zustand: „Laderaum 1 sauber und frisch gemalt“, heißt es da. Die letzte Dockung: 1984. Auch ein Kaufpreis wird in einer Notiz vom 3. Juni 1986 genannt: 880.000 US-Dollar.

Von Stettin aus werde die „Sangria“ weiterfahren mit 4000 Tonnen Zucker in Säcken bis nach Westitalien. In den besten Jahren fuhr der „Weiße Schwan des Südatlantik“ ganz andere Routen. Für die „Hamburg-Südamerikanische Dampfschiffahrts-Gesellschaft“ Eggert Amsinck“ (Hamburg Süd) verkehrte der Frachter regelmäßig im Liniendienst zwischen Hamburg und der Ostküste Südamerikas und absolvierte in dieser Zeit 120 Rundreisen – in jeweils rund 60 bis 70 Tagen.

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Frachtschiff wurden durch Containerschiffe abgelöst

Aus Rio de Janeiro brachte der 159 Meter lange Schnellfrachter Kaffee, Baumwolle und Halbedelsteine nach Europa, aus Argentinien Früchte und Fleisch, Häute, Schafswolle und Getreide, aus Salvador da Bahia Kakao und Tabak. Wie jedes der sechs baugleichen Schiffe der Cap-San-Klasse verfügte auch dieses über Kabinen für zwölf Fahrgäste – Kreuzfahrt-Ambiente auf einem weiß-roten Frachter.

Doch zu Beginn der 1980er-Jahre lösten Containerschiffe zunehmend die Frachtschiffe ab. Und so wurde der Stahlgigant verkauft, zunächst an die spanische Reederei Ybarra. 1986 übernahm die Multitrade-Shipping Inc. aus Monrovia die „San Diego“, und Kapitän Walker taufte sie in „San­gria“ um. Fortan fuhr sie unter der Flagge der Karibikinseln St. Vincent und die Grenadinen mit dem Heimathafen Kingstown.

Um das Schiff vor dem Hochofen zu retten, unterbreitete die Hamburger Kulturbehörde im Juni vor 35 Jahren dem damaligen Wirtschaftssenator Volker Lange den Vorschlag, die „Cap San Diego“ zu kaufen und als Ausstellungsschiff für den 800. Hafengeburtstag im Jahr 1989 zu präsentieren. Daraufhin folgten zahlreiche Behördenbesprechungen. Am 12. August 1986 beschloss der Senat der Erwerb des Schiffes.

2,24 Millionen D-Mark sowie 11.615 US-Dollar Nebenkosten

Im Protokoll heißt es: „Diese Kosten, sowie die laufende Unterhaltungen, werden, soweit sie die Nutzung als Museum betreffen, aus Mitteln für den geplanten Ausbau und Betrieb des Museums der Arbeit finanziert“. Der 12. August 1986 gilt als der offizielle Kauftermin und der Tag der Rettung für die „Cap San Diego“ vor der Verschrottung. Der Preis: 2,24 Millionen D-Mark sowie 11.615 US-Dollar Aufschubkosten.

Einen Tag später verkündete die Senatspressestelle, dass Hamburg die „Cap San Diego“ gekauft hat. Sie solle an der Überseebrücke zur Attraktion des 800. Hafengeburtstages werden. Volker Lange erklärte: „Die CSD kann seetüchtig gehalten werden und so auch als international (…) einsetzbares Werbeschiff für Hamburg und seinen Hafen dienen.“ Das Schiff befinde sich „in einem außerordentlich gepflegten Zustand“.

Im August reist dann eine Hamburger Expertenkommission nach Asien, um die „Sangria“ in Augenschein zu nehmen. Wolfgang Riedel, Leitender Ingenieur bei Hamburg Süd, sagt damals: „Die Maschinenanlage macht mir Kummer. Ich hoffe, dass das Schiff die Reise noch schafft.“ Im Maschinenraum sei viel Öl, da dürfte kein Feuer ausbrechen.

1986 macht die „Sangria“ in Cuxhaven fest

Zwei Monate später heißt es dann endlich: „Rolling Home“. Am 27. Oktober 1986 macht die „Sangria“ in Cuxhaven fest; die zwölfköpfige indische Mannschaft, die das Schiff von Colombo nach Hamburg gebracht hat, geht unverzüglich von Bord.

Am 31. Oktober legt das Schiff um 9 Uhr in Cuxhaven ab und fährt mit 200 Ehrengästen elbaufwärts zur Überseebrücke. Dort spielt das Musikkorps der Luftwaffe auf, der Michaelischor und der Chor der Kapelle Lyon dürfen wenig später sogar an Bord singen.

Am Nachmittag wird der „Weiße Schwan des Südatlantik“ offiziell an den damaligen Bürgermeister Klaus von Dohnanyi übergeben. Am Signalmast weht die Flagge der Hamburger Admiralität, deren Stiftung die neuen Eigentümerin des künftiges Museumsschiffes ist.

Größtes fahrtüchtiges Museumsfrachtschiff der Welt

Nach einer Generalsanierung kann die „Cap San Diego“ im Mai 1989 beim 800. Hafengeburtstag 3000 Gäste an Bord begrüßen. Schon damals ist klar, dass zur mittelfristigen Erhaltung „reichlich 20 Millionen DM – ohne Liegeplatzkosten“ notwendig sei würden, wie die Stiftung prognostiziert.

Heute gehört die „Cap San Diego“ fest zum maritimen Herz der Hansestadt – als das größte, fahrtüchtige Museumsfrachtschiff der Welt.