Hamburg. Entscheider treffen Haider – in dieser Folge mit Norbert Grundei, dem Erfinder des Corona-Update-Podcasts.
In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ ist diesmal der Mann zu Gast, der zu Beginn der Corona-Pandemie eine Idee hatte, durch die ein Virologe zu einem der bekanntesten Deutschen geworden ist. Ja, heute geht es um Christian Drosten und seinen Podcast, mit dem er jede Woche eine Million Menschen erreicht und mit dem man locker Millionen verdienen könnte.
Warum das nicht geschieht, wieso andere Podcast-Gastgeber mit weniger Zuhörern bald Millionäre sein könnten und das Ende der Drosten-Reihe Fluch und Segen zugleich ist, erzählt Norbert Grundei, vielfach ausgezeichneter Radiomacher und Leiter der Audio-Strategie beim NDR.
Das sagt Norbert Grundei über …
… seine Rolle als Entdecker von Christian Drosten:
„Ich war früher mal ein ganz schlimmer Hypochonder. Das ist vorbei, aber seit dieser Zeit interessiere ich mich für neue Krankheiten. Das war auch Anfang 2020 so, als es die ersten Berichte über Corona gab. In den TV-Sendungen, die ich damals sah, tauchte zweimal Christian Drosten auf, und mir fiel auf, wie gut dieser Mann Zusammenhänge erklären konnte. Außerdem sagte er, wie wichtig es ihm sei, in der kommenden Pandemie die Menschen seriös mit Informationen zu versorgen.
Ich habe angefangen, über Drosten zu recherchieren, und dabei festgestellt, dass er weltweit einer der führenden Experten für den neuen Virustyp ist. Irgendwann habe ich ihm dann eine Mail geschrieben, so was wie: „Sehr geehrter Herr Professor Drosten, wahrscheinlich haben Sie gar keine Zeit, und es ist eine fixe Idee von mir – aber wie wäre es denn, wie Sie täglich einen Podcast zu Corona machen würden?“
Ich ging übrigens davon aus, dass wir über eine Länge von fünf Minuten reden – inzwischen gibt es Folgen, die länger als zwei Stunden dauern und die die Menschen trotzdem bis zum Ende hören, notfalls in Portionen über mehrere Tage. Zurück zur Mail: Wenige Stunden nachdem ich sie abgeschickt hatte, kam ohne jede Anrede Drostens Antwort: „Klingt gut. Bin gerade unterwegs. Montag können wir anfangen.“
… die Frage, was eigentlich gewesen wäre, wenn Drosten für den Podcast abgesagt hätte:
„Mit einem anderen hätten wir ihn wahrscheinlich nicht gemacht. Denn meine Idee war schon, dass wir für so ein Format einen absoluten Experten brauchen, nicht jemanden, der einfach nur im Mittelpunkt des medialen Interesses stehen möchte. Drosten selbst hat mal gesagt, dass er zu keinem anderen Virustypen so einen Podcast machen würde.
Er hat nur zugesagt, weil das sein absolutes Spezialgebiet ist. Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob man das so, wie wir das angehen, mit einem anderen Wissenschaftler hätte machen können. Die Pandemie hat noch einmal bestätigt, wie wichtig die Expertise von Interviewpartnern in ihrem Fachgebiet ist. Die Verantwortung, wen wir zu Wort kommen lassen, ist hoch.“
… der Drosten-Podcast in Zahlen:
„Wir sind relativ stabil bei einer Million Abrufe pro Folge. Wir haben vor Kurzem eine Sonderfolge mit den Hörerinnen und Hörern gemacht, und es war erstaunlich, wie groß und divers diese Gemeinschaft geworden ist. Es gibt nur eine Handvoll Podcasts, die ein Publikum in dieser Größenordnung erreichen. Aber das Publikum für Podcasts wächst. Unser Podcast ist deshalb auch ein Blick in die Audio-Zukunft.“
… die Frage, ob man mit dem Podcast viel Geld verdienen könnte:
„Ja, das könnte man, denn das ,Corona Update‘ dürfte im vergangenen und in diesem Jahr der meistgehörte deutsche Podcast sein. Apple hat gesagt, dass sie weltweit noch nie einen Podcast gesehen hätten, der sich in dieser Geschwindigkeit entwickelt hat. Und ja: Podcast-Macher, die sich in ähnlichen Größenordnungen bewegen, können damit durchaus sechs- oder siebenstellige Beträge im Jahr verdienen. Aber darum ist es weder uns noch Christian Drosten gegangen, der für seine Mitwirkung nicht einen Cent erhalten hat.“
