Leo Lippmann ​war Hamburgs erster jüdischer Staatsrat. Ausgrenzung und Verfolgung trieben ihn in den Tod.

In seiner Autobiografie „Mein Leben und meine amtliche Tätigkeit“ schrieb Leo Lippmann (1881–1943) im Winter 1934/35: „Und ich glaube auch durch meine eigene Lebensführung, vor allem durch mein amtliches Wirken, bewiesen zu haben, dass ich wie ein guter Deutscher empfinde und handele.“

Leo Lippmann war ein Hamburger Patriot

Lippmann war ein Hamburger Patriot, der sich im Dienst seiner Geburtsstadt aufrieb, sehr viel Positives bewirkte und dem dabei eine beispiellose Karriere gelang. Doch der Dank der „Vaterstadt“ währte nicht lange. Als Jude wurde er während der NS-Zeit aus seinem geliebten Amt verjagt, gesellschaftlich und persönlich ausgegrenzt und schließlich in den Tod getrieben.

Und trotz alledem blieb Lippmann bis zuletzt seiner Heimat innerlich verbunden. Er war tiefer und ehrlicher patriotisch als diejenigen, die sich aufschwangen, seine Jäger zu werden und – indirekt – zu seinen Mördern wurden.

Ein prägendes Elternhaus mit national-liberaler Haltung

Wie die Lippmann-Biografin Ina Lorenz, langjährige stellvertretende Leiterin des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg, nachweist, löst sich Lippmann trotz der entsprechenden Erziehung schon als Junge innerlich vom Judentum. „Der geistig-kulturelle Zugang richtet sich für Leo Lippmann nur am nichtjüdischen Bildungshorizont aus“, schreibt Lorenz.

Und weiter: „In der Familie weiß man sich in wilhelminischer Zeit eins mit dem national-liberalen Bürgertum. Der Zeitgeist, gespeist aus Bewunderung für Bismarck und ,Deutschlands Größe‘, prägt die deutsch-nationale Erziehung durch das Elternhaus.“

Der studierte Jurist Lippmann, seit 1906 mit der ebenfalls aus einer jüdischen Familie stammenden Anna von der Porten verheiratet, leistet während des Ersten Weltkriegs im neu gegründeten Kriegsversorgungsamt exzellente Arbeit.

Lippmann ist erster jüdischer Hamburger Staatsrat

Der leidenschaftliche Beamte, der den Versailler Vertrag und den Gedanken an eine deutsche Schuld am verloren gegangenen Weltkrieg strikt ablehnt, macht schnell Karriere in der Finanzbehörde. Er wird zum Leiter der gesamten Vermögens- und Finanzverwaltung der Millionenstadt ernannt und ist von 1921 an erster Staatsrat (damals: Senatssekretär) jüdischen Glaubens einer Hamburger Behörde. Er verbindet dabei laut Ina Lorenz „eine natürliche mit einer sachbetonten Autorität“.

Doch 1933 zählen Lippmanns hohe Verdienste in insgesamt 26-jähriger amtlicher Tätigkeit nicht mehr. Auf Druck von NS-Bürgermeister Krogmann muss er im März 1933, nur sechs Tage nachdem er vom neuen Senat im Amt bestätigt worden war, zwangsweise „Erholungsurlaub“ einreichen, der zum Abschied aus dem Dienst wird. Die endgültige Entlassung erfolgt im Juni. Der an ein enormes Arbeitspensum gewöhnte Lippmann nutzt die ihm (O-Ton) „aufgezwungene Muße“ zunächst, um seine Autobiografie zu schreiben.

Lesen Sie auch

1935 wird Lippmann Vorstand derJüdischen Gemeinde

Der Leo-Lippmann-Saal in der Hamburger Finanzbehörde.
Der Leo-Lippmann-Saal in der Hamburger Finanzbehörde. © Unbekannt | David Altrath

1935 findet Lippmann dann ein neues Betätigungsfeld, indem er sich der Jüdischen Gemeinde als Vorstandsmitglied zur Mitarbeit zur Verfügung stellt. Im November 1935 erfolgt seine Berufung in den Vorstand der Gemeinde, im Dezember leistet er den vorgeschriebenen Amtseid.

Dabei stellt Lippmann laut einer Niederschrift klar, dass er „in der jetzigen Zeit weiter als Deutscher empfinde“. Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehört die Sanierung der Finanzen, und 1937 betreibt er die Vereinigung der jüdischen Gemeinden Hamburg, Altona und Wandsbek.

