Fischbek. Das Abendblatt stellt die neuen Stadtviertel vor. Heute: Vogelkamp, Fischbeker Heidbrook und Fischbeker Reethen im Süden von Hamburg.
Die Sache mit dem IBA-Gestaltungsbeirat hatte er sich dann doch etwas einfacher vorgestellt: Arne Eckhoff und seine Frau Regina waren 2015 gerade Anfang 30, hatten zwei noch sehr kleine Kinder und wollten für ihre junge Familie ein Haus bauen. Doch wo? Mitten in Hamburg wäre da schon nahezu unbezahlbar gewesen. Und weil sie in Finkenwerder wohnten, damit südlich der Elbe, schauten sie sich hier um. In den beiden Umland-Landkreisen Stade und Harburg wären gute Angebote gewesen.
Aber da war noch die städtische Entwicklungsgesellschaft IBA, die im Bezirk Harburg und damit auf städtischem Gebiet gleich drei große und dicht beieinander liegende Neubaugebiete in Fischbek-Neugraben betreut: Den Vogelkamp beim S-Bahnhof Neugraben, den Fischbeker Heidbrook auf dem Gelände der früheren Röttiger-Kaserne und demnächst die Fischbeker Reethen gleich gegenüber im Moorgürtel.
Wohnen im Süden von Hamburg: 5000 Wohneinheiten im Grünen
Zusammen immerhin mehr als 5000 Wohneinheiten sind hier mittlerweile gebaut, in Bau oder in Planung. Viele davon in Einfamilienhäusern im Eigentum, etliche aber auch im Geschoßwohnungsbau. Mit teils öffentlich geförderten Kaltmieten oder frei finanziert im Bereich um zwölf, 14 Euro pro Quadratmeter und damit gut zwei Euro günstiger als vergleichbare Angebote in Altona. Etwa 15.000 Neubürger werden es am Ende sein, die in den Stadtteil im äußersten Südwesten Hamburgs zugezogen sind. Immerhin etwa die Hälfte der ursprünglichen Bevölkerungszahl.
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Familie Eckhoff entschied sich für ein solches IBA-Gebiet, für den Fischbeker Heidbrock. Gleich an der Fischbeker Heide gelegen, Einkaufsmöglichkeiten in der alten Hansestadt Buxtehude, im nahen Neu Wulmstorf oder auch in Harburg sowie das Versprechen der Planer von nahen Kitas und Schulen – dieses Bündel gab den Ausschlag. „So viel Grün in der Nähe, das gefällt uns“, sagt Arne Eckhoff, der als IT-Spezialist für eine Reederei in der City arbeitet. Und es lockte auch der Preis: Für ein Grundstück von der IBA wurden seinerzeit 220 Euro für den Quadratmeter aufgerufen, im weiter draußen liegenden Buxtehude waren es da schon mehr als 300 Euro.
Toskana-Villen und nordische Holzhäuser sind hier verpönt
Doch den günstigen Preis muss man sich mit engen Vorgaben erkaufen: Die Abkürzung IBA steht für Internationale Bauausstellung, die von dem Unternehmen 2013 in Wilhelmsburg organisiert worden war. Und das lässt schon ahnen, dass die IBA-Gebiete an feste Vorstellungen geknüpft sind, was Architektur und Gestaltung betrifft. Das Procedere für Häuslebauer ist da im Vogelkamp und im Heidbrook gleich. Man muss sich um die Vergabe von Grundstücken bewerben, samt Finanzierungszusage einer Bank.
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Zur Auswahl steht dann ein „Hauskatalog“, den die IBA in Kooperation mit Bauunternehmen und Architekten herausgibt. Alternativ können sich Interessenten auch mit einem eigenen Architektenentwurf für ihr Haus bewerben – der dann aber einem Gestaltungsbeirat vorgelegt werden soll. Man wolle eben eine „hohe gestalterische Qualität“ erreichen, heißt es bei der IBA. Eine „urbane Formensprache“ sei dabei angestrebt, „ortsfremde Haustypologien“ wie Toskana-Villa oder skandinavisches Holzhaus sind da verpönt. Bis hin zu Details wie Markisen oder Ziegeln reicht der Gestaltungswille der städtischen Gesellschaft.
