Hamburg. Kai Schütte spürt Nester einer eingeschleppten Insektenart auf, die Honigbienen bedrohen könnte. Ist Ausbreitung noch zu stoppen?

Schnell jetzt, bevor die kaltgestellte Räuberin aus ihrer Starre erwacht. Kai Schütte setzt eine Stirnlupe auf und greift zur Pinzette. Dann beugt der Biologe sich über eine handtellergroße Plexiglasplatte und fixiert mit dem Zeigefinger sein Operationsobjekt, das in diesem Hinterhof in Rothenburgsort eigentlich nichts verloren hat, wenn man den Ursprung dieser Art bedenkt, der sich viele Tausend Kilometer östlich von hier befindet.

Vor ihm liegt eine Asiatische Hornisse, den Stachel eingezogen. In munterem Zustand ein sehr flinkes Insekt, das sogar rückwärts fliegen kann – nun aber betäubt, weil der Forscher ihm eine Abkühlung zwischen zerstoßenem Eis verpasst hatte.

Schütte nimmt ein Stück reißfestes Nähgarn, führt es an der schmalsten Stelle des Insektenkörpers zwischen Brust und Unterleib herum, verknotet den Faden und befestigt daran einen winzigen Sender. Zuvor hatte er das Tier in eine Plastikröhre bugsiert und gewogen. Mindestens 0,35 Gramm muss es haben, um das 0,28 Gramm schwere Mini-Funkgerät schleppen zu können, wie Tests gezeigt haben.

Geschafft: Der Gürtel sitzt. Gerade rechtzeitig – Fühler und Beine bewegen sich. „Ab mit dir in den Käfig“, sagt Schütte und setzt die Hornisse auf den Boden eines Netzzeltes, wo Zuckerwasser zur Stärkung bereitsteht. Nur wenn sie genügend Kraft hat, wird sie Hunderte Meter weit fliegen können – und den Standort ihres Volkes preisgeben. Im Hintergrund summt die von ihr anvisierte Beute: zwei Honigbienenvölker, die in kniehohen Kästen neben einer Hauswand leben – und nun zumindest von dieser einen Hornisse nichts mehr zu befürchten haben, weil Schütte mit einem Kescher dazwischenlangte.

Es ist eine deutschlandweit einzigartige Testreihe, die der Forscher von der Universität Hamburg und zwei Helfer im Auftrag der Umweltbehörde an diesem Donnerstag im September 2020 vorantreiben: Eignet sich die Methode der Radiotelemetrie – bewährt etwa, um die Fortbewegung von Wölfen und Wildkatzen nachzuvollziehen – auch zur Verfolgung eines kaum erdnussgroßen Flugobjekts zwischen Häuserschluchten, Kleingärten und Parks einer Großstadt?

Und lassen sich so rechtzeitig die ersten Nester in Hamburg aufspüren, bevor Jungköniginnen neue Völker gründen? „Wir versuchen, der Lage noch Herr zu werden“, sagt Schütte, während er den Funkempfänger vorbereitet. „Aber vielleicht ist es schon zu spät.“

Keine Gefahr für den Menschen, aber für Bienen

Am Vorabend hatte ihn der Besitzer der Bienenvölker angerufen und gemeldet, dass vor den Fluglöchern einzelne Jägerinnen lauerten, wie er sie schon an anderen Stöcken beobachtet hatte: fast vollständig braunschwarz gefärbt, bis auf einen gelben Streifen am Hinterleib und gelbe Beine – und dadurch deutlich zu unterscheiden etwa von der gelb-schwarz-gestreiften Gemeinen Wespe und von der Europäischen Hornisse, die sich durch eine rotbraune Brust und einen gelben Hinterleib mit schwarzen Streifen und Punkten auszeichnet.

Arbeiterinnen der Asiatischen Hornisse werden bis 2,4 Zentimeter lang, Königinnen bis zu drei Zentimeter. Damit ist die Art ein paar Millimeter kleiner als die heimische Europäische Hornisse, aber etwa doppelt so groß wie Honigbienen.

