Hamburg. Das Verlagshaus sucht nach der Aufgabe des Projekts am Lohsepark eine neue Bleibe. Eine Option wäre der spektakuläre Wolkenkratzer.
Dass Gruner + Jahr (G+J) den geplanten Umzug vom Baumwall in die HafenCity gestoppt hat, hat in der Stadt für viele Diskussionen gesorgt. Wie berichtet, hatte G+J-Chef Oliver Radtke vor gut einer Woche Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) über diese Entscheidung informiert. „Das Projekt liegt bereits drei Jahre hinter dem Zeitplan. Wir können und möchten hier nicht länger warten“, sagte Radtke dem Abendblatt. Aber was sind die Hintergründe und wie soll es jetzt weitergehen mit dem Filetgrundstück Am Lohsepark? Das Abendblatt hat sich auf Spurensuche begeben.
Bis heute ist auf dem 15.200 Quadratmeter großen Grundstück keine Bautätigkeit zu erkennen. Eigentlich hätte G+J – der zu Bertelsmann gehörende Medienkonzern hat rund 2500 Mitarbeiter – hier im Sommer dieses Jahres einziehen sollen. Selbst wenn bald eine Baugrube ausgehoben würde, wäre ein Bezug des Gebäudes vor 2024 nicht realistisch. Doch erst mal stellt sich die Frage, ob hier nach dem Rückzug von G+J überhaupt gebaut wird. Bauherr für den ursprünglich geplanten G+J-Unternehmenssitz ist die HIH Real Estate GmbH. Das Medienhaus hatte einen langfristigen Mietvertrag unterschrieben. Die städtische Kommission für Bodenordnung (KfB) hatte bereits im Dezember 2016 einer Anhandgabe des Grundstück zugestimmt, unter ganz bestimmten Voraussetzungen.
Architekturbüro Caruso St John gewinnt Wettbewerb
Die geplante Ansiedlung von G+J wurde als Wirtschaftsförderungsfall eingestuft, „ein Instrument, mit dem Hamburg bedeutenden Unternehmen Entwicklungsperspektiven auf städtischen Flächen bietet. Die Unternehmen sichern wiederum zu, dass sie einen erheblichen Teil der Flächen selbst nutzen“, sagte Susanne Bühler, Sprecherin der HafenCity Hamburg GmbH, dem Abendblatt. Und damit sind Vorzüge verbunden: „Es erfolgt daher eine direkte Anhandgabe ohne vorherige Ausschreibung. Der Grundstückspreis wird statt eines Gebotsverfahrens im Vergleichswertverfahren (Anm. d. Red. vergleichbare Grundstücke) ermittelt“, so Bühler weiter.
Damals war von einem Kaufpreis von 44 Millionen Euro für die Fläche die Rede. Es wurden sogar im September 2018 die Ergebnisse eines Architektenwettbewerbes für das geplante Gebäude vorgestellt. Ausgelobt hatte den der Investor Warburg-HIH Invest, zu dem auch der Bauherr HIH Real Estate gehört. Den Wettbewerb hatte das renommierte Londoner Architekturbüro Caruso St John für sich entschieden. Damals war Teil der Planung, dass auf dem Areal neben den Büroflächen – G+J hatte mit 38.000 Quadratmetern geplant – auch noch 200 Wohnungen entstehen sollen.
Fehlplanung von Gruner + Jahr
Aber offensichtlich war das eine Fehlplanung und ein Grund für die massive Zeitverzögerung. „Der ursprüngliche Zeitplan von Gruner + Jahr war extrem ambitioniert und allein aufgrund der Planungs- und Bauzeit für ein solch komplexes Bauvorhaben nicht einzuhalten“, so HafenCity-Sprecherin Bühler.
