Hamburg. Er ist „Tagesschau“-Sprecher und Buchautor. Schreibers Roman „Die Kandidatin“ erreicht nun die Bestsellerlisten.

Es war ein Abend im Februar 2018: Die „Zeit“-Stiftung hatte zu einem hochkarätigen Symposium in die Petrikirche geladen. Bei der Konferenz ging es um die Zukunft der Religion – und der „Tagesschau“-Sprecher und Nahost-Experte Constantin Schreiber durfte sein Buch „Moscheereport“ vorstellen.

Constantin Schreiber – Journalist durch und durch

Der junge Journalist machte es so eloquent wie eindrücklich, erzählte ungeschönt von fundamentalistischen Tendenzen in deutschen Moscheen – ganz so, wie ein Predigt-Slam am selben Abend alle ermuntert hatte: „Tritt fest auf, mach’s Maul auf!“

Doch gleich die erste Frage in der folgenden Diskussion geriet zu einer Anklage. Man wolle hier doch bitte keiner Islamophobie die Bühne bereiten, betonte ein Hamburger. Der Journalist Schreiber gab ein scharfes Kontra. Er sei hier, um seine Recherchen und Erkenntnisse darzulegen, da verwahre er sich gegen derlei Unterstellungen. Daraufhin brandete Applaus auf in der neugotischen Hallenkirche. Schreiber kann nicht nur freundlich, er kann auch sehr bestimmt sein. Vor allem kann er Journalismus.

Kindheit geprägt von Wasser und Freiheit

Dabei war sein Weg in die Branche nicht vorgezeichnet: Constantin Schreiber wurde 1979 in Cuxhaven geboren und wuchs in Wilhelmshaven auf, wo sein Vater Oberstadtdirektor war. Es war eine Kindheit, die vom Wasser geprägt war und von Freiheit. „Wir waren viel draußen und auf Booten unterwegs“, erzählt er. Größere Berührungspunkte zum Journalismus gab es nicht, allerdings waren zwei Zeiten im Elternhaus stets gesetzt: Um 19 Uhr schaute Familie Schreiber „Heute“ und um 20 Uhr die „Tagesschau“.

Heute ist er Sprecher des Nachrichten-Flaggschiffs der ARD: „Es macht mich stolz, dass ich dort stehen darf, wo früher die Menschen mir die Welt erklärt haben“, erzählt Schreiber. Er sitzt für dieses Porträt zum ersten Mal in der Strandperle in Övelgönne.

Schreiber zog erst vor Kurzem nach Hamburg

Erst vor wenigen Wochen ist er mit seiner Familie nach Hamburg gezogen. Damals waren Kneipen und Restaurants geschlossen. Er trinkt seinen Latte macchiato, den Arm hat er locker über die Rückenlehne der Bank gelegt. Die Maske nimmt er erst ab, als ihm auffällt, dass diese gar nicht vorgeschrieben ist. Er zeigt sich locker, unprätentiös und professionell zugleich. Er weiß, was er erzählen möchte – und was er lieber nicht in der Zeitung lesen mag.

Genug zu berichten gibt es auch so. Der Zufall stellte viele Weichen in seinem Lebenslauf. „Wir hatten in Wilhelmshaven Freunde, die aus Syrien kamen.“ Nach seinem Abitur reiste er in das Land. „Das war ein Kulturschock“, erzählt er. „Es gab kaum Touristen im Land, ich habe in den sechs Monaten vielleicht 20 Europäer getroffen.“ Der junge Deutsche genoss das Abenteuer.

Binnen weniger Monate lernt er Arabisch – weil er muss

„Ich habe das Land als nicht so fremd erlebt, es war weniger arabisch und orientalisch, als ich erwartet hatte“, sagt er. So hätten die meisten Frauen kein Kopftuch getragen. Vorboten des Bürgerkriegs, der das Land nach 2011 ins Verderben stürzen wird, spürte er nicht. Allerdings fiel ihm auf, dass Muslime und Christen voneinander getrennt in ihren eigenen Welten lebten.