Beide Hornissenarten gelten als wenig aggressiv gegenüber dem Menschen, solange man sich ihren Nestern nicht bis auf wenige Meter nähert. Den allermeisten Bürgern dürfte das allerdings nicht passieren, denn die Asiatische Hornisse baut ihre Behausungen überwiegend über zehn Meter hoch in Bäumen, wogegen die heimische Hornisse wettergeschützte Räume wie Baumhöhlen, Nistkästen, aber auch Dachböden nutzt. Die Stiche beider Hornissenarten können in seltenen Fällen eine gefährliche allergische Reaktion auslösen, doch das gilt auch für Bienen- und Wespenstiche.

Völker sind enorm groß

In Verruf geraten ist Vespa velutina nigrithorax, so der lateinische Name der nach Europa eingeschleppten Unterart, aus einem anderen Grund: Das Insekt sei „ein äußerst erfolgreicher Fressfeind von Honigbienen, Gemeinen Wespen und anderen wichtigen Bestäubern wie den Schwebfliegen“, erklärte die EU-Kommission schon 2014. Zwar fängt auch die geschützte heimische Hornisse (Vespa crabro) mitunter Honigbienen, aber hauptsächlich ernährt sie sich von Fliegen, Zikaden und anderen Insekten. Ihre Völker bestehen aus 400 bis 700 Tieren – die der Vespa velutina aus bis zu 3500.

Die enorme Größe dieser Völker könne zu „erheblichen Verlusten bei Bienenvölkern führen“, hieß es in dem EU-Bericht, der sich auf Angaben aus Frankreich bezieht. Die Verbreitung von Vespa velutina könnte sich zudem „spürbar auf die Artenvielfalt einheimischer Insekten auswirken und auf die Pflanzenbestäubung insgesamt“.

Von Kopf bis Fuß in Schutzanzüge gehüllt, entfernen Kai Schütte und ein Helfer ein Nest mit Asiatischen Hornissen in Horn.
Von Kopf bis Fuß in Schutzanzüge gehüllt, entfernen Kai Schütte und ein Helfer ein Nest mit Asiatischen Hornissen in Horn. © Kai Schütte | Kai Schütte

Im Jahr 2016 nahm die EU die Velutina auf in die Liste „invasiver gebietsfremder Arten von unionsweiter Bedeutung“, die sich in Ausbreitung befinden. Nach Artikel 17 der Verordnung muss jedes EU-Mitglied gemeldete Vorkommen einer so eingestuften Art unverzüglich beseitigen – diese Bekämpfungspflicht gilt auch für Hamburg.

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Ob Nordamerikanischer Ochsenfrosch, Chinesische Wollhandkrabbe oder Beifuß-Ambrosia: In Europa sind schon viele gebietsfremde Tiere und Pflanzenarten eingeschleppt worden – begünstigt durch den globalen Warentransport, bei dem solche Spezies als blinde Passagiere mitreisen, aber auch durch den Klimawandel, infolge dessen sich Arten aus wärmeren Gefilden bei uns halten können. Vermehrt sich eine gebietsfremde Art massenhaft und schadet heimischen Tieren und Pflanzen, gilt sie als „invasiv“.

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Wird die Velutina zu einer solchen Bedrohung in der Hansestadt? Bedingt womöglich auch durch Medienberichte über „Killer-Hornissen“ herrsche unter etlichen der mehr als 1000 Bienenhalter in Hamburg „eine gewisse alarmistische Stimmung“, sagt Edda Gebel, 1. Vorsitzende des hiesigen Imkerverbands. Panik sei allerdings unangemessen, wichtig sei Wachsamkeit: Kundige Imker könnten die unerwünschten Hornissen eher bemerken und melden, sagt Gebel.

In Europa dokumentierten Forschende die Asiatische Hornisse erstmals 2004 in Südfrankreich nahe Bordeaux, wohin das Insekt wahrscheinlich mit Töpferwaren aus China gelangt war. Seitdem hat die Art neben ganz Frankreich auch Teile Spaniens, Italiens, Englands, der Schweiz und der Benelux-Staaten besiedelt.