Lippmanns Patriotismus und seine unverbrüchliche Liebe zu Hamburg scheinen ihm den Blick für die Gefahr verstellt zu haben, in der er und seine Frau von 1933 an schweben. Kaum zu glauben: Nachdem er aus dem Dienst gejagt worden war, versucht er zunächst, sich sein Amt unter Hinweis auf formale Fehler bei der Entlassung zurückzuerkämpfen. Vergeblich.

Lippmann bewirbt sich für Dienst im judenfeindlichen Staatsapparat

Als Reichsinnenminister Wilhelm Frick dann nach Beginn des Zweiten Weltkriegs Ruhestandsbeamte dazu aufruft, sich bei den Behörden für die Aufnahme einer Tätigkeit zu melden, bewirbt sich Lippmann gleich wieder für den Dienst im mittlerweile offen judenfeindlichen Staatsapparat.

„Ich bin bereit, einfache Büroarbeit, sei es bei einer Behörde, sei es bei einer dem Staat oder der Gemeinde nahe stehenden Gesellschaft zu übernehmen, wenn ich nur durch meine Arbeit irgendwie helfen kann“, schreibt der Mann, der während der Weimarer Republik zusammen mit dem jeweiligen Senator die gesamte Finanz- und Steuerpolitik Hamburgs verantwortet hatte. Laut Ina Lorenz dokumentiere die „offensichtliche Realitätsfremdheit“, die Lippmann dabei an den Tag legt, „mehr als alles andere dessen Verzweiflung“.

Lippmann und seine Frau bleiben bis zu letzt in Hamburg

Während zahlreiche Verwandte emigrieren, zögern Lippmann und seine Frau die rettende Auswanderung lange, zu lange, hinaus. Mal macht Leo Lippmann dabei seine Verpflichtungen gegenüber der jüdischen Gemeinde geltend, mal die Betreuung der betagten Schwiegermutter. Obwohl Lippmann, wie Ina Lorenz vermutet, weiß, was es mit den Transporten zu angeblichen „Altengettos“ in Theresienstadt in Wahrheit auf sich hat, harrt das kinderlose Paar, das über Jahrzehnte an der Sierichstraße wohnt, in der Stadt aus.

Als sich die todbringende Schlinge der Gestapo immer enger um die verbliebenen Hamburger Juden zieht, fühlen sich die beiden dann wiederum zu alt für die Auswanderung, Leo Lippmann leidet zudem an Ohnmachtsanfällen, Schwindel und massiver Schwerhörigkeit – Symptome der Menièreschen Krankheit, die man bei ihm diagnostiziert.

Stolperstein Leo Lippmann vor der Finanzbehörde - Zeit ist flexibel - Wir machen eine historische Geschichte über den ehemaligen jüdischen Staatsrat Leo Lippmann, der nach der Machtergreifung sein Amt verlor und sich vor der Verschleppung ins Konzentrationslager mit seiner Frau umgebracht hat
Stolperstein Leo Lippmann vor der Finanzbehörde. © Funke Foto Services | Marcelo Hernandez

Gemeinsamer Selbstmord im Juni 1943

Isoliert und verlassen verbringen die Lippmanns ihre letzten Jahre in ihrer einst vertrauten Umgebung, die ihnen täglich fremder wird. Und auch ihr letzter Weg ist von Einsamkeit geprägt. Einige Zeit bevor sich Leo Lippmann gemeinsam mit seiner Frau am Vormittag des 11. Juni 1943 das Leben nimmt, hatte er an seinen Bruder Arthur geschrieben: „Wir fühlen uns dem neuen Schweren nicht mehr gewachsen, gedenken dankbarst Eurer und Eurer Kinder steter Liebe.“

Ein Deportationsbefehl für die Lippmanns lässt sich nicht nachweisen, er hätte sie aber mit Sicherheit ereilt. Bereits im März hatten beide eine Anweisung unterzeichnet, die von tiefer Resignation zeugt. Unter anderem heißt es darin: „Wir bitten von jeglicher Ceremonie, Rede oder Feier bei der Überführung der Leichen und bei der Beisetzung abzusehen.“ So geschieht es, und an der stillen Trauerfeier auf dem Ohlsdorfer Friedhof nehmen nur rund 25 Personen teil.

Im Jahr 1984 werden die Urnen zum benachbarten jüdischen Friedhof an der Illandkoppel umgebettet, wo sich auch heute noch der Grabstein befindet.