Hamburg. Nicht einmal zwei Prozent E-Autos – das ist aber schon Spitze in Deutschland. Alles über Ladesäulen, Zuschüsse und Kosten.
Lutz Gornik hat einen eher ungewöhnlichen Grund, für die Flotte seiner Dienstwagen auf den Elektroantrieb zu setzen: „Bei Bewerbern kommt das immer gut an.“ Gorniks Unternehmen, Pflegepartner Hamburg, hat es wie die anderen Pflegedienste nicht leicht, Nachwuchs zu finden.
Da helfe es, sich als moderne und ressourcenbewusste Firma präsentieren zu können, sagt er. Bisher machen die E-ups erst ein Viertel der 32 Dienstfahrzeuge aus, aber bis Ende 2023 soll die Flotte vollständig elektrifiziert sein. Für die kurzen Strecken in der Stadt seien die batteriebetriebenen Autos „wie gemacht“, findet Gornik: „Mit einer Aufladung kann man hier mindestens drei Tage lang fahren.“
Elektromobilität: Hamburg im Bundesländer-Vergleich vorne
Tatsächlich liegt Hamburg im Bundesländer-Vergleich vorn, was den Marktanteil der Elektromobilität angeht. Mit einem Bestandsanteil von 1,8 Prozent hat die Hansestadt die Nase deutlich vorn, selbst gegenüber dem Stadtstaat Berlin (1,5 Prozent).
Somit sind in Hamburg rechnerisch schon mehr als 14.000 E-Autos und Hybridfahrzeuge zugelassen. Seit wenigen Tagen ist die Elektromobilität hier im Straßenbild noch ein wenig präsenter, denn die Volkswagen-Tochter WeShare ist nun mit 400 Fahrzeugen des neuen Modells ID.3 auf dem Markt der Autovermieter aktiv; im April sollen es schon 800 dieser Wagen sein. Damit setze sich die „Antriebswende“ auch beim Carsharing „mit Wucht“ fort, sagte Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) zum Betriebsstart.
Hamburger Autofahrer sind kürzere Strecken unterwegs
Dass Hamburg im Hinblick auf die Verbreitung der Elektromobilität bundesweit an der Spitze steht, ist nicht unbedingt selbstverständlich. Zwar legen Hamburger Autofahrer im Schnitt jährlich gut 2000 Kilometer weniger mit dem Pkw zurück als die Bewohner der Flächenländer Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern – und das bedeutet, dass die noch immer eingeschränkte Reichweite der E-Autos für die Hamburger etwas weniger stark ins Gewicht fällt.
Aber während im dörflichen oder kleinstädtischen Raum 90 Prozent der Autos auf den Privatgrundstücken ihrer Besitzer abgestellt werden können, muss in Metropolen wie Hamburg knapp die Hälfte der Pkw die Nacht im „öffentlichen Straßenraum“ verbringen. Die sogenannten Laternenparker in Stadtteilen wie Eppendorf, Eimsbüttel oder Ottensen können nicht bis zum nächsten Morgen bequem an der heimischen Autostrom-Steckdose („Wallbox“) aufgeladen werden.
Kunden aus Hamburgs "Speckgürtel" kaufen E-Autos
Björn Böttcher, Geschäftsführer der Hamburger Autohandelskette Dello, kennt diesen Zwiespalt sehr gut. Nach seiner Beobachtung hat die Elektromobilität im vergangenen Jahr zwar hinsichtlich der Kaufbereitschaft der Kunden „den Durchbruch geschafft“. Aber: „50 Prozent des Verkaufsgesprächs drehen sich immer um die Frage: Wo kann ich laden?“, sagt Böttcher. Bisher seien es denn auch vor allem Kunden vom Rand des Stadtgebiets aus dem „Speckgürtel“ Hamburgs, die sich tatsächlich für ein E-Auto entscheiden.
Während die Hansestadt vor einigen Jahren im Vergleich der deutschen Metropolen die Spitzenposition bei der Versorgung mit öffentlich zugänglichen Stromtankstellen einnahm, ist Hamburg zuletzt mit 1161 solcher Ladepunkte auf den dritten Rang hinter Berlin (1355) und München (1286) zurückgefallen. Studien zufolge finden allerdings mehr als 80 Prozent der Ladevorgänge entweder zu Hause oder beim Arbeitgeber statt.