Kam eine Hornissenkönigin per Lkw nach Hamburg?

2014 wurde sie in Süddeutschland nachgewiesen, weitere Sichtungen blieben zunächst auf Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Südhessen beschränkt – bis zum 3. September 2019: Da entdeckte ein an Insekten interessierter Hamburger auf einem Firmengelände in Billbrook ein lebendes Exemplar. Er fing die Hornisse ein und übergab sie dem Centrum für Naturkunde (CeNak) an der Uni Hamburg.

Dieses Tier stammte vermutlich aus dem wohl ersten Nest Asiatischer Hornissen in Hamburg, das eine Bürgerin im Februar 2020 wenige Hundert Meter entfernt auf dem Horner Berg entdeckte – es war längst verlassen, die ausgeflogenen Jungköniginnen, die den Winter überlebt hatten, würden in Kürze neue Völker gründen. Im Mai fing eine Imkerin in Horn eine Asiatische Hornisse ein und meldete dies. Von Juli an gab es aus Horn und Osdorf weitere Meldungen, die Kai Schütte und sein Team überprüften und durch eigene Nachweise bestätigten.

Um den Ursprung der Insekten zu rekonstruieren, untersuchte ein Team um Schüttes Kollegen Martin Husemann vom CeNak 2020 das Erbgut von acht in der Hansestadt gefundenen Asiatischen Hornissen. Ergebnis: Die Hamburger Tiere teilen spezifische Gensequenzen anderer Populationen der in Europa vorkommenden Unterart – eine Einschleppung aus Asien kommt also nicht in Betracht.

„Das erste Nest nahe einem Industriegebiet, das durch die Logistikbranche geprägt ist, lässt vermuten, dass eine Königin etwa per Lkw aus Süddeutschland oder Frankreich importiert worden ist und so die große Lücke zwischen den Verbreitungsgebieten überspringen konnte“, sagt Schütte. So wurde Hamburg zu dem bis dato nördlichsten Tummelplatz der Vespa velutina.

Forscher begannen mit der Radiotelemetrie

Im August 2020 machten sich Schütte und ein Helfer rund um die Fundorte und Meldungen von Einzeltieren in Horn und Osdorf auf die Suche nach Nestern – ohne Erfolg. Deshalb begannen sie im September mit der Radiotelemetrie. Dann kam die Meldung aus dem Innenhof in Rothenburgsort.

Die fremde Art ist etwas kleiner als die heimische Hornisse.
Die fremde Art ist etwas kleiner als die heimische Hornisse. © Imago

Dort tritt der Forscher an das Zelt, in dem die gefangene Hornisse sich von dem betäubenden Eisbad erholt hat. Sie fliegt wie ein winziger Flummi gegen die Netzwände, krabbelt an ihnen herauf. Schütte setzt einen Kopfhörer auf, der die Stärke des Signals überträgt, das von der Hornisse während der Verfolgungsjagd kommen soll. Die Reichweite beträgt bis zu 800 Meter, kann aber in einer dicht bebauten Umgebung erheblich geringer ausfallen. Lautes Piepen ist gut und heißt: Das Insekt ist nah, der Forscher hält die Antenne in die richtige Richtung. Leiser heißt: Die Räuberin entfernt sich. Dann muss Schütte sich drehen, verschiedene Richtungen ausprobieren.

Er öffnet den Reißverschluss zwei Handbreit und lässt die Hornisse hinaus. Sie fliegt zunächst langsam in eine Ecke des Innenhofs. Dann dreht sie ab, kurvt zurück, als wolle sie Schwung holen – und verschwindet in dem Baum, der neben den beiden Bienenstöcken steht. Nichts ist von ihr zu sehen, aber etwas zu hören. „Das Signal ist da“, sagt Schütte. „Sie ruht sich wahrscheinlich aus.“

Der Empfänger ist fast so schwer wie 80 Prozent des Körpers der Hornisse

Zehn Minuten später entdeckt er die Hornisse auf einem Ast in drei Meter Höhe. Plötzlich fällt das Insekt auf den Rasen. Der Biologe bückt sich, hebt die Hornisse mit einem Tuch auf. Sie fliegt, nein taumelt eher wieder in den Baum, gerät ihm aus dem Blick. Reicht ihre Energie doch nicht, um den Empfänger zu tragen, der fast so schwer ist wie 80 Prozent ihres Körpers?