Schreiber wohnte damals bei einer christlich-orthodoxen Familie. „Ihr Lebensstil war fast schon europäisch – ich fühlte mich ein wenig an Süditalien erinnert.“ Weil kaum jemand eine Fremdsprache beherrschte, lernte Schreiber notgedrungen die Sprache seiner Gastgeber. „Zunächst konnte ich kein Wort Arabisch. Ich habe dann angefangen, in Lautschrift die Begriffe aufgeschrieben. Es ist erstaunlich, wie schnell man eine Sprache lernen kann, wenn man muss.“ Die arabische Schrift sei gar nicht so schwierig, die Aussprache schon komplizierter und die Grammatik extrem komplex.

Moderator für ägyptischen Fernsehsender

Seine Sprachkenntnisse halfen ihm später weiter: Für den ägyptischen Sender ONTV übernahm er 2011 die Moderation der Wissenschaftssendung „SciTech – Unsere Welt von morgen“, die dem ProSieben-Magazin „Galileo“ nachempfunden ist. Eigentlich wollte der ONTV-Programmchef in Deutschland nur Wissenschaftsbeiträge kaufen. Auf Empfehlung bekam er den Moderator gleich dazu.

Zu dieser Zeit hatte sich Schreiber längst dem Journalismus verpflichtet. Dabei musste er zunächst ein paar Umwege gehen. Erst studierte er zwischen 1998 und 2002 Jura in Passau, „manchmal habe ich mich in Niederbayern fremder gefühlt als in Syrien“, lacht er. Auch in seinem ersten Job im Con­trolling der NordLB fand er keine rechte Heimat: „Das war nicht meine Erfüllung.“

Arabisch-Kenntnisse hilfreich bei der Jobsuche

Da traf es sich gut, dass der Nachrichtensender N24 vor dem Irakkrieg 2003 jemanden suchte, der Arabisch spricht und Original-Quellen überprüfen kann. „Als der Krieg anfing, konnte ich plötzlich auch selbst Beiträge produzieren. Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich Journalist werden wollte.“

Zwei Jahre volontierte er dann bei der Deutschen Welle und ging anschließend in den Nahen Osten, arbeitete als Reporter für eine libanesische Tageszeitung und berichtete als Korrespondent des arabischen Programms der Deutschen Welle in Dubai.

2009 wurde Schreiber Medienberater im Auswärtigen Amt für den Nahen Osten – bis er 2011 zum Medienstar in Ägypten avanciert. In der Heimat lernten ihn die Zuschauer als n-tv-Moderator und Berichterstatter aus dem Nahen Osten kennen.

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Grimme-Preis für sein Onlineformat „Marhaba“

Als 2015 Hunderttausende Flüchtlinge aus dem Nahen Osten nach Deutschland kommen, denkt er sich das Onlineformat „Marhaba – Ankommen in Deutschland“ aus. In kurzen Videos erklärt er auf Arabisch mit deutschen Unter­titeln das Leben im Land, seine Gesetze und Gewohnheiten, seine Traditionen und Schrullen. „Damals konnte ich einfach loslegen, weil die sozialen Medien nicht so im Fokus der Aufmerksamkeit standen wie jetzt. Heute würden da drei Chefredakteure draufgucken“, sagt Schreiber und lacht.

Ein halbes Jahr investiert er viel Zeit und Energie in sein ehrenamtliches Projekt: „Nachts hat unsere Tochter geschrien, vor der Arbeit habe ich am Gendarmenmarkt gedreht und in der Mittagspause noch O-Töne gesammelt. Das war schon eine Grenzerfahrung.“ Die kleinen Videos werden ein großer Erfolg. Flüchtlinge sprechen ihn auf der Straße an, Schreiber gewinnt für das Format den renommierten Grimme-Preis.