Förderprogramm des Hamburger Senats
Darauf hat der Hamburger Senat mit einem Förderprogramm reagiert, das als bundesweit vorbildlich gilt: Im Rahmen des Projekts ELBE – der Name ist eine Kurzform von „Electrify Buildings for EVs“, was „Elektrifizierung von Gebäuden für Elektromobile“ bedeutet – will man bis Ende September 2022 durch Zuschüsse bis zu 7400 Ladepunkte an und in Wohn- oder Gewerbeimmobilien sowie auf Firmengeländen ermöglichen. Bisher wurden 642 Punkte bewilligt.
Dabei übernimmt die Hamburgische Investitions- und Förderbank (IFB) bis zu 60 Prozent der Kosten, die einschließlich Installation bei knapp 3000 Euro je Stromtankstelle liegen können. Auch Unternehmer Lutz Gornik hat dieses Programm genutzt und vier Ladepunkte am Firmensitz in Langenhorn installiert, vier weitere am Standort in Schnelsen sind schon fest geplant.
Vermieter können Lademöglichkeit nicht mehr abblocken
Hinzukommt: Seit Ende vegangenen Jahres haben es Mieter und Wohnungseigentümer in einem Mehrparteienhaus nach einer Gesetzesänderung nun leichter, auf eigene Kosten eine Lademöglichkeit für ihren batterieelektrischen Pkw an ihrem Parkplatz einrichten zu lassen. Bis dahin konnten Vermieter oder Eigentümergemeinschaften das sehr leicht abblocken. Passend zu der neuen Rechtslage kann man seit Ende November 900 Euro staatliche Förderung für die Anschaffung und Installation des Ladepunkts beantragen.
Wer keinen eigenen Stellplatz hat, kann mit dem E-Auto inzwischen auch zu einer Tankstelle fahren: Aral hat kürzlich Ultra-Schnellladesäulen an zwei Stationen in Allermöhe und in Rothenburgsort fertiggestellt. Mit einer Leistung von 350 Kilowatt (kW) sollen sie ein Fahrzeug mit 350 Kilometer Reichweite in nur zehn Minuten vollständig aufladen können.
30 Minuten laden für rund 290 Kilometer Reichweite
Bisher jedoch gibt es in Deutschland gar keinen Elektro-Pkw, der die volle Leistung abnehmen könnte. Am Nächsten kommt aktuell der mehr als 83.000 Euro teure Porsche Taycan, der mit bis zu 270 kW geladen werden kann. Ein VW ID.3 mit einer Ladeleistung von 100 kW benötigt nach Angaben des Herstellers 30 Minuten, um rund 290 Kilometer Reichweite zuzuladen. Aral-Wettbewerber Shell hat bisher vier Tankstellen in Hamburg mit Schnellladesäulen ausgestattet, beschränkt sich dabei aber auf eine Leistung „von 150 kW und mehr“.
Allerdings hat das Tempo seinen Preis – Schnellladen kostet deutlich mehr, als den Pkw an die heimische Autostromsteckdose anzuschließen. Bis heute hält sich bei vielen Verbrauchern ohnehin die Auffassung, die Elektromobilität sei teuer. Ursache dafür dürfte sein, dass die Listenpreise von E-Autos meist um etliche Tausend Euro über denen von vergleichbaren Fahrzeugen mit Benzin- oder Dieselmotor liegen.
Seit Juli 2020 ist die Differenz für die Verbraucher aber deutlich geschrumpft: Die Bundesregierung hat ihre Kaufprämie für reine E-Autos bis zu einem Netto-Listenpreis von 40.000 Euro von zuvor 3000 Euro auf 6000 Euro verdoppelt, hinzukommt noch eine Förderung vom Hersteller in Höhe von 3000 Euro. Etwas geringer fallen die Zuschüsse für teurere E-Autos (ab 40.000 Euro) sowie für die von außen aufladbaren Hybrid-Fahrzeuge (Plug-in-Hybride) aus.
