Rosengarten. Schon mit zehn Jahren beeindruckte Henrik Surm die Informatik-Experten in der Handelskammer Hamburg. Wie sein Leben jetzt aussieht.

Wenn ich groß bin, dann werde ich mal – ja was? Möglich scheint alles, wenn wir klein sind. Als Kind sitzen wir in einer Zirkusvorstellung, schauen in den Ring und denken: Zirkusdirektor! Den ganzen Tag Löwen streicheln, cool! Die Karriere als Profifußballer scheint greifbar nah, nachdem man in der Jugendmannschaft das entscheidende Tor per Volleyschuss erzielt hat. Und die Eltern glauben dem Kleinen, wenn er nach dem Gewinn der Legobaumeisterschaft in seiner Stadt stolz verkündet, als Erwachsener Architekt werden zu wollen.

Und dann kommt das Leben dazwischen, und die zumeist nüchterne Realität des Alltags raubt vielen die Träume von einst. Außer jenen, die das nötige Talent und die Passion und die Disziplin besitzen, beharrlich auf ihrem Weg zu bleiben. Sie sind die Ausnahmen, die die Regel bestätigen.

Im Jahr 2000: Henrik Surm bei Handelskammer Hamburg

Rückblende: Im Jahr 2000 sitzt ein zehnjähriger Junge im Börsensaal der Handelskammer Hamburg am Adolphs­platz, seine Finger rasen über die Tastatur eines Laptops. Um ihn herum, an den anderen Tischen im Saal, stehen durchweg Männer und Frauen, die mindestens doppelt so alt sind wie er.

Sie sind Studenten der Informatik an der Fachhochschule Hamburg. Henrik Surm ist nur ein technikaffiner Kinderzimmer-Tüftler. Aber in seiner Leidenschaft für alles, was elektronisch blinkt, fiept und rattert, absolut ebenbürtig. Und deswegen darf er dabei sein beim öffentlichen Wettbewerb der Roboter, dem Abschluss und Höhepunkt des Semesterprojektes der Studenten.

Laptop „Klein Bruno“ aus Fischer-Technik-Teilen

Henrik programmiert über den Laptop „Klein Bruno“, einen aus Fischer-Technik-Teilen zusammengeschraubten Roboter auf Rädern, dessen Herz aus einem Chip auf einem kleinen Mini Board besteht. Henrik beherrscht die damals gängigen Programmiersprachen IC, Delphi oder Turbo Pascal und teilt „Klein Bruno“ gerade mit, was er zu tun hat.

Nämlich kleine Dosen zwischen schuhkartongroßen Garagen hin- und herzubewegen. Beim Bauen von „Klein Bruno“ hat ihm der Vater geholfen, sagt Henrik. Der Papa ist Ingenieur für Elek­trotechnik und ehemaliger Student der Fachhochschule – der Stamm also, von dem herunter der Apfel nicht weit entfernt gefallen ist.

Informatik-Experten beeindruckt von Surm

Die in der Handelskammer versammelten Informatik-Experten sind beeindruckt von Henrik und „Klein Bruno“. Professor Gunter Klemke von der FH Hamburg bringt es gegenüber dem Abendblatt-Reporter auf den Punkt: „Der Junge ist Wahnsinn!“

Henrik tippt weiter auf seinem Laptop und spricht mit „Klein Bruno“. Angesprochen auf seine Zukunft sagt der Zehnjährige überlegt und ruhig: „Später werde ich Programmierer für Roboter und Spiele.“

Surm mittlerweile Programmierer für Roboter

Im Jahr 2021 steht Henrik Surm an einem Schreibtisch in einem Büro in Rosengarten bei Hamburg. Seine Finger rasen über die Tastatur eines Computers. Vor Surm stehen zwei Monitore, auf denen für den Laien überkomplex wirkende Schalt-Schemata von intelligenten Robotern angezeigt werden, in diesem Fall fahrerlose Transportsysteme. Um Henrik herum sitzen mehr oder weniger gleichaltrige Kollegen.

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Sie alle teilen die Leidenschaft für alles, was elektronisch blinkt, fiept und vor allem selbstständig fährt und arbeitet. Henrik Surm, heute gefühlt doppelt so groß wie damals in der Handelskammer und mit deutlich längeren Haaren, hat Wort gehalten: Er ist Programmierer für Roboter.

