Hamburg. Prof. Andreas Timm-Giel, der neue Präsident der Technischen Universität Hamburg, hofft auf einen Exzellenzstatus.
Professor Andreas Timm-Giel tritt sein Amt als neuer Präsident der Technischen Universität Hamburg (TUHH) unter schwierigen Bedingungen an. Im großen Abendblatt-Interview erklärt der 53-Jährige, wie er die Lehre und Forschung an der Ingenieursschmiede in Harburg voranbringen will – und welcher Abteilung er sogar einen Exzellenzstatus zutraut.
Hamburger Abendblatt: Vor drei Jahren erklärte der rot-grüne Senat, die TU Hamburg solle „perspektivisch“ zur Gruppe der TU9 aufschließen, den neun führenden deutschen technischen Universitäten. Ist das realistisch?
Andreas Timm-Giel: Ich bin mir nicht sicher, ob dies das richtige Ziel ist für unsere Hochschule. Unser Gründungsjahr war 1978. Die TU9 sind während der Industriellen Revolution zwischen 1745 bis 1877 gegründet worden – diesen Erfahrungsvorsprung können wir nicht aufholen. Nicht vergleichbar sind die Strukturen: Die Lehre und Forschung der TU9-Mitglieder umfasst auch Natur- und Wirtschaftswissenschaften, nicht nur vorrangig Ingenieurswissenschaften wie bei uns. Die TU9-Mitglieder verfügen über Jahresbudgets von 200 bis 700 Millionen Euro – wir erhalten 78 Millionen Euro. Wenn wir uns in einem virtuellen Verbund mit der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften der Universität Hamburg zusammentun würden, ergäbe das zusammen 300 Professoren und 16.000 Studierende. Damit kämen wir in die Nähe der Größenordnung der kleinsten TU9-Mitglieder wie der TU Darmstadt oder Braunschweig. An der TU Hamburg allein lehren 92 Professoren und bei uns lernen 7800 Studierende.
Eine Zusammenlegung mit der Universität Hamburg …
… wollen wir aber nicht. Als unabhängiger und gut vernetzter Bestandteil des Wissenschaftsstandortes Hamburg können wir als TU Hamburg viel schneller, innovativer, interdisziplinärer und auch internationaler sein als die TU9.
Nach einem langen Streit mit der Wissenschaftsbehörde über die Grundfinanzierung von 2021 bis 2027 haben die staatlichen Hamburger Hochschulen zuletzt doch noch die „Zukunftsverträge“ unterzeichnet. Was bedeuten die Vereinbarungen für die TU Hamburg?
Wir wollten bei den Verhandlungen gemeinsam mit den anderen Hochschulen sehr viel mehr erreichen für den Wissenschaftsstandort Hamburg. Aber infolge der Corona-Pandemie hat der Senat offenbar nicht den Spielraum für die zusätzlichen Mittel, die wir uns gewünscht hatten. Für die TU Hamburg bedeutet das: Wir können wohl unseren Status quo erhalten. Eine größere Weiterentwicklung unserer Lehre und Forschung aus dem Grundhaushalt wird zunächst jedoch nicht möglich sein, wir müssen hier sogar sparen.
Aber die TU Hamburg bekommt seit 2018 schon zusätzliche Mittel von 3,8 Millionen Euro pro Jahr bis 2022. Das ist doch ein Aufwuchs - oder nicht?
Ab 2022 sind es sogar 19 Millionen Euro pro Jahr. Dieses Geld ist zweckgebunden für zusätzliche Professuren und Projekte entsprechend dem Wachstumskonzept. Wir können uns damit zwar in Zukunftsfeldern profilieren. Wir müssen aber in anderen Bereichen deutlich sparen. Bis 2020 lag die Haushaltssteigerung bei nur 0,88 Prozent pro Jahr und damit erheblich unter der Lohnsteigerung von jährlich bis zu drei Prozent für unser Personal. Infolgedessen sind zusätzlich entstandene Kosten in Höhe von etwa zehn Millionen Euro pro Jahr nicht mehr von unserem Grundhaushalt abgedeckt. Dieses Defizit können wir auch mit der neuen Hochschulvereinbarung nicht beheben, sondern wir werden in diesem Jahr und 2022 deutlich sparen müssen.
Wie wollen Sie das machen?
Das reicht von Einsparungen bei allen Posten, die variabel sind, bis dahin, dass wir wohl einige bestehende Professuren nicht nachbesetzen können. Wir erwarten, dass wir den dadurch drohenden Wegfall in der Lehre ausgleichen können durch die Professuren, die wir mithilfe der erwähnten Wachstumsmittel bis 2022 schaffen können. Die Sparpläne werden gerade innerhalb der TU Hamburg, aber auch mit den Behörden konstruktiv diskutiert und abgestimmt.
