Hamburg. Die Geschichte des Mülls: Mit dem Start der Verbrennungsanlage Bullerdeich begann vor 125 Jahren eine neue Phase der Abfallbeseitigung.

Es war eine neue Ära, die im Januar 1896 begann: Die erste Müllverbrennungsanlage in der langen Hamburger Stadtgeschichte wurde eröffnet. Damit war es fortan möglich, große Müllmengen – in der Amtssprache damals meist als „Unrat“ bezeichnet – schnell und platzsparend zu beseitigen. Dass sich die verantwortlichen Stellen absolut auf der Höhe der Zeit befanden, zeigt die Tatsache, dass die neue Anlage die erste dieser Art auf dem europäischen Festland war. Und nicht nur das. Schon wenige Jahre nach der Inbetriebnahme wurden sukzessive Verbesserungen umgesetzt, die, viel früher als in anderen Ländern, die umweltschonende Müllbeseitigung unserer Tage vorbereiteten.

Schon von 1597 an war der städtische Müll in Hamburg systematisch beseitigt worden. Zunächst hatten Strafgefangene, die mit zweirädrigen Schottschen Karren durch die Stadt zogen, Abfälle eingesammelt und diese außerhalb der Stadt auf freiem Feld abgeladen. Bereits seit 1695 regelte eine „Gassenordnung“ das Abfuhrwesen, und im Jahr 1886 übernahm die neu gegründete städtische Müllabfuhr die Reinigung. Trotz dieser Verbesserung blieb ein Grundproblem noch bis ins frühe 20. Jahrhundert bestehen: Der Müll wurde an den damaligen Stadtrand gekarrt und im Gelände verteilt.

Entstehung von Protesten durch steigende Müllmengen

Es war durchaus üblich, kleinere Bestandteile als Billigdünger für Felder zu nutzen und dort einfach unterzupflügen. Doch als die Bevölkerungszahl im Zuge der Industrialisierung stark anwuchs und mit ihr die Müllmengen, nahmen die Proteste gegen dieses Verfahren immer stärker zu. In alten Chroniken ist nachzulesen, dass sich die Anwohner, zum Beispiel im heutigen Alsterdorf, nicht nur von schlimmem Gestank gestört fühlten, sondern vor allem im Sommer mit Fliegen-, Mäuse- und Rattenplagen zu kämpfen hatten.

Das Team der neu gegründeten städtischen Müllabfuhr Hamburg im Jahr 1886 auf dem Hansaplatz.
Das Team der neu gegründeten städtischen Müllabfuhr Hamburg im Jahr 1886 auf dem Hansaplatz. © Stadtreinigung Hamburg/ Hamburg, HA

Immer offensiver wurden in der Stadt Verbesserungsmaßnahmen erörtert, doch erst die verheerende Choleraepidemie von 1892 verlieh dem Projekt neue Dynamik. Denn damals verhängten die umliegenden Gemeinden einen Einfuhrstopp für Hamburgs Abfälle, um eine Ausbreitung der Seuche zu verhindern. Nachdem klar geworden war, dass die zu schleppende Planung für eine dringend benötigte Filtrierungsanlage zur Trinkwasserreinigung den Ausbruch der Cholera begünstigt hatte, stand die heftig kritisierte städtische Verwaltung unter Druck. Relativ schnell beschäftigten sich Senat und Bürgerschaft nun mit der Planung für den Bau einer „Müllverbrennungsanstalt“ (MVA), und schon im Juli 1893 stimmte die Bürgerschaft dem Projekt zu. Die veranschlagten Kosten lagen bei 480.000 Mark.

Zwei Jahre Bauzeit der „Müllverbrennungsanstalt“

Wie in den Annalen der Stadtreinigung nachzulesen ist, war die Begeisterung nicht überall in der Bevölkerung groß. Als der Standort Bullerdeich bekannt gemacht wurde, protestierte unter anderem der Bürgerverein des damals noch dicht besiedelten Hammerbrook dagegen, der – nicht zu Unrecht – eine Verschlechterung der Luftqualität voraussah. Genutzt hat das nichts: Nach rund zweijähriger Bauzeit wurde die Anlage, die sich als großer Erfolg erweisen sollte, eröffnet.

Innenansicht der 1896 errichteten Müllverbrennungsanlage am Bullerdeich.
Innenansicht der 1896 errichteten Müllverbrennungsanlage am Bullerdeich. © A. Koopmann ullstein bild/Historic Maps

Die Chronik dokumentiert auch, wie technisch ausgeklügelt das System war: „Die Verbrennungshalle bestand aus zwei Ebenen. Auf der oberen, der Ofenplattform, arbeiteten die sogenannten ,Stopfer’. Sie schaufelten den Müll in die vorgesehenen Einschütt­öffnungen, nachdem die Ofenarbeiter in der unteren Ebene die Schlacke, Restprodukt der vorher verbrannten Müllmenge, entfernt hatten.“

Brennleistung pro Jahr: 87.000 Tonnen

Insgesamt 36 Ofenzellen verbrannten den Hausmüll von rund einer halben Million Einwohnern. In der Anstalt wurden so im ersten Jahr mehr als 45.000 Tonnen Müll beseitigt, fünf Jahre später waren es schon gut 68.000 Tonnen. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs konnte die Brennleistung pro Jahr dann auf mehr als 87.000 Tonnen gesteigert werden. Verblüffend: Die mit dem Dampf erzeugte Energie wurde schon damals zum Betrieb der Anlage eingesetzt. Und: Bereits um 1900 hatte man das Thema Recycling auf der Agenda. Die beim Verbrennen entstandene Schlacke diente als Belag für Wege und Straßen, die Flugasche als Füllmaterial in Decken- und Wandzwischenräumen, und die anfallenden Eisenreste wurden mithilfe eines Magneten aus der Schlacke gelöst und weiterverkauft.