Transportroboter sind die Verkaufsschlager

Nicht etwa von „Klein Bruno“ oder anderem Selbstgetüftelten, sondern von sehr smarten, sehr schicken und sehr wertvollen Transportrobotern, die Heavy Move, Smart Move, Fast Move oder Custom Move heißen. Es sind die Verkaufsschlager der E&K Automation GmbH, einem der weltweit führenden Hersteller und Systemintegratoren von innovativer Hightech-Transportrobotik für die Intralogistik.

20 Jahre später: Surm mit seinem Profi-Roboter.
20 Jahre später: Surm mit seinem Profi-Roboter. © A. Burgmayer

Die Firma mit Hauptsitz in Rosengarten und 200 Mitarbeitern, verteilt auch auf vier weitere Standorte in ganz Europa, sorgt weltweit dafür, dass in Produktions- und Lagerhallen der vollautomatische, innerbetriebliche Materialfluss zuverlässig von A nach B mäandert – wenn es sein muss auch über B, C, D, E und F nach G. Genau genommen also das Prinzip, das Henrik Surm und sein „Klein Bruno“ mit Dosen und Schuhkarton-Garagen im Jahr 2000 verfolgt haben. Nur eben ein paar Dutzend Nummern größer.

Surm bewarb sich mit Abendblatt-Artikel bei Unternehmen

Henrik Surm hat den 20 Jahre alten Abendblatt-Artikel über seinen Auftritt als Zehnjähriger beim Semesterprojekt der FH Hamburg in der Handelskammer zu seinen Bewerbungsunterlagen gesteckt, als er sich im vergangenen Jahr für die Stelle bei E&K Automation bewarb. Und da die Geschäftsführung bei E&K offenbar was übrig hat für Kindheitsträume und obendrein von der fachlichen Eignung des Bewerbers überzeugt war, kam man zusammen.

Für Henrik Surm der folgerichtige Abschluss einer konsequenten Entwicklung. Als kleiner Tüftler holt er sich 2001 und 2003 jeweils den ersten Platz bei Jugend forscht – mit Robotern. Von der Grundschule in seiner Heimatgemeinde Stelle ist er da schon auf das Gymnasium in Lüneburg gewechselt. In der Pubertät widerfährt ihm dort dasselbe Schicksal wie all jenen, die sich in diesem Alter in ein Universum aus Computern, Elektronik und Robotern verabschieden – er gilt als Nerd und muss sich Sprüche anhören. „Aber das hat mich letztlich auch zu dem gemacht, der ich heute bin“, sagt Surm.

Elektrotechnik als Leistungskurs

Als Schüler wechselt er für die Oberstufe schließlich auf das Technische Gymnasium in Winsen an der Luhe. „Hier hatte ich Elektrotechnik als Leistungskurs und bekam Kontakt zu Gleichgesinnten.“ Nach dem Abitur macht Surm 2013 seinen Master of Science in Informatik-Ingenieurwesen an der TU Harburg. Danach wechselt er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die Universität von Oldenburg und beschäftigt sich zwei Jahre lang mit einem Projekt für sicherheitskritische Systeme in Verkehr und Schifffahrt.

Die alte Sehnsucht nach der Verbindung zwischen Elektronik und Maschinen („Klein Bruno“!) bringt ihn schließlich auf die Position des Software-Ingenieurs bei einem Hersteller für Industrie-Laser. „Ich mag das einfach, die Software für Maschinen zu programmieren“, sagt Surm. „Wenn ich irgendwo draufdrücke – und irgendwo geht ein Laser an.“

Roboter-Entwickler mittlerweile Familienvater

Auch in der Welt des Henrik Surm gibt es mittlerweile tatsächlich Wichtigeres als Roboter. Er hat eine Familie gegründet und ist Vater geworden. Und während er also den Robotern dieser Welt sagt, wo es langgeht, wird es interessant sein zu beobachten, ob ihm das auch bei seinem Sohn gelingen wird.

Ob der Apfel also erneut ganz nah neben den Stamm fällt, ob aus Talent, Prägung und Passion eine Lebensaufgabe für den Junior erwächst und die elektronische Familientradition der Surms eine weitere Generation überspannt.