Zu den 2018 verkündeten Senatsplänen zählte auch, dass künftig 10.000 Studierende an der TU Hamburg ausgebildet werden können. Ist das zu schaffen?
Das hängt von künftigen Vereinbarungen ab. Die im Jahr 2018 verkündeten Senatspläne sehen für unsere Hochschule eine zweite Wachstumsphase ab 2023 vor. Das ist aber noch nicht beschlossen. Wenn wir in diesem Zeitraum finanziell so gut ausgestattet werden würden, dass sich die Probleme mit unserem Grundhaushalt nicht mehr stellten, wären bis zu 10.000 Studienplätze zu schaffen. Wir haben in den letzten zehn Jahren ohne Wachstumsmittel die Anzahl der Studierenden von 5700 auf 7800 erhöht, so- dass ein ähnliches Wachstum mit den zusätzlichen Mitteln bis 2027 möglich ist.
Ziel Ihres Vorgängers Ed Brinksma war es, die Zahl der Masterplätze auszubauen, um die TU Hamburg attraktiver für ausländische Studierende zu machen. Was ist damit?
Ich setze mich ebenfalls dafür ein, die internationale Ausrichtung der TU Hamburg zu stärken. Dafür werden wir im Übrigen auch unsere englischsprachigen Bachelorprogramme verbessern. Ich halte es für attraktiv, gerade aus europäischen Ländern sehr gute Studierende an die TU Hamburg zu holen und ihnen in Hamburg eine berufliche Perspektive zu bieten und somit auch dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Ob Bachelor- oder Masterprogramme: Kann die TU überhaupt alle Studienplätze, die sie aktuell anbietet, besetzen?
Es gibt Studiengänge die stark ausgelastet sind, in anderen könnten wir noch mehr gute Bachelorstudierende aufnehmen. Deshalb müssen wir attraktiver werden. Wir sind schon dabei, Studienprogramme zu reformieren. In der Forschung müssen wir noch sichtbarer werden, um Studierende anzuziehen. Für viele drängende gesellschaftliche Probleme, etwa Trockenheit und Überschwemmungen infolge des Klimawandels, sowie für die Energie- und die Verkehrswende können bei uns ausgebildete Bauingenieure, Maschinenbauer und Elektrotechniker technische Lösungen anbieten. Wie attraktiv es ist, Ingenieurswesen bei uns zu studieren, diese Botschaft müssen wir noch besser verkaufen.
Wofür soll die TU Hamburg in der Hamburger Hochschullandschaft stehen?
Zu unseren Stärken zählt die enge Verbindung zu Wirtschaft und Industrie. Wir spielen beim Technologietransfer und bei Gründeraktivitäten schon die führende Rolle in Hamburg. Allerdings gibt es dabei noch Luft nach oben. Der Wirtschaftsstandort Hamburg könnte insbesondere in Krisenzeiten von noch mehr Kooperationen mit der TU Hamburg sehr profitieren, zumal wir Bereiche bedienen, die für die Hansestadt und für Norddeutschland von großer Bedeutung sind, etwa Luftfahrtechnologie, erneuerbare Energien, Schifffahrt und Medizintechnik. Aber auch für den Wissenschaftsstandort Hamburg sind wir als Technische Universität ein wichtiger und anerkannter Partner. Besondere Pläne haben wir für unsere Forschung in den Materialwissenschaften.
Was haben Sie damit vor?
Es gibt an der TU Hamburg schon einen Sonderforschungsbereich für neuartige Werkstoffe, der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt wird. Aber dabei soll es nicht bleiben. In sechs Jahren werden wir hoffentlich einen Verbund aus Forschungsinstitutionen und Universitäten in Hamburg führen, die einen Exzellenzcluster für Materialwissenschaften im Zuge der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder beantragen wollen.
Bisher gibt es Exzellenzcluster in der Hansestadt nur unter Federführung der Universität Hamburg. Sie hatte 2018 den Zuschlag für vier Großprojekte erhalten, die bis 2026 mit voraussichtlich 164 Millionen Euro gefördert werden.
Wir sind optimistisch, dass wir einen Exzellenzstatus für unsere Materialforschung erreichen können. Dabei kommt uns auch zugute, dass wir mit dem Desy in Bahrenfeld eine herausragende außeruniversitäre Forschungseinrichtung als Partner haben und auch mit der Uni Hamburg und insbesondere dem Helmholtz-Zentrum Geesthacht sehr eng zusammenarbeiten. Neue und funktionalisierte Materialien zu erforschen und zu entwickeln, die von Flugzeugbau bis Medizintechnik eingesetzt werden können, ist dabei unser Ziel.