Hamburg. Bürgermeister Tschentscher stellt Lockerungen in Aussicht. Doch die Ausbreitung der Delta-Variante schränkt die Möglichkeiten ein.

Glück und Leid liegen auch in der Corona-Pandemie mitunter dicht beieinander. Zurückgehende Infektionszahlen (nach nur 19 neuen Fällen sank die Inzidenz in Hamburg am Dienstag auf 10,0), zunehmendes Impftempo mit 52.000 neuen Terminen im Impfzentrum, dazu weitere Lockerungen in Aussicht – das war die eine, die positive Seite der Medaille.

Die andere war unter anderem in der Innenstadt und am Hafen zu sehen und zu hören. Dort machten Event- und Kulturschaffende mit einem ohrenbetäubend lauten Umzug ihrem Unmut darüber Luft, dass sie nun seit mehr als einem Jahr immer noch weitgehend zur Untätigkeit verdammt sind – und forderten einen Neustart für ihre Branche.

Erste größere Musikparade unter Corona-Bedingungen

Unter dem Motto „Restart Culture Parade“ zogen ein Truck mit extrem lauter Musikanlage und Dutzende Teilnehmende von der Langen Reihe in St.  Georg zum Fischmarkt. Die Veranstalter hoffen auf Hilfen bis 2022 und Starthilfe für Unternehmen sowie Insolvenzschutz.

Event- und Kulturschaffende demonstrierten am Dienstag bei der Restart Culture Parade in Hamburg für die Rettung der Veranstaltungswirtschaft. Der Lkw-Korso war Teil der bundesweiten Aktion AlarmstufeRot - Night of Light.
Event- und Kulturschaffende demonstrierten am Dienstag bei der Restart Culture Parade in Hamburg für die Rettung der Veranstaltungswirtschaft. Der Lkw-Korso war Teil der bundesweiten Aktion AlarmstufeRot - Night of Light. © dpa | Marcus Brandt

Die „Restart Culture Parade“ ist eine von vielen Aktionen zur bundesweiten Protestaktion „Night of Light 2021“. Unter dem Hashtag #alarmstuferot leuchten viele Theater, Clubs, Denkmäler und Wahrzeichen in rotem Licht.

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Unterstützung kam von der Linkspartei. Die forderte den Senat auf, Flächen für Freiluft-Tanzveranstaltungen freizugeben, sich mit Clubs und Veranstaltern über Konzepte auszutauschen und Geld bereitzustellen. Ihr kulturpolitischer Sprecher Norbert Hackbusch verwies auf Berlin, wo Tanzen mit negativem Coronatest, FFP2-Maske, mit bis zu 250 Leuten und sogar mit Alkohol wieder erlaubt sei.

Erfreuliche Entwicklung

„Die Konzepte gibt es, worauf wartet Hamburg?“, fragte Hackbusch. „Die Clubs könnten wieder Programm anbieten, DJs könnten wieder arbeiten, und die Menschen könnten sich unter verantwortungsvollen Bedingungen bewegen und Musik genießen. Es wäre eine ,Win-win-win-Situation‘.“

Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) räumte in der Landespressekonferenz ein, dass der Senat angesichts der erfreulichen Entwicklung weitere Lockerungsschritte erwäge und dass dabei auch Tanzen unter freiem Himmel eine Rolle spiele: „Wir denken darüber nach. Es ist möglich, dass wir das in einem weiteren Öffnungsschritt auch für Hamburg vorsehen.“

Delta-Variante breitet sich in Hamburg aus

Gleichwohl mahnte er auch, dass die Stadt „das sichere Ufer“ noch nicht erreicht habe. Insbesondere die erstmals in Indien aufgetauchte Virus-Variante B1.167.2 bereite ihm Sorge. Wie schnell sie die Lage ändern könne, zeige sich in anderen Ländern: Lissabon sei am Wochenende abgeriegelt worden, und in Großbritannien stiegen die Infektionszahlen trotz deutlich weiter fortgeschrittener Impfquote wieder stark an. Wegen der ungleich höheren Infektionsgefahr in geschlossenen Räumen unterscheide der Senat bei seinen Lockerungsschritten daher „sehr konsequent zwischen außen und innen“, betonte der Bürgermeister.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Auch in Hamburg breitet sich die aggressive Delta-Variante weiter aus: Bis Dienstag wurde sie nach Angaben der Sozialbehörde in 27 Fällen nachgewiesen – sieben mehr als Ende letzter Woche. Zudem gibt es drei Verdachtsfälle. Einer davon betrifft ein Eimsbütteler Gymnasium. Laut unbestätigten Abendblatt-Informationen soll es sich dabei um eine Elftklässlerin handeln, die positiv auf das Coronavirus getestet wurde.

