Hamburg. Großes Gerangel um die Nachfolge der Landesvorsitzenden: Gleich sechs Frauen und Männer drängen nach vorn. Die Anwärter.

Zur Freude der TV-Zuschauer hatte das ZDF Ende der 1980er-Jahre den Familienzwist um „Das Erbe der Guldenburgs“ auf fast 40 Folgen ausgewalzt. Ganz so viel Stoff liefert die Hamburger FDP derzeit noch nicht. Doch für einen abendfüllenden Film sollte das aktuelle parteiinterne Gerangel schon reichen – passender Titel wäre „Das Erbe der Katja Suding“.

Die bundesweit bekannte Liberale hatte trotz ihrer erst 45 Jahre im Herbst völlig überraschend ihren Rückzug aus der Politik angekündigt. Und damit stehen ihre Parteifreunde in Hamburg nun vor zwei Herausforderungen: Der Landesvorsitz, den Suding seit 2014 innehat, muss neu besetzt werden. Und es wird eine Person gesucht, die die Hamburger FDP an ihrer Stelle in die Bundestagswahl im September führt. Was die Lage kompliziert macht: Einige Liberale meinen, das könnte doch gut ein und dieselbe Person sein. Andere lehnen das vehement ab.

Entscheidung bei Hamburger FDP im April

Wie es sich für ein anständiges Drehbuch gehört, planen die Liberalen den großen Showdown – beide Entscheidungen sollen an einem Wochenende fallen: Am 24. April wird zunächst die Landesliste für die Bundestagswahl aufgestellt, am Tag darauf der oder die neue Vorsitzende gewählt. Dass die erste Entscheidung durchaus Einfluss auf den Ausgang der zweiten haben kann, erhöht die Spannung.

Suding selbst mischt sich in ihre Nachfolge nicht ein – was vermutlich klug ist, denn die Spannung in der Partei ist ohnehin groß. Schließlich sind die Protagonisten zahlreich, zum Teil recht prominent und nicht alle beste Freunde. Da ist zum Beispiel Wieland Schinnenburg (62), ehemals Landesvorsitzender und Bürgerschaftsabgeordneter, der 2017 zusammen mit Suding in den Bundestag eingezogen war: Er bewirbt sich um die Spitzenkandidatur und den Landesvorsitz. Auch Michael Kruse (37), der nach Sudings Wechsel nach Berlin zusammen mit Anna von Treuenfels die Führung der Hamburger Fraktion übernommen hatte, strebt beide Spitzenpositionen an.

Daniel Oetzel kandidiert für Landesvorsitz

Carl Cevin-Key Coste gilt als politisches Talent.
Carl Cevin-Key Coste gilt als politisches Talent. © Unbekannt | Mirko Hannemann

Mit Ria Schröder (29) erhebt zudem die ehemalige Bundesvorsitzende der Nachwuchsorganisation Junge Liberale (JuLis) Anspruch auf Platz eins für die Bundestagswahl – ebenso wie Carl Cevin-Key Coste (24) seit 2016 JuLi-Vorsitzender in Hamburg und eines der größten Talente der Partei.

Hinter ihnen wird sich Anna von Treuenfels (58), die bei der Bürgerschaftswahl trotz des Scheiterns der FDP an der Fünfprozenthürde ein Direktmandat errungen hatte und seitdem als Einzelkämpferin die liberale Flagge im Rathaus hochhält, um Platz zwei bewerben. Daniel Oetzel (33) wiederum, von 2015 bis 2020 Bürgerschaftsabgeordneter und dort zuletzt Vizefraktionschef, kandidiert ausschließlich für den Landesvorsitz.

Junge technikaffine Liberale könnten Wahl entscheiden

Wer das Rennen macht? Völlig offen, sagen alle Beteiligten und Beobachter unisono. Erschwert werde eine Prognose dadurch, dass die formal zwei Veranstaltungen coronabedingt digital stattfinden. Daher sei es schwer vorherzusagen, wie viele der rund 1500 Hamburger FDP-Mitglieder sich daran beteiligen werden und aus welchen Gruppen diese kommen.

Eine Vermutung – für einige Beteiligte auch eine Befürchtung – ist, dass viele junge und technikaffine Liberale dabei sein werden. Das dürfte dann vor allem Coste helfen, der von den JuLis ins Rennen um Platz eins geschickt wurde und dort großen Rückhalt genießen soll. Für Ria Schröder gelte das nicht, heißt es in der Partei. Sie sei politisch zu grün und habe sich schon mit zu vielen Leuten angelegt. Allerdings sei sie klug und habe einen guten Auftritt, räumen selbst ihre Kritiker ein.