Schütte tappt auf und ab, horcht, kräuselt die Stirn. 20 Minuten vergehen – da trabt er aus dem Innenhof los, beschleunigt an der Nebenstraße davor seinen Schritt, eilt vorbei an parkenden Autos und Gebüschen, biegt 50 Meter weiter auf die angrenzende Hauptstraße ein, den Billhorner Röhrendamm, und stoppt an einer Bushaltestelle. „Hier ist das Signal ganz stark.“

Die meisten dort wartenden Fahrgäste starren auf ihre Handys, aber zwei beobachten mit offenem Mund den Mann in Outdoorkleidung hinter ihnen an den Büschen, der mit seiner auf- und ab wedelnden Antenne an einen Wünschelrutengänger erinnert. Schütte nimmt den Kopf in den Nacken: „Da! Da fliegt sie“, ruft er. Kaum zwei Sekunden lang ist ein schwarzer Punkt über ihm in der Luft zu erkennen, der sich nun aufmacht, die viel befahrene Straße zu queren – leider nicht an der Ampel und auch nicht bei Grün. Schütte läuft los.

Die Zeit drängt

Vespa velutina nigrithorax zählt zu den sozialen Faltenwespen. Nach der Überwinterung gründen Jungköniginnen von März an erst ein kleines Primärnest, oft an Gebäuden. Sie legen Eier, aus denen Larven schlüpfen. Zunächst jagen die Königinnen noch selbst – so lange, bis sich eine Kolonie mit mehreren Hundert Arbeiterinnen entwickelt hat, die von Juli an ein sogenanntes Filialnest bauen, bis zu einen Meter hoch und bis zu 80 Zentimeter im Durchmesser. Dahin zieht der gesamte Staat um. Nun konzentriert sich die Königin nur noch aufs Eierlegen.

Die Arbeiterinnen schaffen für die Larven proteinreiches Futter heran, darunter auch Honigbienen. Im frühen Herbst kann die Kolonie aus 1000 bis 2000 Arbeiterinnen sowie aus 1000 bis 2000 Geschlechtstieren bestehen, die meisten von ihnen sind Männchen.

Dieses Nest hing 15 Meter hoch in der Krone eines Ahornbaums, als Kai Schütte es im September 2020 in Rothenburgsort aufspürte.
Dieses Nest hing 15 Meter hoch in der Krone eines Ahornbaums, als Kai Schütte es im September 2020 in Rothenburgsort aufspürte. © Kai Schütte

Von Oktober an verlassen männliche und weibliche Geschlechtstiere (Jungköniginnen) zur Paarung das Nest, bevor sich die Jungköniginnen (pro Nest können es mehrere Hundert sein) ein Versteck zur Überwinterung suchen. Für die Verfolgungsjagd in Rothenburgsort im September bedeutet das: Kai Schütte und seine Helfer sollten jetzt möglichst fündig werden.

Die Hornisse nimmt sich ordentlich Zeit

Der Forscher ist in eine ruhige Seitenstraße gelaufen. Seit dem Start sind gut 70 Minuten vergangen, in denen Schütte rund 350 Meter zurückgelegt hat. Nun steht er an einem vierstöckigen Wohnblock. Vor ihm ragt eine prächtige Linde empor. Schütte blinzelt gegen die Nachmittagssonne an, die durch die Blätter leuchtet. Ein Eichhörnchen klettert den Stamm hoch, aber von der Hornisse ist nichts zu sehen, auch nicht durch das Fernglas, mit dem einer von Schüttes Helfern in die Krone späht. Doch das Insekt muss irgendwo da oben sitzen, da ist sich Schütte ganz sicher.

Im Erdgeschoss wird gebrutzelt, es riecht nach gebratenen Zwiebeln. Für einen Snack wäre Gelegenheit jetzt, denn die Hornisse nimmt sich ordentlich Zeit, schöpft Kraft für die nächste Etappe auf ihrem Heimweg – oder die letzte?

