Hamburg. Der Kiez unter Beschuss: Ein 43-Jähriger war versehentlich in einen Bandenkrieg geraten. Die Hintergründe über das Verbrechen.
Der Mord an dem Hamburger Geschäftsmann Bernd H. hat 1994 die Stadt erschüttert. Der 43-Jährige wurde brutal erschossen, nachdem er versehentlich in einen Bandenkrieg geraten war, der damals den Kiez in eine Art Kriegsschauplatz verwandelte. Über Monate gab es Schießereien auf der Straße, in Kneipen und Clubs, mit Schwerverletzten und Todesopfern – und einer davon war der Geschäftsmann Bernd H.
„Es war eine furchtbare Tat und ein Opfer, das da zwischen die Fronten geraten ist“, sagt Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher im Abendblatt-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Rechtsmediziner Klaus Püschel. „Der Kaufmann starb durch einen Kopfschuss“, erklärt der forensische Experte.
Verteilungskämpfe auf dem Hamburger Kiez
Püschel und seine Kollegen hatten in jener Zeit immer wieder Opfer mit schwersten Schussverletzungen zu untersuchen. Schüsse, die tödlich waren, und solche, die beispielsweise ins Bein eines Kontrahenten abgefeuert wurden. „Solche Angriffe können vom Täter durchaus als sehr eindringliche Warnung gemeint sein“, weiß Püschel.
Nach dem Motto: Ich habe hier in diesem Revier das Sagen. Und für einen Konkurrenten ist kein Platz mehr. Die Verteilungskämpfe auf dem Kiez, mit denen Banden um die Vorherrschaft vor allem im Drogenhandel konkurrierten, wurden damals mit äußerster Brutalität geführt.
Vier vollendete und sechs versuchte Tötungsdelikte
Einer, der diese Zeit aus der Perspektive der Polizei so genau kennt wie sonst wohl kein anderer, ist Wolfgang Sielaff, von 1989 bis 1997 Leiter des Landeskriminalamts. „Die rivalisierenden Tätergruppen waren vorwiegend Kosovo- und Tirana-Albaner“, erklärt Sielaff als Gast im Crime-Podcast. „Insgesamt gab es im Jahr 1994 innerhalb von nicht einmal sechs Monaten vier vollendete und sechs versuchte Tötungsdelikte.“ Die Opfer waren Konkurrenten, die ausgeschaltet werden sollten, aber auch Unbeteiligte.
„Der Höhepunkt der Gewalttätigkeiten war am 12. Dezember 1994 erreicht“, erklärt Sielaff. An jenem Tag geriet der Kaufmann Bernd H. mitten in die Fehde. Nach einer Schießerei unter Albanern in einem Lokal war einer der Schützen geflüchtet. Bernd H. hielt den Fliehenden irrtümlich für einen Dieb und half, ihn festzuhalten.
Hamburger Kaufmann kaltblütig erschossen
Nun trat ein Komplize hinzu und schrie den Kaufmann an, er solle den Mann loslassen. „Als der 43-Jährige nur einen Moment lang zögerte, erschoss ein Albaner den Kaufmann kaltblütig“, erzählt Sielaff. „Das Opfer wurde zwar noch in ein Krankenhaus gebracht, aber sein Leben war nicht zu retten“, erklärt Rechtsmediziner Püschel. Die Polizei war seinerzeit durch die Kämpfe in hohem Maße herausgefordert.
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„Schließlich waren die Auseinandersetzungen nicht nur von großer Gewaltbereitschaft gekennzeichnet“, erinnert sich der frühere LKA-Chef Sielaff. „Sie fanden auch in aller Öffentlichkeit statt und gefährdeten unbeteiligte Dritte.“ Um dies zu unterbinden, wurde damals bei der Polizei eine neue Eingreiftruppe gegen Organisierte Kriminalität gegründet, die Kosta. Sielaff formulierte es seinerzeit so: „Diesen Desperados muss gezeigt werden, dass sie hier nicht machen können, was sie wollen.“
Kontrollen und Razzien an Brennpunkten
Aufgabe der Kosta war es, offensiv durch Kontrollen und Razzien an Brennpunkten der kriminellen Albaner-Szene zu agieren. Es kam auch darauf an, die Entstehung und Verfestigung krimineller Strukturen zu verhindern. Und die Kosta erreichte viel: Die Szene wurde tiefgreifend verunsichert, es gab Hunderte Festnahmen, etliche Waffen wurden sichergestellt.
Darüber hinaus konnte die Polizei den Mord an dem Kaufmann Bernd H. aufklären. Vor Gericht musste sich der Albaner Albert X. verantworten, ein damals 25 Jahre alter Mann. „Das Urteil lautete später lebenslange Haft wegen Mordes“, erinnert sich Gerichtsreporterin Mittelacher an den Prozess.
Mörder von Hamburger erneut in Haft
Abgesessen hat Albert X. 18 Jahre. Seine Reststrafe wurde im Mai 2018 erlassen. Und nicht lang danach beging der nun 50-Jährige im Frühjahr 2020 erneut schwere Verbrechen: Er hat Kokaindeals im großen Stil aufgezogen, es ging um mehr als 100 Kilogramm. Auf die Spur kam die Polizei dem Täter und seinen Komplizen durch Chats des Handy-Kommunikationsnetzwerks Encro-Chat.
Encro-Chat war „die Marke des Vertrauens von Verbrechern“, weil die Handys als abhörsicher galten. Weit gefehlt: Ermittler knackten die Chats und erzielten große Erfolge gegen das Organisierte Verbrechen, unter anderem gegen Albert X., der jetzt, 2021, knapp zehn Jahre Haft bekam.