„Für die Migranten, die im vergangenen Jahr nach Deutschland kamen, war ,Marhaba TV‘ eine perfekte Hilfestellung – und das auch noch auf kurzweilige Art und Weise“, lobt die Jury. Zugleich schäumen Nazis, überhäufen ihn mit Drohmails: „Ich knall Dich ab, Du linke Sau“, schreiben sie oder: „Ich werde Dich finden und zersägen.“

In manchen Moscheen stieß Schreiber auf Ablehnung

Davon lässt sich Schreiber nicht beirren. Er wagt sich weiter an brenzlige Themen. Ein weiterer Zufall führt ihn an die Spitze der „Spiegel“-Bestsellerlisten. „Wir haben bei einer Freitagspredigt gefilmt, und dabei sind mir antisemitische Schriften aufgefallen, die dort auslagen.“ Seine journalistische Neugier ist geweckt.

„Wir wissen wenig, was in den Moscheen am Freitag gepredigt wird.“ Schreiber geht daraufhin in rund 20 Moscheen – und oft befremdet nach Haus. „Dort wurde nicht zum Heiligen Krieg aufgerufen“, stellt Schreiber klar. „Aber oft wurde vor Deutschland gewarnt – und vor der Integration.“ Seine Recherchen bündelt er im Buch „Inside Islam – Was in Deutschlands Moscheen gepredigt wird“, parallel produziert er die TV-Reihe „Moscheereport“ für Tagesschau24.

2019 erscheint sein nächstes Sachbuch „Kinder des Koran“, der nächste Bestseller. Darin untersucht er, welches Geschichts- und Gesellschaftsbild Schulbücher aus Afghanistan, dem Iran, Ägypten, Palästina oder der Türkei vermitteln. Schreiber findet Geschlechterklischees, politische Propaganda und religiöse Intoleranz.

„Die Kandidatin“ – Erstes belletristisches Buch von Schreiber

Die Einnahmen aus seinen Sachbüchern fließen in die von ihm gegründete Toleranz-Stiftung. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, journalistische Arbeit etwa in Schulen besser zu vermitteln und dadurch Vertrauen in die Arbeit von Medien zu stärken. „Leider hat die Stiftung unter Corona gelitten“, sagt Schreiber. „Wir konnten bisher noch nicht richtig loslegen.“

Er selbst hat die vergangenen Monate im Lockdown genutzt, sein erstes belletristisches Buch zu schreiben. Es besticht weniger durch große Erzählkunst als vielmehr durch eine visionäre Weitererzählung der Gegenwart; es ist eine Groteske, die groteskerweise jeden Tag realer wird. In „Die Kandidatin“ treibt er die Identitätspolitik dieser Tage auf die Spitze: Quoten bestimmen das Leben, die Diversity-Hymne ersetzt die Nationalhymne, in den Pässen stehen „Vielfaltsmerkmale“, die Minderheiten nach oben bringen. Nun soll eine Muslima Kanzlerin werden, aber das Land steht am Rande des Bürgerkriegs.

Die „Tagesschau“ als deutsches Kulturgut

„Die Kandidatin“ trifft einen Nerv. Schon wenige Wochen nach der Veröffentlichung steht das Buch auf der Bestsellerliste, die vierte Auflage ist in Druck. „Wir erleben derzeit eine Dynamik in der Debatte, die mir Sorgen macht“, sagt Schreiber. „Es heißt immer, es gehe um mehr Gerechtigkeit – aber ist es gerecht?“ Aus seinem eigenen Bekanntenkreis kennt er die Geschichte einer gescheiterten Bewerbung. Eine Freundin bekam den Job nicht, weil das Auswahlkomitee „den Migrationshintergrund vermisste“. Dabei stammt sie aus Polen ...

In der Pandemie stößt die Familie Schreiber, die mit zwei kleinen Kindern im Alter von zwei und sechs Jahren im Hamburger Westen wohnt, oft an Grenzen – etwa weil die Betreuung ausfiel. „Ich musste einmal meine Tochter mit in den Sender nehmen – während ich die Nachrichten sprach, spielte sie im Sprecherzimmer.“

Ist der Job als „Tagesschau“-Sprecher für ihn als Vollblutjournalisten nicht zu wenig? Schreiber verneint vehement: „Es ist etwas Besonderes, diese Sendung zu machen. Die ,Tagesschau‘ ist eine Institution, ein deutsches Kulturgut wie Aspirin und Tempo. Das hat keine andere deutsche Sendung.“