Hamburg. Die Stiko empfiehlt werdenden Müttern inzwischen eine Impfung. Doch bei den Ärzten wird es kompliziert. Ein Erfahrungsbericht.

Seit einer ganzen Weile schon tippe ich jeden Morgen nach dem Aufstehen als erstes diese Begriffe in die Suchmaschine ein: Schwangere/Corona/Impfung. Und seit einer ganzen Weile steht da dann immer dasselbe. Nämlich, dass im Grunde alle relevanten gynäkologischen Fachverbände die Impfung für Schwangere fordern. Das tun sie, weil aus ihrer Sicht sehr viel dafürspricht.

Zum Beispiel eine inzwischen ganz gute Datenlage aus den USA, wo Schwangere längst massenhaft gegen Covid-19 geimpft werden. Und sie tun es auch, weil werdende Mütter ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben. Am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) sind seit Jahresbeginn mindestens sieben schwangere Covid-Patientinnen auf der Intensivstation behandelt worden, mussten zum Teil beatmet werden. Mir macht das Angst. Denn ich bin schwanger.

Stiko empfiehlt Corona-Impfung für Schwangere – oder?

Und so habe ich die Debatte um die mögliche Impfung in den vergangenen Wochen sehr genau verfolgt und mir dabei jeden Tag eine klare Entscheidung gewünscht. Eine, mit der ich planen kann. Dabei geht es keinesfalls darum, dass ich gern nochmal eine hübsche Flugreise vor der Geburt machen oder ohne Teststress ins Fitnessstudio möchte. Es geht eher um Fragen wie die, ob mein fast vier Jahre altes Kind dann lieber nicht mehr in die Kita gehen soll, weil das Risiko, mich so anzustecken, dann vielleicht zu groß ist.

Gestern schien dann der Tag der Klarheit endlich gekommen zu sein. Jedenfalls las ich nach meiner Standardsuche schon in der Früh folgende Meldungen: „Stiko: Schwangere nach individueller Abwägung priorisiert impfen“, „Stiko passt Impfempfehlung für Schwangere an“, „Stiko empfiehlt Impfung für Schwangere“. Was für eine Erleichterung!

Also greife ich gleich zum Hörer und rufe meine Frauenärztin an und will einen Termin ausmachen. Sie hatte mir schon beim letzten Kontrolltermin gesagt, dass sie am liebsten alle „ihre Schwangeren“ sofort impfen würde, aber dass ihr die Hände gebunden seien.

Corona-Impfung für Schwangere beim Gynäkologen?

Als ich sie endlich am Hörer habe, ist die Enttäuschung groß. „Leider handelt es sich nicht um eine offizielle Empfehlung“, sagt sie. Und ohne offizielle Empfehlung würde sie alleine haften, deswegen würde sie weiterhin nicht impfen können. Ich solle es beim Impfzentrum versuchen, da sollte es mit der neuen Regelung jetzt keine Probleme geben.

Ich bin verwirrt. Gibt es nun eine Empfehlung oder nicht? Ich lese die Artikel nochmal. Dort wird die Stiko so zitiert: „Die Stiko empfiehlt die Corona-Schutzimpfung nun auch Schwangeren mit einem erhöhten Expositionsrisiko und aufgrund ihrer Lebensumstände“. Und weiter: „Es ist ein Signal an die Politik, aber auch an die betreuenden Frauenärzte, dass man Schwangeren eine Impfung nach individueller Prüfung großzügig empfehlen kann.“ Schwangere könnten ein entsprechendes Schreiben beim Impfzentrum vorzeigen.

Abfuhr auch beim Hamburger Impfzentrum

Und genau dort versuche ich es nun als nächstes und wähle die 116117. Aber auch dieses Gespräch ist schnell vorbei. Der Mitarbeiter sagt klipp und klar: „Wir impfen hier keine Schwangeren. Das können höchstens die Frauenärzte machen.“ Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.

Oder ist es einfach so, dass es einfach einen Moment dauert, bis die Stiko-Empfehlung auch umgesetzt ist? Es kann ja nur eine Frage der Zeit sein. Aber rausfinden, was nun eigentlich Sache ist, möchte ich natürlich trotzdem und frage bei der Stiko direkt nach.

Mehr zum Thema:

Dort heißt es: „Die Erweiterung der STIKO-Empfehlung ist nicht gleichzusetzen mit einer generellen Impfempfehlung. (…) Deshalb wurden Schwangere auch bewusst nicht in die Priorisierungstabelle aufgenommen. Es soll weiterhin eine ausführliche ärztliche Aufklärung über die Datenlage und eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen. (…) Damit soll der freien Entscheidung der Schwangeren mehr Raum gegeben werden.“ Und weiter: „Zum Thema Haftung können wir nicht weiterhelfen.“

Was genau heißt das nun? Ich verstehe es so, dass ich das Recht habe, mich beraten zu lassen und dann selbst frei entscheiden kann, ob ich mich impfen lassen möchte oder nicht. Eigentlich eine gute Nachricht, denn frei entschieden habe ich mich ja bereits. Die Frage ist also nur, wie diese neue Empfehlung  – Entschuldigung – Empfehlungserweiterung nun in Hamburg umgesetzt wird.

Schwangere werden in den USA gegen Corona geimpft

Ich bin mir sicher: Wenn es einer weiß, dann die Sozialbehörde. Am späten Nachmittag, nachdem der Senat sehr viele gute Nachrichten verkündet hat, bekomme ich meine Antwort: „Die Stiko-Regelung schafft Rechtssicherheit für Ärzte, ändert aber die konkrete Handhabung nicht. Schwangere, die eine Schutzimpfung in Anspruch nehmen wollen, sollten sich dazu bei Ihrer Ärztin, ihrem Arzt melden. Es ist eine ärztliche Beratung erforderlich, die in der Praxis geleistet werden kann. Im Impfzentrum werden keine Impfungen für Schwangere angeboten (…).“

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Ich lese die Zeilen und fühle mich plötzlich sehr alleingelassen. Dabei ist es so, dass ich mit allem hätte leben können. Auch damit, dass die Stiko anders entscheidet als etwa die USA, Frankreich oder Österreich und sagt: Die Erkenntnisse reichen nicht aus für eine Empfehlung. Wir werten die Gefahren einer Impfung größer als die einer Infektion. Ich hätte es bedauert. Aber ich hätte nicht meinen Bauch versteckt und mich ins Impfzentrum geschummelt, wie es andere offenbar schon getan haben. Ich bin schließlich nicht vom Fach und höre auf das, was mir Experten raten.

Die jetzige Situation aber fällt mir schwer zu akzeptieren. Weil ich sie am Ende nicht ganz verstehe und weil mir an diesem ganzen langen Tag auch niemand erklären konnte, wieso es eigentlich wichtig wäre, dass ich geimpft werde, aber ich mit der jetzigen Empfehlungserweiterung leider niemanden finden werde, der die Nadel setzt.