Mit der Zeit wurde deutlich, dass eine MVA alleine zur Beseitigung der rasch zunehmenden Müllmengen nicht ausreichen würde. Die Anlage am Bullerdeich verbrannte überwiegend die Abfälle aus den östlichen Stadtteilen Hamburgs, während der Müll aus den nördlichen Gebieten weiterhin auf gepachteten Flächen jenseits der Landesgrenze abgeladen wurde. Doch mit ansteigenden Einwohnerzahlen wuchsen nicht nur die Müllberge, sondern auch der Bedarf an Bauland.

1907 Zustimmung zu zweiter Verbrennungsanstalt

Die Dörfer und Gemeinden im Umland entwickelten sich weiter, parallel wurden immer mehr Gelände in Gegenden erschlossen, die heute schon lange Teil des Hamburger Stadtgebiets sind. Da sich die Bevölkerung entsprechend immer energischer über die Abfälle und die Begleiterscheinungen vor Ort beklagte, stimmte die Bürgerschaft im Oktober 1907 dem Bau einer zweiten Verbrennungsanstalt zu, die am Alten Teichweg in Dulsberg errichtet wurde. Die Finanzdeputation stellte für den Bau mehr als 1,1 Millionen Reichsmark zur Verfügung, Start war dann im Mai 1912.

Dieser Betrieb war technisch bereits deutlich ausgefeilter und damit effizienter als die Anlage Bullerdeich. Unter anderem wurden die Öfen nicht mehr per Hand gefüllt, sondern mithilfe einer hy­draulischen Beschickungsvorrichtung. Dadurch entfiel nicht nur die gefährliche und gesundheitsschädliche Arbeit der „Stopfer“, auch die Leistung konnte gegenüber der Anlage Bullerdeich erheblich gesteigert werden. Bereits ein Jahr nach der Inbetriebnahme verbrannte sie rund 76.000 Tonnen Müll.

MVA Ruhrstraße: Acht Monate Bauzeit und technische Finessen

1924 wurde der Betrieb in der Anlage Bullerdeich eingestellt. Die MVA Alter Teichweg setzte ihre Arbeit noch 13 Jahre fort, 1939 war dort dann ebenfalls Schluss. Zuletzt hatte sich die Müllbeseitigung in Dulsberg mit einer anderen Anlage überschnitten, die seit 1913 im benachbarten Altona in Betrieb war: der MVA Ruhrstraße, die nach nur achtmonatiger Bauzeit fertiggestellt worden war. Auch diese Anlage bot bereits technische Finessen, welche die Entwicklung unserer Tage in Teilen bereits schon vorwegnahmen.

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Ein Beispiel: Über den entstehenden Dampf wurde schon bereits damals elektrische Energie erzeugt, mit der man beispielsweise die Batterien der elektrisch betriebenen Abfuhrwagen speiste. Bis zur Eingemeindung im Jahr 1938 hatte die Anlage ausschließlich Abfälle aus Altona vernichtet, danach auch aus anderen Hamburger Stadtteilen. Im Laufe der Jahre immer wieder modernisiert und den wechselnden technischen Anforderungen angepasst, wurde der Betrieb an der Ruhrstraße bis 1961 fortgeführt.

Heute wird Hamburgs Müll in zwei Anlagen verbrannt

Die 1931 eröffnete Müllverbrennungsanstalt Borsigstraße in Billbrook gilt offiziell als dritte Einrichtung dieser Art auf Hamburger (nicht Altonaer) Stadtgebiet und war die bislang langlebigste, sie lief bis 1994. Die 1973 eröffnete MVA Stellinger Moor blieb bis 2015 in Betrieb.

Mit der Hand am Joystick: Arbeiter im Steuerstand einer modernen Müllverwertungsanlage in Hamburg.
Mit der Hand am Joystick: Arbeiter im Steuerstand einer modernen Müllverwertungsanlage in Hamburg. © Marcelo Hernandez

Heute wird Hamburgs Müll in zwei Anlagen verbrannt beziehungsweise verarbeitet. Da es dabei schon lange nicht mehr ausschließlich um Verbrennung geht, wurden die Namen angepasst: Die Verwertungsanlage Borsigstraße (MVB) wurde 1994 auf dem Gelände ihrer in die Jahre gekommenen Vorgängerin eröffnet. Nummer zwei ist die Verwertungsanlage Rugenberger Damm (MVR), die 1999 in Betrieb genommen wurde. Beide sind fast baugleich und aufs Jahr gesehen nach Angaben der Stadtreinigung nahezu ausgelastet. Jede kann 320.000 Tonnen Müll pro Jahr verwerten.