„Hinzu kam die Notwendigkeit einer Anpassung des Bebauungsplans, da der mit dem Bürobauvorhaben für Gruner + Jahr verbundene Wohnungsbau aufgrund des Vorsorgeabstands zur Bahnlinie an der Stelle entfallen und durch eine weitere Bürofläche ersetzt werden musste. Daraus ergaben sich wiederum komplexe Fragen zwischen Bauherr und Mieter, die eine mehrfache Anpassung der Vertragskonditionen erforderten.“
Grundstück immer noch Eigentum der Stadt
Bemerkenswert: Das Grundstück ist bis heute nicht an die HIH Real Estate verkauft worden. Es befindet sich noch immer im Eigentum der Stadt. Dem Abendblatt bestätigte Sprecherin Bühler: „Der Kaufvertrag ist nicht abgeschlossen worden. Andererseits stand HIH vor der Baugenehmigung und dem Abschluss des Kaufvertrags. Die Leistung war nahezu vollständig erbracht, bis auf die bauliche Realisierung. Deshalb besteht ein Interesse, den Schaden für das Sondervermögen Stadt und Hafen und für HIH zu mindern.“
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Es sei daher im Interesse der Stadt, gemeinsam mit dem Bauherrn HIH die Möglichkeiten auszuloten, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen ein Vorhaben zu realisieren ist, das den hervorragenden und mit einer Teilbaugenehmigung unterlegten Gebäudeentwurf des Londoner Architekturbüros Caruso St John aufgreife. Aber die Frage ist, ob die HIH Real Estate daran überhaupt noch Interesse hat oder jetzt abspringt – denn es existiert ja überhaupt kein Kaufvertrag. Das würde für die HafenCity Hamburg GmbH bedeuten, jetzt wieder mit viel Zeitaufwand und diesmal vielleicht auch mit einer Ausschreibung nach einem neuen Bauherrn zu suchen.
Rückzug von G+J für Politik interessant
Das Abendblatt hat auch die HIH Real Estate um eine Stellungnahme gebeten. Aber offensichtlich soll zunächst hinter den Kulissen verhandelt werden. „Wir können Ihre Fragen aktuell nicht kommentieren“, hieß es.
Auch die Politik interessiert sich für die Zukunft der Fläche: „Spannend an dem Rückzug von G+J ist das Warum. Liegt es an der mehrjährigen Planverzögerung, veränderten Bedürfnissen oder am Standort? Das sollte man wissen, bevor man über neue Nutzungen nachdenkt. Um die Fläche Am Lohsepark hat es schon viele Debatten gegeben. Diese Zäsur bietet einen guten Anlass, sich noch einmal grundsätzlich mit den Potenzialen dieser Fläche auseinanderzusetzen und gemeinsam neu nachzudenken“, sagte CDU-Stadtentwicklungsexpertin Anke Frieling.
Zeitnahe Lösung für Fläche am Lohsepark gefordert
Für SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf steht fest. „Wir brauchen möglichst eine zeitnahe Lösung für diese Fläche am Lohsepark in exponierter Lage in der HafenCity. Dabei sind wir nicht auf die HIH Real Estate festgelegt, da das Grundstück weiter in der Hand der Stadt liegt. Daher ist zu prüfen, ob sich das entwickelte Konzept auch mit einem anderen Nutzer noch realisieren lässt.“
Was sich die Mitarbeiter von G+J fragen: Wo geht die Reise denn jetzt hin? Der heutige Verlagssitz am Baumwall wurde im vergangenen Jahr an das international agierende Immobilienunternehmen Tishman Speyer veräußert, G+J ist hier jetzt Mieter. Einen Zeitplan für einen Umzug an einen neuen Standort gibt es noch nicht. Kein Geheimnis ist, dass der Medienkonzern wohl deutlich weniger als die in der HafenCity geplanten 38.000 Quadratmeter benötigt. Das liegt daran, dass auch bei G+J die mit dem mobilen Arbeiten in der Corona-Pandemie gemachten Erfahrungen bei der Größe der Fläche eine Rolle spielen werden.
Hamburger Medienhaus interessiert sich für Elbtower
Nach Abendblatt-Informationen soll sich G+J für Flächen im Elbtower an den Elbbrücken als neuen Firmensitz interessieren. Der spektakuläre Wolkenkratzer soll 2025 fertiggestellt sein und wird von der Signa realisiert – die zum Firmengeflecht des österreichischen Investors René Benko gehört. Platz gibt es in dem 245 Meter hohen Gebäude genug.
Es sind rund 77.000 Quadratmeter für Büroflächen reserviert. Eine G+J-Sprecherin sagte auf Abendblatt-Anfrage: „Uns erreichen aktuell zahlreiche Anfragen und Angebote von Maklern und Projektentwicklern. Allerdings gilt auch hier: Es gibt noch überhaupt keine Festlegungen und keine Gespräche.“