… Beschimpfungen von Christian Drosten:
„Ich habe mich in der Phase, in der Christian Drosten viel und wüst kritisiert wurde, schon ein wenig Sorgen gemacht, weil ich ihm seine neue Rolle ja mit eingebrockt hatte.“
… die Podcast-Revolution:
„Podcasts kann man überall und zu jeder Zeit anhören. Das birgt riesige Chancen – auch für Inhalte, bei denen man im Radio auf die Sendezeit warten musste. Dadurch, dass wir Audio-Inhalte auf Nachfrage anbieten können, haben wir die Chance, Inhalte so zu präsentieren, dass sie von möglichst vielen Leuten gehört werden können. Das betrifft zum Beispiel stark das Thema Kultur, hier sind wir gerade mit dem Literaturpodcast ,eat.READ.sleep‘ sehr erfolgreich.“
… neue Konkurrenten für die Radiosender:
„Uns machen Anbieter Sorge, die sowohl Inhalte produzieren als auch eine Plattform für deren Verbreitung besitzen. Die sind auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk neue Wettbewerber. Diese Anbieter können viel Geld für Podcast-Gastgeber ausgeben. Wir machen die Erfahrung, dass es niemanden aus der A- oder B-Kategorie gibt, der nicht von einer solchen Plattform angesprochen wird und ein gutes Angebot erhält.
Da reden wir in der Spitze wirklich darüber, dass einige der erfolgreichsten Moderatoren hohe sechsstellige Beträge oder mehr im Jahr verdienen. Spotify sieht halt, dass der internationale Werbemarkt für Radioangebote viel größer ist als der Musikmarkt.“
Auch interessant
… Jan Böhmermann und Olli Schulz, die ihre unglaubliche Podcast-Karriere bei der ARD begannen:
„Der Podcast von Jan Böhmermann und Olli Schulz lief ja zuerst bei der ARD, er hieß ,Sanft & Sorgfältig‘. Man muss selbstkritisch sagen, dass wir uns damals nicht besonders gut um die beiden gekümmert haben. Erstens haben sie ein Honorar bekommen, das Galaxien von dem entfernt liegt, was sie heute verdienen. Zweitens mussten sie selbst Reisekosten, die für Gäste anfielen, noch besonders begründen. Ich glaube, die beiden waren irgendwann genervt von den Rahmenbedingungen.“
… die ideale Erscheinungsweise von Podcasts:
„Am besten ist es, wenn es jede Woche an einem festen Sendetermin eine Folge gibt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es sich lohnen kann, zum Start eines neuen Podcasts gleich mal drei Folgen gleichzeitig online zu stellen. Grundsätzlich ist auch wichtig, dass ein Podcast eine verlässliche Mindestlänge hat, weil wir die Erfahrung gemacht, dass die Leute ihn habituell in ihren Tagesverlauf integrieren.“
… die Frage, wer das alles hören soll:
„Ich finde die Frage ziemlich lustig. Bei den unendlichen vielen Zeitschriften und Zeitungen, die es gibt, hat nie jemand gefragt, wer das alles lesen soll … Entscheidend ist nicht, wie groß das Angebot ist, sondern wie man möglichst gut sichtbar wird – das Problem, das Verleger kennen, wenn es um die Auslage ihrer Zeitschriften im Handel geht.“
… das Ende eines Podcasts:
„Wir geben unseren Podcasts beim NDR lieber mehr als weniger Zeit, Reichweite ist nicht das einzige Kriterium. Am schönsten ist natürlich, wenn gute Inhalte auf möglichst viele Hörer treffen. Aber auch kleine Produkte können, wenn man sie in Relation zu der entsprechenden Zielgruppe setzt, gut funktionieren. Entscheidend ist, dass die Zuhörerschaft eines Podcasts kontinuierlich wächst. Wenn die Zahlen zurückgehen, denkt man vielleicht eher darüber nach, einen Podcast einzustellen.“
… das Ende des Drosten-Podcasts:
„Christian Drosten hat gesagt, er macht es so lange, bis die Pandemie vorbei ist. Das ist ein Zeitpunkt, auf den wir uns einerseits freuen, weil wir dann hoffentlich wieder normal leben können, und der uns andererseits traurig macht, weil unser erfolgreichster Podcast dann Geschichte sein wird – und Drosten angekündigt hat, in der medialen Versenkung zu verschwinden. Mal sehen, ob das wirklich so kommt …“