20 Minuten vergehen. Schütte wird unruhig. „Kein Signal mehr“, ruft der Forscher, wedelt mit der Antenne, hält sie in abzweigende Wege, beschleunigt seinen Schritt bis zum Ende der Straße und biegt rechts ab in die nächste. Dann hört er das Tier wieder. Die Verfolger haben gut 600 Meter Fußweg hinter sich, als sie vor einem von Bäumen gesäumten Spielplatz stehen, der zwischen Häuserblöcken liegt. Schütte nähert sich einem 15 Meter hohen Ahornbaum, schiebt den Kopf vor – und grinst triumphierend. „Wir brauchen einen Hubwagen.“

Für den ungeschulten Beobachter ist nichts zu sehen außer vielen grünen Blättern. Erst durchs Fernglas und von dem Forscher gelotst, offenbart sich das Nest: Grau-braun gefärbt, von den Ausmaßen eines Medizinballs, hängt es mitten in der Baumkrone. Um die Kugel herum wuseln schwarze Insektenkörper.

Koordinierte Angriffe auf Bienenstöcke

In Berichten über solche Nester andernorts kam es schon zu irreführenden Darstellungen. So heißt es etwa in einer Reportage einer US-Zeitung über die Entfernung von Velutina-Völkern in Paris, das invasive Insekt gehöre zu einer Spezies gefürchteter „Mörderhornissen“. An dieser Textstelle wird auf einen Bericht über die bis zu 5,5 Zentimeter lange Asiatische Riesenhornisse (Vespa mandarinia) verlinkt.

Dieses ebenfalls aus Asien stammende Insekt, das koordinierte Angriffe auf Bienenstöcke starten und diese massiv schädigen kann, war 2019 erstmals in den USA nachgewiesen worden – in Europa ist es allerdings noch nicht aufgetaucht, worauf in dem Artikel an anderer Stelle eher en passant hingewiesen wird.

Welche Gefahr geht für Honigbienen von der sich tatsächlich in Europa ausbreitenden Asiatischen Hornisse aus? In etlichen Berichten findet sich die Behauptung, Vesper velutina ernähre sich „zu 80 Prozent“ oder „bis zu 85 Prozent“ von Honigbienen. Diese Angaben gehen wohl auf einen im Jahr 2013 veröffentlichten Fachartikel von französischen Forschenden um Adrien Perrard zurück. Die Wissenschaftler hatten in Südfrankreich an einem Nest frei lebender Asiatischer Hornissen heimkehrende Arbeiterinnen abgefangen und in 235 Fällen deren Beute untersucht.

Diese bestand zu 84,8 Prozent aus Bruststücken von Honigbienen. Zudem untersuchten die Forscher die Beute von Asiatischen Hornissen anhand eines in Gefangenschaft aufgezogenen Nestes. Dieses Volk habe sich „hauptsächlich von Honigbienen“ ernährt, konkret von 25 bis 50 Bienen pro Tag, so die Forscher. Einen Anspruch auf Repräsentativität erheben sie angesichts der geringen Fallzahlen nicht.

Asiatische Hornisse agiert als „generalistischer Räuber“

Auf einem erheblich größeren Datensatz basiert eine im Februar 2021 veröffentlichte Studie, die französische Forschende um den Biologen Quentin Rome vom Naturkundemuseum in Paris durchführten. Sie hatten aus 16 Nestern 2151 Beutepellets untersucht. Diese bestanden zu rund 38 Prozent aus Stücken von Honigbienen. Rund 30 Prozent stammten von Fliegen, knapp 20 Prozent von Grabwespen.

