Hamburg. Das Institut erforscht seit 50 Jahren, wie sich Konflikte zwischen Staaten lösen lassen und Gewalt verhindert werden kann.

Michail Gorbatschow hatte Hunger mitgebracht, als er um 11.15 Uhr am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) eintraf. Auf eine Mittagsbewirtung um diese Zeit war die Spitzenriege des Instituts um den früheren Bundesminister Egon Bahr allerdings nicht vorbereitet; die Herren speisten normalerweise erst später. Kurzerhand orderten sie für den prominenten Gast belegte Brötchen von einem Lokal unterhalb des damaligen Institutssitzes am Falkenstein in Blankenese.

„Gorbatschow aß mit großem Appetit“, erinnert sich IFSH-Forscherin Margret Johannsen, die an jenem 11. März im Jahr 1992 das Gespräch mit dem letzten sowjetischen Staatschef und Wegbereiter der deutschen Wiedervereinigung protokollierte. Dabei ging es um neue europäische Sicherheitsstrukturen nach dem Ende des Kalten Krieges, um Ideen zur Abrüstung und eine wissenschaftliche Kooperation zwischen der Gorbatschow-Stiftung und dem IFSH.

Hamburger Senat würdigt Jubiläum des IFSH

Auch weitere bekannte Persönlichkeiten, unter ihnen etwa der frühere US-Diplomat John Kornblum, besuchten die renommierte Einrichtung an der Universität Hamburg, die sich mit ihren Analysen und Bewertungen der Weltlage einen Namen gemacht hat.

1993 trafen sich der OSZE-Botschafter der USA, John Kornblum (r.), und US-Botschafter Jonathan Dean mit Egon Bahr (l.).
1993 trafen sich der OSZE-Botschafter der USA, John Kornblum (r.), und US-Botschafter Jonathan Dean mit Egon Bahr (l.). © IFSH/Hans-Georg Ehrhart

Als wissenschaftlicher Ratgeber der Politik fungiert das IFSH, das 2007 an den Schlump in Eimsbüttel zog, nunmehr seit 50 Jahren. Dieses Jubiläum würdigt der Hamburger Senat heute mit einem Empfang im Großen Festsaal des Rathauses, der von 11.30 bis 12.30 Uhr digital per Livestream auf der Internetseite des Instituts (www.ifsh.de) übertragen wird. Im Anschluss an Grußworte soll es um aktuelle sicherheitspolitische Herausforderungen gehen: Darüber wird IFSH-Direktorin Professor Ursula Schröder diskutieren mit Niels Annen (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, und mit Ole von Uexküll, Direktor der Stockholmer Right Livelihood Award Stiftung, die den „Alternativen Nobelpreis“ an Menschen vergibt, die sich für eine friedliche und nachhaltige Welt einsetzen.

Wolf Graf von Baudissin wurde Gründungsdirektor

Gegründet 1971 als Stiftung der Freien und Hansestadt Hamburg, bestand das Team des IFSH anfangs aus nur einem halben Dutzend Forschenden, die sich vor allem mit dem Kalten Krieg, der Ost-West-Konfliktlage, mit der Rüstungskontrolle und gesellschaftlichen Kontroversen um die Bedeutung der Bundeswehr beschäftigten. Mit Wolf Graf von Baudissin bekam das Institut einen Gründungsdirektor, der in den 1950er-Jahren die Bundeswehr mitbegründet und geprägt hatte durch sein Konzept der „Inneren Führung“, das Soldaten als mündige Staatsbürger in Uniform sieht.

Auf den Bundeswehrgeneral folgte 1984 im Direktorenamt Egon Bahr, ein Vordenker der unter Willy Brand eingeleiteten Ost-Politik. Der frühere Bundesminister Bahr hatte Anfang der 1980er-Jahre in einer Kommission unter dem Vorsitz des schwedischen Ministerpräsidenten Olaf Palme mitgewirkt, die das Konzept der „Gemeinsamen Sicherheit“ entwickelte.

Konzept für Prinzipien der OSZE kam aus Hamburg

Es wies auf die gegenseitigen Abhängigkeiten und die gemeinsame Verantwortung von Staaten hin. In den folgenden Jahren beteiligten sich IFSH-Forschende an der Ausarbeitung dieses Konzepts, das zu den Kernprinzipien der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wurde.

Die Leiterin des Instituts für Friedens- und Sicherheitsforschung Prof. Ursula Schröder.
Die Leiterin des Instituts für Friedens- und Sicherheitsforschung Prof. Ursula Schröder. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Zu untersuchen, wie Staaten für Sicherheit und Frieden miteinander kooperieren können, ist ein zentrales Anliegen des Hamburger Instituts geblieben, sagt Ursula Schröder, die 2017 erste Chefin des IFSH wurde. „Wir wollen Konflikte erklären und Handlungsspielräume aufzeigen.“ Das sei heute notwendiger denn je. Dem Institut zufolge wird weltweit mehr für Rüstung ausgegeben als zu den Zeiten des Kalten Krieges. Noch mehr Staaten seien mittlerweile im Besitz von Atomwaffen. „Es wird geopolitisch gedacht, Rivalitäten spielen wieder eine größere Rolle. Das sehen wir in den USA, in Russland, in China“, sagt die Politikwissenschaftlerin.

Zuschlag für neues Forschungsprojekt in Hamburg

Hinzu komme der rasante technische Fortschritt, etwa im Bereich der Künstlichen Intelligenz und der Robotik, der auch die Kriegsführung beeinflusst. Schon jetzt werden Drohnen zu militärischen Zwecken eingesetzt. Kommen in einem nächsten Schritt autonome Waffen, die völlig unabhängig vom Menschen agieren? Lässt sich das regulieren? 2019 erhielt das IFSH vom Auswärtigen Amt den Zuschlag für das Forschungsprojekt „Rüstungskontrolle und Neue Technologien“. Zum offiziellen Start des Projektes kam Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) nach Hamburg.

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Auch Hass und Hetze im Internet, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden, und der Einfluss des Klimawandels und der Migration auf Sicherheit und Frieden weltweit sind inzwischen Gegenstand der Forschung des Instituts, das längst nicht mehr nur Politik- und Wirtschaftswissenschaftler beschäftigt, sondern auch Informatiker und Physiker – insgesamt etwa 50 Forschende.

IFSH will Hamburg stärker in Forschung einbinden

Zuletzt hatten Ursula Schröder und ihr Team sich vorgenommen, stärker in die Stadt hinein zu wirken und etwa Hamburger Museen, Vereine und Behörden in Forschungsprojekte einbinden. „Doing ­Peace!“ – Frieden machen – nennt das Institut dieses Vorhaben, das Coronabedingt allerdings nicht recht vorankam. Momentan stehen die Zeichen aber gut, dass sich dies bald ändern wird.