Keine Walmdächer, keine Pultdächer, Verzicht auf Erker oder Wintergärten – all dem müssen sich Erwerber beugen, wenn sie noch in der Stadt ein Grundstück haben möchten. Viermal mussten die Eckhoffs mit ihrem Entwurf vor den Gestaltungsbeirat. Mal gefiel der Klinker nicht, dann war eine Putzfläche nicht so wie sie sein sollte.
Der Großteil sind Mehrfamilienhäuser
Und als das überstanden war, das Haus 2018 schließlich stand, kam der nächste Ärger: Die versprochene nahe Kita wurde nicht rechtzeitig fertig, die Auswahl an Grundschulen war begrenzt und auch die S-Bahn mit ihren vielen Verspätungen entpuppte sich oft als „Katastrophe“, wie Eckhoff sagt. Die Infrastruktur hätte man schneller an die Entwicklung anpassen müssen, kritisiert er.
Für den Fischbeker Heidbrook ist die Sache aber wohl gelaufen, die Grundstücke für Einzel- Doppel- oder Reihenhäuser sind zu 100 Prozent vermarktet. Was es gibt, sind noch Mietangebote, aktuelle mittendrin und künftige in letzten Komplexen an der B73. Der Vogelkamp ist laut IBA indes etwa zu Zweidritteln gebaut, in diesem Jahr werden noch einmal rund 100 neue Wohneinheiten vermarktet, zum Teil in Reihenhäusern, zum Teil aber auch im Geschoßwohnungsbau. Aber nur noch acht Einfamilienhausgrundstücke soll es dort dieses Jahr für Bewerber geben.
Noch ein wenig warten muss, wer in den Fischbeker Reethen wohnen möchte, einem Stadtteil mit einem Mix aus Wohnen und Gewerbe, der als eine Art Gartenstadt beschrieben wird. Vermarktungsstart wird dort aller Voraussicht nach erst Anfang 2023 sein, hieß jüngst bei einem virtuellen „IBA-Projektdialog“. Anders als im Vogelkamp oder dem Heidbrook ist dort aber schon die derzeitige Tendenz viele Stadtplaner zu erkennen, mehr Wohnraum auf die knappen Flächen zu bringen: Von den geplanten 2300 Wohneinheiten sind gegenwärtig lediglich 40 in Einfamilienhäusern vorgesehen, 270 in Reihenhäusern, der Großteil aber in Mehrfamilienhäusern.
Eine reißende Nachfrage sieht anders aus
Ob das hier in typischer Stadtrandlage aber dem Bedarf entspricht, dürfte fraglich sein: So zeigte der virtuelle Projektdialog, dass sich die Masse der Bürger-Fragen darum drehte, wie man dort sein eigenes Haus bauen kann. Ein seit Sommer fertiger Mietwohnungskomplex aus acht Häusern im Heidbrook hingegen scheint eher langsam Freunde zu gewinnen und bietet noch bei Kaltmieten um zwölf Euro etliche freie Wohnungen – Monate nach Vermarktungsstart. Eine reißende Nachfrage sieht anders aus.
Für Arne und Eckhoff und seine Familie stellt sich indes die Frage nach der Wohnform nicht mehr. Sie haben sich eingewöhnt und mit den ersten Mängeln bei der Infrastruktur arrangiert. Und auch die Sache mit dem Gestaltungsbeirat sieht er heute entspannter. „Ich bin da versöhnt“, sagt er. Denn gerade die Architektur mache doch die große Qualität dieses Neubaugebiets aus. „Das ist einfach gut geplant und nicht so ein Wild West wie in den Landkreisen.“
Nächste Folge: Die neue Mitte Altona