Der Rest der Beute stammte von mindestens 159 weiteren Tieren. Dies zeige, dass die Asiatische Hornisse als „generalistischer Räuber“ agiere, erklären die Forschenden, die dann allerdings differenzieren: „Das Beutespektrum wird durch die Nestumgebung beeinflusst, wobei städtische Kolonien eher Honigbienen und Waldkolonien eher soziale Wespen erbeuten.“

Gravierender Effekt

Anders als die Europäische Hornisse, die Bienen auf Blüten packe, tauche Velutina vor Bienenstöcken auf und zeige dort ein einzigartiges Verhalten, schreibt Quentin Rome auf Nachfrage. „Die Hornissen schweben mit dem Rücken zum Eingang des Bienenstocks und fangen zurückkehrende Bienen ein. Unsere europäische Honigbiene hat sich nicht mit einem Raubtier koevolviert, das auf diese Weise jagt.“ Unter Umständen schränkten die Bienen ihre Futtersuche ein. „Weniger Futtersuchaktivität zu Beginn des Herbstes gleich weniger Honigreserven für den Winter“, so Rome.

Wie gravierend sich dieser Effekt auswirke, sei allerdings unklar: „Wir haben keine Ahnung, inwieweit Vespa velutina für die Wintersterblichkeit von Honigbienen verantwortlich ist“, schreibt er. Sicher sei, dass die Hornisse einen Einfluss habe, wobei dies von Region zu Region und von Jahr zu Jahr stark variieren könne.

In Frankreich sei die Asiatische Hornisse einzuschätzen als „ein weiterer Stressfaktor“ für die Honigbienen, die bereits – wie Honigbienen in anderen Ländern auch – mit Parasiten wie der Varroa-Milbe und mit dem Einfluss von Pestiziden zu kämpfen haben. Normal starke Honigbienenvölker könnten Verluste durch jagende Asiatische Hornissen verschmerzen, sagt der deutsche Wespenexperte Rolf Witt.

Der Klimawandel spielt eine Rolle

In französischen Studien wird beschrieben, dass sich Asiatische Hornissen pro Jahr fast 80 Kilometer ausbreiten können, dass Jungköniginnen also so weit entfernt von ihrem Ursprungsnest ein neues bauen können. Für die Velutina-Vorkommen in Deutschland lasse sich das nicht bestätigen, sagt Kai Schütte. Die Ausbreitung verlaufe hierzulande bisher erheblich langsamer. Ob es in Hamburg warm genug ist für eine massenhafte Vermehrung der Art, ist unklar.

Behutsam bindet Kai Schütte der betäubten Hornisse einen Gürtel aus Nähgarn um. Daran wird er einen Mini-Sender befestigen. Eine Stirnlupe erleichtert dem Forscher die Arbeit.
Behutsam bindet Kai Schütte der betäubten Hornisse einen Gürtel aus Nähgarn um. Daran wird er einen Mini-Sender befestigen. Eine Stirnlupe erleichtert dem Forscher die Arbeit. © Marc Hasse

Sogenannte Nischenmodellierungen deuteten zwar darauf hin, dass sich die Velutina im Hamburger Raum eher „nicht gut akklimatisieren könnte“, sagt Quentin Rome. Aber diese Annahme beruhe nur auf Berechnungen. Im Zuge des Klimawandels wird es auch in Hamburg wärmer. Kai Schütte hält es für möglich, dass die Hansestadt als „Wärme-Insel“ dem Insekt ein annehmbares Klima bieten könnte.

Noch, sagt Edda Gebel vom Hamburger Imkerverband, sei ihr kein Fall bekannt, in dem Asiatische Hornissen in der Hansestadt Bienenstöcke stark dezimiert oder gar zerstört hätten. Eine Imkerin aus Horn erklärt hingegen, genau das sei bei ihr passiert. Sie hielt 2019 in ihrem Schrebergarten vier Bienenvölker, als im August vor den Fluglöchern der Stöcke Asiatische Hornissen jagten, wie sie sagt. 20 bis 30 Exemplare habe sie an einem Tag beobachtet, so die Imkerin, die ungenannt bleiben möchte. Später habe sie vier tote Stöcke vorgefunden – Schuld seien Asiatische Hornissen.

