Hamburg. Bezirksamtsleiter Michael Werner-Boelz (Grüne) will keine weiteren Einfamilienhäuser mehr sondern einen modernen Geschosswohnungsbau.
Bezirksamtsleiter in Hamburg gehören eher selten zu den Politikern, die bundesweit Schlagzeilen machen: Eigentlich liegt es sogar im Selbstverständnis eines Verwaltungschefs, eher geräuscharm die Geschicke des Bezirksamts zu leiten und eine leistungsfähige und bürgernahe Verwaltung zu organisieren. Trotzdem konnte sich der grüne Bezirksamtsleiter Michael Werner-Boelz in diesem Jahr kaum vor Presseanfragen aus dem In- und Ausland retten.
Auslöser war eine zugespitzte Überschrift im Internet über einem Artikel der „Welt am Sonntag“. Dort stand Ende Januar die Zeile: „Beliebt, aber bald verboten? Das Ende des Einfamilienhauses“ – und die Republik hatte ihr neues Aufregerthema. „Es war für mich überraschend, was da über mich hereingebrochen ist“, erzählt der 54-Jährige im Podcast „Was wird aus Hamburg?“
Zustimmung aus der Fachwelt für Michael Werner-Boelz
Denn der Beschluss, in neuen Bebauungsplänen im Bezirk Nord keine Einfamilienhäuser mehr auszuweisen, stand schon 13 Monate zuvor im Koalitionsvertrag von SPD und Grünen schwarz auf weiß – und war in der Hansestadt wie im Abendblatt kontrovers diskutiert worden. Plötzlich aber stieg das Eigenheimverbot zum Spitzenthema einer bundesweiten Debatte auf. „In dem Moment ging es ab – auch weil ein Medium da vom anderen abgeschrieben hat. Das hat sich hochgeschaukelt.“
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Inzwischen freut sich Werner-Boelz fast darüber: „In der Fachwelt habe ich sehr viel Zustimmung erfahren“, sagt der gebürtige Bayer. „Alle Metropolen stehen vor derselben Herausforderung: Wie gehen wir mit der endlichen Ressource Boden um, wenn gleichzeitig immer mehr Menschen in die Metropolen streben?“ Weitere Thermik kam in die Debatte, als sich Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter im „Spiegel“ seinem Landsmann Werner-Boelz anschloss.
Deutscher Traum
„Einparteienhäuser verbrauchen viel Fläche, viele Baustoffe, viel Energie, sie sorgen für Zersiedelung und damit auch für noch mehr Verkehr“, sagte der Bayer. In Städten gebe es „gigantische Wohnungsnot“: Deshalb sollten Kommunen durch Bebauungspläne dafür sorgen, dass der knappe Raum in Ballungsgebieten bestmöglich genutzt werde, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Außer Hofreiter hielten sich die Parteifreunde vornehm zurück. Das innerparteiliche Echo nennt Werner-Boelz „überraschend ruhig“: „Es gab keine Schimpfe, aber es gab auch keine Unterstützung.“
So recht verwundern kann die Zurückhaltung nicht. Denn Werner-Boelz hat an einen deutschen Traum gerührt – dem Traum vom eigenen Haus. Schon Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte 1954 das Ziel ausgegeben, auch Angestellte müssten ihr eigenes Haus oder ihre eigene Wohnung erwerben können.
Bestand an Einfamilienhäusern ist bundesweit von knapp 14 auf 16 Millionen gestiegen
Der Traum lebt ungebrochen: Allein seit der Jahrtausendwende ist der Bestand an Einfamilienhäusern bundesweit von knapp 14 auf 16 Millionen gestiegen. Der Bezirksamtsleiter stellt klar: „Ich möchte das keinem madig machen – man kann ja auch aus dem Bestand ein Einfamilienhaus kaufen.“ Er selbst wohnt seit 30 Jahren in einem „sehr kleinen Reihenhaus“ der Saga. „Das hat seinen Charme. Aber ich muss als Politiker Antworten auf zentrale gesellschaftliche Fragen finden.“
Zuletzt legte er in der Bauwelt und dem Abendblatt noch nach: „Das Einfamilienhaus ist leider keine Lösung – es ist vielmehr Teil des zentralen Problems in den Metropolen der Gegenwart.“ Es gehe um bezahlbaren Wohnraum, sagt der Bezirksamtsleiter. Der aber ist rar. Rund die Hälfte der Haushalte in Hamburg habe inzwischen Anspruch auf geförderten Wohnraum.