Favoriten auf Spitzenkandidatur: Kruse und Schinnenburg

Leichte Favoriten auf die Spitzenkandidatur sind daher Kruse und Schinnenburg – ohne dass einer von beiden mit offenen Armen empfangen werden würde. Schinnenburg stehe mit seinen 62 Jahren nicht gerade für Aufbruchstimmung, heißt es, sondern für „die alte Gelbe-Krawatten-FDP“, sagt einer. Dass er 2007 schon einmal den Landesvorsitz und die Spitzenkandidatur für die Bürgerschaftswahl unter Verweis auf den mangelnden Rückhalt in der Partei hingeschmissen hat, haben viele Mitglieder nicht vergessen. Im Amt des Parteivorsitzenden, der den Laden zusammenhalten soll, können sie sich ihn daher nur schwer vorstellen, weiterhin als Abgeordneten in Berlin dagegen schon – denn fachlich ist der Jurist und Zahnarzt unumstritten.

Michael Kruse strebt Landesvorsitz und Spitzenkandidatur an.
Michael Kruse strebt Landesvorsitz und Spitzenkandidatur an. © Unbekannt | Marcelo Hernandez

Kruse werfen viele Parteifreunde vor, dass er nach dem Debakel bei der Bürgerschaftswahl ein Jahr lang komplett abgetaucht sei und nun gleich beide Spitzenposten beanspruche. Aus Sicht des selbstständigen Wirtschaftsfachmanns ist das aber gerade die richtige Reaktion auf die schwere Niederlage und den Verlust des Fraktionsstatus in Hamburg: „Jetzt geht es um eine Richtungsentscheidung, wie wir aus diesem Tief wieder herauskommen“, sagte er dem Abendblatt.

Frostiges Verhältnis zwischen Kruse und von Treuenfels

„In der Partei gibt es den weit verbreiteten Wunsch, dass liberale Themen wieder sichtbarer vertreten werden. Damit das auch ohne eigene Fraktion in der Bürgerschaft gelingen kann, muss der Landesvorsitzende möglichst viel Strahlkraft entwickeln – dafür braucht es das zusätzliche Gewicht eines Bundestagsmandats. Daher biete ich meiner Partei eine verbundene Kandidatur an: Der Landesvorsitz und die Spitzenkandidatur gehören für mich in eine Hand.“

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Ohne es so direkt zu sagen, schwebt Kruse wohl das Vorbild Christoph Ploß vor: Seit der CDU-Bundestagsabgeordnete auch den Landesvorsitz seiner Partei übernommen hat, ist er noch präsenter in der Stadt geworden, was auch mit dem gestiegenen politischen Gewicht zusammenhängen dürfte. Anders als Ploß, der sich peu à peu die Macht in seiner Partei gesichert hat, gilt Kruse aber nicht unbedingt als Teamplayer. Das frostige Verhältnis zu Anna von Treuenfels in der Zeit, als beide gemeinsam die Fraktion geführt haben, habe seine Gründe gehabt, raunen damalige Abgeordnete. Kruse sei ein Wirtschaftsfachmann, guter Redner und verkaufe sich gut – mithin ein guter Abgeordneter. Aber als integrativ wirkenden Landesvorsitzenden könnten sie sich ihn nicht vorstellen.

Daniel Oetzel: klug, freundlich, verlässlich

Da der 37-Jährige aber ausdrücklich beides anstrebt, stellt sich bei ihm am stärksten die Frage: Zieht er sich für den Landesvorsitz zurück, wenn er nicht zum Spitzenkandidaten gewählt wird? Lachender Dritter könnte dann Daniel Oetzel sein. Der ist zwar auch erst 33, wie einige ältere Mitglieder kritisch bemerken. Aber der angehende Lehrer hat sich in seiner Zeit in der Bürgerschaft nicht nur fachlich einen guten Namen gemacht, sondern er ist auch der einzige Bewerber für den Landesvorsitz, über den in der Partei fast nur gut geredet wird: Klug, freundlich, verlässlich und konsensorientiert sind Attribute, die Oetzel zugeschrieben werden.

Daniel Oetzel gilt als klug und konsensorientiert.
Daniel Oetzel gilt als klug und konsensorientiert. © Unbekannt | Marcelo Hernandez

Nur hinter seiner Durchsetzungsstärke wird ein Fragezeichen gemacht. Zudem steht er vor allem im Vergleich zu Kruse für einen völlig konträren Ansatz: Oetzel will Amt und Mandat bewusst trennen, wie es in der Partei vor Sudings Zeiten lange Tradition war. Auch Treuenfels plädiert für diese Aufteilung.

Rückkehr von Hamburger FDP in Bürgerschaft gewünscht

Gerade in einer Phase ohne eigene Bürgerschaftsfraktion müsse sich der Landesvorsitzende auf seine Arbeit in Hamburg konzentrieren, sagt Oetzel, der immer wieder den Teamgedanken betont und allen denkbaren Bundestagsabgeordneten seine Unterstützung zusagt. „Perspektivisch“ gehe es ihm darum, die FDP so aufzustellen, dass sie 2025 die Rückkehr in die Bürgerschaft schaffen kann, sagt er. Das würde wohl jedes Mitglied so unterschreiben.

Doch zunächst steht in vier Wochen eine Richtungsentscheidung an: Wird das politische Erbe von Katja Suding auf einen starken Mann übertragen? Oder auf ein Team aus Frauen und Männern? So spannend wie „Die Guldenburgs“ dürfte es allemal werden.