Immunisierung ist wichtigstes Instrument

Ob es sich tatsächlich um die Delta-Variante handelt, ist laut Sozialbehörde bislang nicht bestätigt. Die Kontaktpersonen seien, wie üblich, in Quarantäne versetzt und getestet worden. „Es handelt sich um eine geringe Anzahl von Kontaktpersonen“, sagte Behördensprecher Martin Helfrich. Eine besondere Betroffenheit junger Menschen oder anderer Gruppen von der Delta-Variante sei derzeit für Hamburg nicht festzustellen.

„Wir können sicher sein, dass diese Variante sich prozentual stärker ausbreitet, ich gehe jedenfalls sicher davon aus“, sagte der Bürgermeister. „Die Frage ist, ob dies irgendwann dazu führt, dass wir wieder einen Anstieg der Gesamt-Infektionszahlen haben.“ Dann habe man ein Problem und müsse gegensteuern. Wichtigster Hebel sei daher die Immunisierung der Bevölkerung: „Wir brauchen einen schnellen Impffortschritt“, so Tschentscher. „Wenn wir bis zum Herbst eine ausreichend hohe Impfquote erreichen, sind wir auch ein Stück weit gegen diese neue Variante geschützt.“

Eindringliche Warnung

Die Befürchtung, dass sich bei sinkender Inzidenz und einer bereits recht hohen Impfquote eine gewisse „Impfmüdigkeit“ breitmachen könnte, hat sich bislang nicht erfüllt. „Wir erleben nicht, dass Menschen deshalb nun auf ihre Impfung verzichten wollen“, sagte Sozialbehörden-Sprecher Helfrich. „Im Gegenteil ist die Nachfrage nach den Terminen weiterhin extrem hoch.“

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

Eindringlich warnte Helfrich zudem davor, sich von der derzeitigen Lage blenden zu lassen. „Wer sich gegen eine Impfung entscheidet, wird mindestens bis zum Jahresende mit zusätzlichen Auflagen und Einschränkungen im Vergleich zu Geimpften leben müssen.“ Es sei davon auszugehen, dass im Herbst etwa das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes trotz der Impfungen wieder deutlich an Bedeutung gewinnen werde.

Corona: Diese Testverfahren gibt es

  • PCR-Test: Weist das Virus direkt nach, muss im Labor bearbeitet werden – hat die höchste Genauigkeit aller Testmethoden, ist aber auch die aufwendigste
  • PCR-Schnelltest: Vereinfachtes Verfahren, das ohne Labor auskommt – gilt als weniger zuverlässig als das Laborverfahren
  • Antigen-Test: weniger genau als PCR-(Schnell)Tests, dafür zumeist schneller und günstiger. Laut RKI muss ein positives Testergebnis durch einen PCR-Test überprüft werden, ein negatives Ergebnis schließt eine Infektion nicht aus, insbesondere, wenn die Viruskonzentration noch gering ist.
  • Antigen-Selbsttest: Die einfachste Test-Variante zum Nachweis einer Infektion mit dem Coronavirus. Wird nicht von geschultem Personal, sondern vom Getesteten selbst angewandt. Gilt als vergleichsweise ungenau.
  • Antikörper-Test: Weist keine akute, sondern eine überstandene Infektion nach – kann erst mehrere Wochen nach einer Erkrankung sinnvoll angewandt werden
  • Insgesamt stellt ein negatives Testergebnis immer eine Momentaufnahme dar und trifft keine Aussagen über die Zukunft

Nach Angaben der Sozialbehörde sind in Hamburg bereits rund 80 Prozent der Menschen über 60 Jahren geimpft. Wie groß der Anteil jener ist, die sich auf keinen Fall impfen lassen wollen, lasse sich noch nicht abschätzen, da zahlreiche Impfungen für ältere Menschen zwar terminiert, aber noch nicht durchgeführt sind und damit noch nicht in der Statistik auftauchen.