Autos mit Wasserstoffantrieb haben kein Reichweitenproblem
Für den von Björn Böttcher beobachteten „Durchbruch“ der Elektromobilität spielen die Kaufprämien nach den Worten des Dello-Geschäftsführers eine große Rolle: „Damit liegt der Preis etwa in der gleichen Größenordnung wie der von Modellen mit Verbrennungsmotor.“
Berücksichtigt man außer den Anschaffungskosten auch die Aufwendungen für den jeweiligen Treibstoff beziehungsweise den Ladestrom sowie die Kfz-Steuer, dann sind die E-Fahrzeuge auf Basis der Gesamtkosten pro Kilometer nach Berechnungen des Automobil-Clubs ADAC in vielen Fällen schon die günstigere Wahl gegenüber vergleichbaren Verbrennervarianten – und dabei stammt die jüngste derartige Berechnung aus dem Juli 2020, als Benzin und Diesel noch spürbar günstiger waren als heute. Die elf Seiten lange Liste der einzelnen Typen zeigt aber auch, wie breit das Angebot der Elektroautos inzwischen ist. Nur ein einziger Pkw mit Wasserstoffantrieb ist darin enthalten.
Abendblatt-Leser sprechen sich für Wasserstofftechnologie aus
Doch immer wieder, wenn das Abendblatt über Elektromobilität berichtet, melden sich am nächsten Tag Leser zu Wort, die auf die Vorteile der Wasserstofftechnologie hinweisen. Da gebe es kein Reichweitenproblem und keine immensen Umweltschäden durch die Förderung der Rohstoffe für die Batterie, heißt es dann.
Auch wenn das in der Regel nicht gesagt wird, dürfte manchmal noch eine weitere Überlegung eine Rolle spielen: Ein Auto, das den Strom für den Elektromotor aus einer mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzelle anstatt aus einer Batterie zieht, ist bei der Herstellung in viel geringerem Maße auf Technologien und Rohstoffe aus dem Ausland angewiesen. Zudem wäre der Aufbau eines flächendeckenden Netzes von Wasserstofftankstellen auch nicht teurer als die Errichtung von Zehntausenden weiterer Ladesäulen, wie das Forschungszentrum Jülich bereits errechnet hat.
Shell-Chef: Batterieelektrischer Antrieb ist "Königsweg"
Dennoch sieht Fabian Ziegler, der Chef von Shell Deutschland mit Sitz in Hamburg, den batterieelektrischen Antrieb als den „Königsweg“ für Pkw-Anwendungen an. Ziegler spricht sich dafür aus, Wasserstoff dort einzusetzen, wo Batterien zu groß und schwer sein müssten – in Fernstrecken-Lkw, Bussen, Schiffen und künftig auch in Flugzeugen.
Denn für den batterieelektrischen Antrieb spricht sein hoher Wirkungsgrad: Verschiedenen Studien zufolge kommen bei einem E-Auto mit Batterie knapp 70 Prozent der anfänglich eingesetzten Energie tatsächlich auf der Straße an, bei der Brennstoffzelle sind es dagegen höchstens etwa 20 Prozent, weil schon die Herstellung des Wasserstoffs sehr energieaufwendig ist.
"Moderate Steigerung des Strombedarfs“
Ohnehin stellt sich manchen Autofahrern die Frage, ob überhaupt genug Strom erzeugt werden könnte, um eine vollständig auf E-Antrieb umgestellte Pkw-Flotte zu versorgen. „Das ist durchaus machbar, wir reden über eine moderate Steigerung des Strombedarfs“, sagt dazu Jan Rispens, Geschäftsführer des Branchennetzwerks Erneuerbare Energien Hamburg.
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Der von Experten erwartete zusätzliche Bedarf entspreche etwa einem Sechstel der aktuellen Stromerzeugung in der Bundesrepublik, wobei Deutschland aber „Reserven im System“ habe und der größte Stromexporteur Europas sei: „An wettergünstigen Tagen produzieren schon Wind- und Solarkraftwerke mehr Strom, als verbraucht wird.“ Einer Studie des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung zufolge dürfte die Elektromobilität die Strompreise in Deutschland bis zum Jahr 2030 tendenziell sogar sinken lassen, weil die E-Autos für eine bessere Auslastung des kostenintensiven Stromnetzes sorgten.
Elektroautos bei Pflegedienst-Mitarbeitern beliebt
So lange will Lutz Gornik nicht warten. Er hat für seinen Pflegedienst schon elf weitere Elektrokleinwagen geordert, die noch in diesem Jahr zur Flotte stoßen sollen. „Meine Mitarbeiter lieben sie“, sagt er: „Die gehen unheimlich gut ab.“ Demnächst muss sich Gornik auch nicht mehr eines der Dienstautos ausleihen, wenn er selber elektrisch fahren möchte, denn für die private Nutzung hat er sich einen Skoda Enyaq bestellt: „Ich habe klimabewusste Kinder, da möchte ich Vorbild sein.“