Im Winterhuder Pergolenviertel entstehen 1700 Wohnungen
Werner-Boelz rechnet vor, dass allein in seinem Bezirk jedes Jahr 1200 neue Wohnungen gebaut werden müssen, damit die versprochenen 10.000 Wohnungen in Hamburg entstehen können. „Mit Blick auf das Ende der Legislaturperiode wird es eng, jedes Jahr 1200 Wohnungen zu bauen. Da müssen wir kreative Lösungen finden.“
In den vergangenen Jahren hat der Bezirk diese Vorgaben mit einem Schnitt von rund 2000 Einheiten stets übererfüllt. So entstehen am Tarpenbeker Ufer in Groß-Borstel 940 Wohnungen, im Winterhuder Pergolenviertel sogar 1700 Wohnungen. „Wir sehen aber, dass die Flächen endlich sind.
Der Bezirk Nord ist der am dichtesten besiedelte Bezirk in Hamburg. Den Stadtpark, den Friedhof Ohlsdorf und den Flughafen wollen wir nicht antasten. Wir haben ein echtes Problem.“ Eine Vertreibung junger Familien ins Umland fürchtet Werner-Boelz durch seine Politik nicht. „Das urbane Leben hat einen Reiz: Hamburg ist hochattraktiv, weil die Infrastruktur gut ist, die Menschen gute Bildungseinrichtungen, ein umfassendes Sport- und Freizeitangebot, eine optimale Gesundheitsversorgung und Arbeitsplätze finden.“
In manchen Stadtteilen im Bezirk sind Einfamilienhäuser stilprägend
Er gönne jedem sein Einfamilienhaus, bei seiner Kritik gehe es nicht um Sozialneid. Aber Werner-Boelz sagt auch: „Politik und Verwaltung sind dem Gemeinwohl verpflichtet: Wir müssen möglichst vielen Menschen bezahlbaren Wohnraum ermöglichen und nicht wenigen Einzelnen ein Einfamilienhaus.“ Aber gehören Reihenhäuser, Doppelhaushälften und Villen nicht zum Ideal der durchmischten Stadt?
Alsterdorf, Groß Borstel, Ohlsdorf, Langenhorn – in manchen Stadtteilen im Bezirk sind Einfamilienhäuser stilprägend. „Die müssen ja auch nicht abgerissen werden. Der Bestand wird nicht angetastet – uns geht es um neue Quartiere. Und da gibt es keine andere Lösung.“ Auch Doppelhäuser und Reihenhäuser sollen nicht mehr in neuen Baugebieten entstehen. „Wir wissen nicht mehr, wie wir unsere Wohnungsbauziele sonst schaffen sollen. Wir müssen andere Wege gehen.“
Flächen effektiv nutzen
Einer dieser Wege ist das Programm Lüdia (Leben über dem Discounter in Aussicht). So hat der Bezirk zu den Supermarktbetreibern Kontakt aufgenommen, ob die oft eingeschossigen Bauten nicht mit Wohnungen entwickelt und aufgestockt werden könnten. Einen ersten Erfolg landete der Bezirk beim Discounter Aldi, der an der Langenhorner Chaussee eine Filiale mit 15 Wohnungen auf dem Gebäude eröffnete. Insgesamt sieht Werner-Boelz aber noch Luft nach oben: „Wir hätten uns noch mehr Resonanz von den Unternehmen gewünscht.“
Ein weiterer Weg zu mehr Wohnraum sieht der studierte Sozialökonom mit bayerischem Migrationshintergrund in der effizienten Nutzung der raren Flächen. „Aus meiner Sicht geht das nur im Geschosswohnungsbau. Und ich gehe noch weiter: Wir müssen noch höher bauen.“ Auch zwölf Geschosse müssten keine Sünde sein. Er fordert aber einen architektonisch und städtebaulich hochanspruchsvollen Geschosswohnungsbau, der „die Sehnsucht nach Ruhe gewährt und Möglichkeiten des Gemeinschaftserlebnisses eröffnet“. Man könnte Reihenhäuser stapeln mit versetzten Gärten und darüber Maisonettewohnungen mit Balkonen bauen.
