Hamburg. Im Heine Haus begibt sich die Stipendiumsgewinnerin Martina Bick auf die Spuren des Musikers – und stößt auf eine Liebeständelei.
Die klassischen Dichterkemenaten aus alten Zeiten waren mit Sicherheit nicht so komfortabel: zwei kleine Zimmer, eine Küchenzeile und sogar ein Bad – und das Ganze auch noch an der Elbchaussee. Einen Monat lang sind die Räume nun der Arbeitsbereich der Musikwissenschaftlerin und Schriftstellerin Martina Bick.
Die Altonaerin hat das Mendelssohn/Heine-Forschungs- und Schreibstipendium ergattert und werkelt jetzt im Dachgeschoss des Heine Hauses an ihren Schriften. „Residenzprogramm“ nennt sich das Ganze. Ziel des Stipendiums ist es, Leben und Wirken der musik- und poesiebegeisterten Familien Mendelssohn und Heine zu beleuchten und der Öffentlichkeit bekannter zu machen. Beide Sippen waren miteinander befreundet und tauschten sich jahrelang aus – mal per Brief, mal bei Besuchen.
Felix Mendelssohn oft zu Gast bei Salomon Heine
Felix Mendelssohn Bartholdy, weltberühmter Komponist und Musiker, war oft zu Gast bei Salomon Heine in dessen Landhaus, das einst nordwestlich vom jetzigen Heine Haus, dem ursprünglichen Gartenhaus, stand, aber schon vor vielen Jahren abgerissen wurde. Es ist ein erster offizieller Fotobesuch in der kleinen, aber feinen Schreibklause, der dem Abendblatt gewährt wird. Erster Stipendiat war, wie berichtet, der Schriftsteller David Wagner. Der ließ sich zwar im Erdgeschoss des Gartenhauses filmen und fotografieren, aber der Schreibplatz oben war tabu.
Martina Bick ist da nicht so streng, sondern erlaubt bereitwillig den Blick auf ihr Manuskript und die Notizen, die verstreut auf einem Beistelltisch liegen. Vorne röhren fast pausenlos Autos direkt am Haus vorbei, hinten zwitschern ein paar Vögel. Der Blick vom Schreibtisch geht Richtung Elbe; Kräne und Hafenanlage scheinen zum Greifen nah. „Ich fühle mich sehr wohl hier“, sagt Bick. Das Schreibzimmer biete Ruhe zum Nachdenken, die Straße vorne wiederum erinnere an die nahe Stadt und den geschäftigen Alltag, der ja auch nicht ganz ausgeblendet werden sollte.
Hamburg tragende Bedeutung als jüdischer Siedlungsort
Die Spuren der Familie Mendelssohn führen direkt zur Elbchaussee, entsprechend lässt sich kein zweiter Ort vorstellen, der für die Beschäftigung mit dem Thema so inspirierend ist. „Es ist faszinierend, welche Bedeutung Hamburg und Altona einst als jüdische Siedlungsorte hatten“, sagt Bick, „Vielen ist das gar nicht bekannt.“
Die Autorin liest aus einem Brief vor, den Felix Mendelssohn Bartholdy im April 1829 an die Angehörigen in Berlin schrieb. Über Hamburg befand er etwas zweideutig: „Schöne Stadt, wo man über die Austernschalen stolpert und die Milch in rothen Eimern zum Verkauf trägt; leider kommt sie mir aber nicht Deutsch vor, sondern wie ein entre-deux von London und Jerusalem.“ Ein Dinner bei Salomon Heine in Altona empfand Mendelssohn als „hoechst gentleman“.
Salomon Heine machte Mendelssohns Schwester den Hof
Dass der nicht mehr junge Bankier Mendelssohns Schwester Rebecka (genannt Beckchen) offenbar umschwärmte, nahm der ältere Bruder mit Humor: „Salomon Heine macht ihr schrecklich die cour; nennt sie Du, küsst sie bei Gelegenheit und gibt ihr den Mantel um.“
Ihr Vater Abraham nahm diese Schilderung offenbar zum Anlass für ein Gedankenspiel: In einem Brief an seine Frau Lea und Tochter Fanny schrieb er ebenfalls im April 1829 über Salomon Heine: „Wir haben neulich untersucht, was für curiose combinationen entstehen würden, wenn der seine Frau verstiese und Beckchen heirathete; Deiner Einwilligung wäre ich gewiss, denn der Mann hat seine 5 Millionen Mark (...) und also ausgesorgt.“
„Heinrich Heine hatte nicht nur angenehme Seiten“
Dass sich diese Szenen vor bald 200 Jahren nur einen Steinwurf vom Gartenhaus entfernt abgespielt haben, verleiht dem Ort eine gewisse Aura, der man sich als Gast nur schwer entziehen kann. Das Verhältnis zwischen Felix Mendelssohn Bartholdy und Salomon Heines Neffen Heinrich war indes nicht frei von Spannungen.
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„Heinrich Heine hatte nicht nur angenehme Seiten“, sagt Martina Bick diplomatisch, mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Stattdessen verweist sie auf einen Brief, den Fanny Mendelssohn Bartholdy im März 1829 an den Freund Karl Klingemann in London schrieb. Darin stellt sie fest, dass sie Heinrich Heine „geziert“ finde. Und dann weiter: „Wenn man ihn auch zehnmal verachten möchte, so zwingt er einen zum elftenmal zu bekennen, er sei ein Dichter, ein Dichter!“
Bicks Forschung soll in Hamburger Stadtführer einfließen
Martina Bicks Forschungsergebnisse sollen in einen Führer mit Stadtspaziergängen einfließen, vielleicht wird aber auch ein Buch daraus. Beate Borowka-Clausberg, engagierte erste Vorsitzende des Heine-Haus-Vorstands, führt durch den bezaubernden Gartensaal, in dem Konzerte und Lesungen veranstaltet werden. Sie hält es für gut möglich, dass die Anregung für diesen Bau auf Felix Mendelssohn Bartholdy zurückgehen.
Die Begründung: In Berlin, wo die Familie damals lebte, waren Gartenhäuser, in denen auch musiziert werden konnte, damals schon verbreiteter als in Hamburg beziehungsweise Altona. „Irgendjemand muss Salomon Heine ja auf die gute Idee gebracht haben“, sagt sie, „und warum soll es nicht der Musiker Felix gewesen sein?“