Hamburg. Weil sie sich abhörsicher glaubten, tauschten die Angeklagten sich via “Encro-Chat“ offen aus. Haupttäter ist verurteilter Mörder.
Die Handy-Accounts hatten Namen wie „Killer Move“ oder „Toxic Gang“. Nichts, was irgendwie friedlich klingt, sondern eher gefährlich, toxisch eben oder tödlich. Doch die Kundschaft des Handy-Kommunikationswerks Encro-Chat ließen sich von dieser martialischen Konnotation nicht abschrecken — im Gegenteil.
Schließlich war das, was sie über die speziellen Mobiltelefone besprechen wollten, alles andere als legal. Es ging im Wesentlichen um kriminelle Machenschaften wie Drogenhandel im großen Stil, Erpressung oder sogar Mord. Doch Encro-Chat, die Marke des Vertrauens unter Schwerverbrechern, war nicht so gut verschlüsselt, wie es den Anschein hatte. Ermittler drangen in das Netz ein, es folgten zahlreiche Razzien und etlichen Festnahmen.
Drogen-Prozess: Selbst Verteidigung plädiert auf lange Haft
Und demnächst kommt es auch zu einer Verurteilung zweier Männer zu vermutlich hohen Freiheitsstrafen. Im Prozess vor dem Landgericht gegen Albert X. (50) und Horald C. (31), denen Handel mit mehr als hundert Kilogramm Kokain vorgeworfen wird, forderte die Staatsanwaltschaft am Donnerstag zehneinhalb Jahre für den älteren der beiden Angeklagten sowie sieben Jahre und acht Monate für den 31-Jährigen.
Die Verteidigung plädierte auf Strafen von neuneinhalb Jahren beziehungsweise sechs Jahre und acht Monate. Beide Angeklagten hatten im Prozess gestanden, Kokain von Lieferanten erhalten, in einer Bunkerwohnung gelagert, gestreckt und dann weiterverkauft zu haben. Dabei erzielten sie laut Anklage einen Preis von mindestens 29.000 Euro pro Kilo.
Hauptangeklagter Albert X. ist verurteilter Mörder
Im vergangenen Jahr war es Ermittlern gelungen, die Encro-Chat-Netzwerke zu entschlüsseln und damit einen massiven Schlag gegen das organisierte Verbrechen zu führen. Ein Ermittler hatte den Coup eine „ganz dicke Goldader“ genannt. Bei einem der Accounts, die von der Hamburger Kriminalpolizei ausgewertet wurden, so erklärte es im Prozess ein Beamter als Zeuge, stießen sie auf Albert X.
Der 50-Jährige ist Strafverfolgern nur allzu gut bekannt. 1997 wurde er wegen Mordes zu einer lebenslanger Haft verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Inklusive der Zeit, die Albert X. in Untersuchungshaft verbracht hatte, saß er dafür 18 Jahre hinter Gitter, bevor er im April 2013 auf Bewährung freigelassen wurde. Seine Reststrafe wurde im Mai 2018 erlassen.
Vermeintlich abhörsicher: Dealer tauschen sich offen über Drogen aus
Spätestens knapp zwei Jahre danach war der Albaner tief im Drogengeschäft drin. Unter dem Spitznamen Bertie habe Albert X. am Handy, das er für abhörsicher hielt, über Drogendeals gesprochen, schilderte der Kripobeamte. Die Gesprächspartner des 50-Jährigen hätten Spitznamen wie Luck oder Neppobra genutzt.
Albert X. sei bei den Telefonaten derjenige gewesen, der Anweisungen für die verabredeten Kokaingeschäfte und deren Übergabe gab, so der Ermittler. So habe der Dealer beispielsweise von seinen Komplizen gefordert, sie sollten „nicht wartenderweise herumstehen und sich nicht auffällig verhalten“. Ob sie diese Anweisungen auch befolgten, habe der verurteilte Mörder gut kontrolliert. „Heute kommt der Russe“, hieß es beispielsweise, wenn wieder ein Deal anstand.
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Die Drogen seien dann in sogenannte Bunkerwohnungen in Lokstedt und Barmbek-Süd geliefert worden. Aufgabe des Angeklagten Horald C. sei es gewesen, die Qualität der gelieferten Drogen zu testen, sie zu strecken und gewinnbringend weiter zu verkaufen. Mindestens über die Güteklasse einer Charge äußerte sich der 31-Jährige in einem Chat hoch zufrieden: „Es ist top-top!“
Dealer schickten sogar "eine Art Buchhaltung" über Encro-Chat
Nicht nur über die Lieferungen, sondern auch über die Preise für das Kokain tauschten sich die Kriminellen über Encro-Chat aus. So konnten die Ermittler nachverfolgen, dass zwischen Albert X. und einem Komplizen „ständig eine Art Buchhaltung hin und her geschickt“ worden sei, schilderte der Ermittler weiter.
So seien Tabellen geführt worden, die etwa mit „Pakete April“ überschrieben waren und in denen verkaufte Kokain-Pakete und deren Preise aufgelistet wurden und akribisch der jeweilige Gewinn notiert. Neben der Auswertung der Encro-Chat-Kommunikation stützten die Ermittler ihre Erkenntnisse auch unter anderem auf die Observierung der Verdächtigen.
Albert X. gilt dem Staatsanwalt als Drahtzieher der Drogendeals
Der wegen Mordes vorbestrafte Albert X. sei bei den Drogendeals der „Drahtzieher“ gewesen und habe sich „zwischen Kokaingroßhändlern bewegt“, sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Es habe eine „klare Hierarchie“ geherrscht, auch gegenüber Horald C., der auf Anweisung gehandelt habe.
Als strafschärfend wertete der Ankläger für beide, dass Kokain eine harte Droge mit erheblichem Suchtpotential ist. Das illegale Labor zum Strecken des Rauschgift hätten sie betrieben, um höchstmögliche Gewinnmargen zu erzielen. Zusätzlich beantragte der Staatsanwalt die Einziehung der Umsätze aus den Drogengeschäften von rund 2,9 Millionen Euro. Ein Urteil wird am 19. März erwartet.