Pergolenviertel sei ein hochinnovatives Quartier
„Viele setzen ja Geschosswohnungsbau mit Plattenbau gleich: Ich fahre mit den Skeptikern gern ins Pergolenviertel.“ Das Quartier sei ein hochinnovatives Viertel mit Grünflächen, sozialen Einrichtungen, bewachsenen Innenhöfen und Hochbeeten zum gemeinschaftlichen Gärtnern, mit Gastronomie. „Das ist ein tolles Viertel geworden“, sagt Werner-Boelz. „Und da wollen wir im Diekmoor nachlegen und mit Holz ein hochinnovatives Quartier schaffen.“
Die letzte Potenzialfläche in Nord ist das Landschaftsschutzgebiet Diekmoor nahe der U-Bahn Langenhorn-Nord. Auf 16 Hektar der insgesamt 65 Hektar großen Naturfläche sollen bis 2026 etwa 700 Wohnungen entstehen, 60 Prozent davon gefördert. Kleingärten müssen weichen – entsprechend groß ist der Widerstand vor Ort: „Das Gelände ist für den ganzen Stadtteil von großer Bedeutung: Die Langenhorner nutzen das Diekmoor als Naherholungsgebiet“, betont die Bürgerinitiative „Rettet das Diekmoor“.
Ihre Befürchtung: „Sollte das Bauprojekt umgesetzt werden, müsste das Moor vor Baubeginn trockengelegt werden. Geschützte Biotope gingen verloren, der Lebensraum vieler hier lebender Tierarten würde zerstört werden.“
Verständnis für Widerstand der Kleingärtner
Der grüne Bezirksamtsleiter hält dagegen: „Ich kann den Widerstand der Kleingärtner nachvollziehen, die ihre Parzelle aufgeben müssen, aber wir müssen abwägen: Diese Fläche ist seit 1997 im Flächennutzungsplan für Wohnbebauung vorgesehen. Seit 2011 haben wir in der Bezirksversammlung über alle Parteigrenzen hinweg – mit Ausnahme der Linken – den Beschluss immer wieder bestätigt. Alle wussten, dass da eines Tages gebaut wird.“
Nun beginne die Rahmenplanung, dann folge die Bürgerbeteiligung und schließlich ein Wettbewerb. Von den 16 Hektar sei zudem die Hälfte für neue Gärten eingeplant, für den Rest gebe es Ausgleichsflächen. „49 Hektar werden nicht angetastet – und das sind die hochwertigeren Flächen.“
Stolz ist Werner-Boelz auf das gerade fertiggestellte Fahrradparkhaus an der Kellinghusenstraße, das erste seiner Art in der Hansestadt. „Das ist ein Vorzeigeobjekt, dem weitere folgen werden“, sagt er. Ausdrücklich wirbt er angesichts der Herausforderungen durch den Klimawandel für die Verkehrswende. „Wir müssen die Straßenfläche anders verteilen“, sagt er. Derzeit beanspruchten die über 800.000 angemeldeten Pkw eine Fläche, die rund sechsmal so groß ist wie die Außenalster. „Viele dieser Fahrzeuge sind in Wahrheit Stehzeuge, da sie mindestens 23 Stunden am Tag nicht bewegt werden.“
Es drohen erhebliche Verteilungskonflikte
Er ist sich bewusst, dass erhebliche Verteilungskonflikte drohen: „Dagegen sind die Konflikte um das Diekmoor ein laues Lüftchen.“ Wenn kostenlose Parkplätze wegfallen oder Straßen zurückgebaut werden, gebe es harte Konflikte. „Wir können aber keinen anderen Weg gehen. Es muss attraktiv sein, auf das Auto zu verzichten.“
In erster Linie müsse es Verbesserungen im öffentlichen Nahverkehr geben, aber ganz ohne Verbote werde es nicht funktionieren: „Es ist nicht zukunftsweisend, in den hochverdichteten Quartieren den eigenen Pkw kostenlos abstellen zu können.“ Das Anwohnerparken solle ausgebaut werden, sagt Werner-Boelz. „Da werden neue Quartiere dazukommen.“