Mit einem Hubwagen hinauf zum Hornissennest

In einem Gutachten des Instituts für Bienenkunde in Celle heißt es dazu allerdings, die Proben aus den Bienenstöcken wiesen auf einen erheblichen Befall durch Varroa-Milben hin. Als Szenario sei es denkbar, dass Asiatische Hornissen die Bienenvölker zusätzlich geschwächt hätten. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle vier Stöcke durch die Varroa eingegangen sind“, sagt die Imkerin. Sie zog 2020 neue Bienenvölker auf. Erneut tauchten im Sommer vor den Beuten Asiatische Hornissen auf, was auch Schütte bestätigte.

In Rothenburgsort kehrt der Forscher vier Tage nach der erfolgreichen Verfolgungsjagd mit einem Helfer und einem Hubwagen an den Ahornbaum zurück. Von Kopf bis Fuß in weiße Schutzanzüge gehüllt und mit einem Spezialsauger im Anschlag nähern sie sich in 15 Meter Höhe dem Hornissennest.

Hunderte Tiere stieben hervor, einige spritzen Gift auf die Männer, was in solchen Fällen allerdings auch andere Wespenarten tun können, wenn ihr Volk bedroht wird. Trotz heftiger Gegenwehr landet ein Großteil der Arbeiterinnen in Kästen aus Plexiglas. Das Nest sägen Schütte und sein Helfer ab und packen es in einen Sack.

Spaziergängerin entdeckt ein Nest am Horner Mühlenberg

Als der Herbst dem Winter weicht, zieht der Forscher eine Bilanz: Außer dem Nest in Rothenburgsort konnte er mittels Radiotelemetrie ein weiteres Nest in Horn aufspüren. Beide Behausungen entfernte er, wohl bevor sich eine neue Generation Jungköniginnen entwickeln und ausfliegen konnte. Indizien zufolge muss es ein drittes Nest in Osdorf gegeben haben, sagt Schütte, das aber auch schon im Sommer zerstört wurde – von wem, sei unklar.

Ein viertes noch kleines Nest befand sich an einem Schuppen am Eichbaumsee im Stadtteil Allermöhe. Es war schon von einem Schädlingsbekämpfer zerstört worden, bevor der Besitzer des Schuppen dies Ende August der Umweltbehörde meldete – und Schütte bestätigen konnte, dass es sich um eine Behausung Asiatischer Hornissen gehandelt hatte. Und nun: War es das vielleicht mit der Velutina in Hamburg, ist es vorbei?

Schon ausgeflogen waren die Jungköniginnen aus diesem Nest. Eine Spaziergängerin hatte es im Januar 2021 in Horn entdeckt.
Schon ausgeflogen waren die Jungköniginnen aus diesem Nest. Eine Spaziergängerin hatte es im Januar 2021 in Horn entdeckt. © Marcelo Hernandez

Januar 2021: In einer Kleingartensiedlung am Horner Mühlenberg hält eine Spaziergängerin Ausschau nach Eichhörnchenkoben – und entdeckt in der Krone eines Kirschbaums ein graubraunes Gebilde. Noch eine Behausung Asiatischer Hornissen – leer. „Es ist das einzige Nest, wo wir sicher sind, dass Jungköniginnen ausgeflogen sind“, sagt Schütte. Nach einer Untersuchung des Nests vermutet er, dass 200 bis 350 Jungköniginnen ausgeflogen sind. Mindestens fünf bis zehn von ihnen könnten den Winter überlebt haben, schätzt er.

Überwachungsprogramm startet

Die Hamburger Umweltbehörde startet nun ein Monitoring, zusammen mit Behörden in Schleswig-Holstein und Niedersachsen. In Hamburg sollen Bienenhalter über den Imkerverband dazu aufgerufen werden, in drei je zweiwöchigen Phasen im Sommer und Frühherbst eine Stunde pro Tag an ihren Bienenstöcken zu beobachten, ob dort Asiatische Hornissen jagen. Solche Vorkommnisse sollen Imker auf einer eigens eingerichteten Internetseite eintragen. „Wir hoffen, dass wir durch das Monitoring und die Entfernung von Nestern die Ausbreitung der Asiatischen Hornisse stoppen können“, sagt Tobias Langguth, in der Umweltbehörde zuständig für invasive Arten.

Kai Schütte hält sich bereit.