Hamburg. Managerkreis diskutiert Standort-Perspektiven. Leiter des HWWI, Henning Vöpel, sieht für den Norden spezifische Herausforderungen.

Der Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung befasst sich derzeit unter dem Motto „Created by Germany“ intensiv mit der Zukunft des Standortes. Um die Position Hamburgs und Schleswig-Holsteins in Zeiten der Pandemie und des Strukturwandels ging es bei einer Online-Diskussion mit über 100 Zuhörern am Dienstag abend. Dabei forderte der Leiter des HWWI, Henning Vöpel, der Norden müsse „mehr Fortschritt wagen“.

„Zeiten des Umbruchs sind Zeiten des Wandels -- und des Aufbruchs und Fortschritts“, sagte Vöpel. Diese Umbrüche lösten tiefgreifende Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft aus, setzen etablierte Strukturen unter Druck und schürten Unsicherheit. Für den Norden sieht Vöpel spezifischen Herausforderungen: „Gerade nach der Corona-Krise, die lange nachwirken wird, wird es wichtig sein, Zuversicht und Prosperität zu erzeugen und die strukturellen Grundlagen des Wohlstandes und einer nachhaltigen Zukunft zu erneuern.“

Pandemie wirke wie ein Verstärker

Die Pandemie wirke wie ein Verstärker: „Es kommt also wesentlich darauf an, Strukturen zu erneuern. Die Digitalisierung sei die größte technologische Revolution seit der Industrialisierung, hinzu komme der Klimawandel als größte denkbare Herausforderung. Weitere Treiber der Disruption sieht er in der geopolitischen Neuordnung der Welt mit der Verschiebung von Absatzmärkten und Lieferketten sowie der demografischen Entwicklung. Eindringlich warnte Vöpel vor einer „Vermögensillusion“, die Anpassungen erschwere. Die entscheidenden Größen einer erfolgreichen Zukunft sind für Vöpel Wertschöpfung und Innovation. „Sie bestimmten die Wettbewerbsfähigkeit und die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und somit über gute Arbeit und Löhne.“

Vöpel macht vier Handlungsfelder aus: Bildung und Qualifizierung, Forschung und Entwicklung, Gründertum und Start-ups sowie Konnektivität und Infrastruktur. „Die wirtschaftliche Entwicklung des Nordens war in den letzten Jahrzehnten weniger dynamisch als in Süddeutschland“, kritisiert Vöpel. Und belegte diese These mit bestürzenden Zahlen: Während in Baden-Württemberg die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung 2018 bei 5,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes lagen, waren es in Hamburg nur 2,2 und in Schleswig Holstein sogar nur 1,6 Prozent.

Vöpel brachte ein „bedingungsloses Bildungsbudget“ in Diskussion ein

Kamen 2019 im Südwesten 138 Patente auf 100.000 Einwohner, waren es in der Hansestadt nur 40, im Norden sogar nur 17. Vöpel rät, die norddeutsche Wirtschaft technologiebasierter und wissenschaftsfreundlicher auszurichten. Chancen sieht er in den erneuerbaren Energien und sauberen Antriebstechnologien, der Medizintechnik und Life Sciences sowie der Materialwissenschaft und 3D-Druck. Auch der nachhaltige Tourismus biete Chancen.

Konkret brachte Vöpel ein „bedingungsloses Bildungsbudget“ in die Diskussion ein. Gerade der frühkindliche Bildung sei elementar, entscheide sich doch in den ersten Lebensjahren 20 bis 30 Prozent der späteren Lebenseinkommens. Um Gründerhochburg zu werden, sollten Start-ups für die ersten drei Jahre von allen Landes- und kommunalen Steuern und Abgaben befreit werden. Zugleich mahnte er Mobilfunk bis zur letzten Milchkanne und verstärkte Forschungsaufwendungen an.

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In der Debatte zeigte sich Wirtschaftssenator Michael Westhagemann für die Vorschläge offen. Gut zwei Prozent für Forschung auszugeben, so der parteilose Senator, sei entschieden zu wenig. „Wir können schöne Folien machen, aber wo sind die Macher?“, fragte Westhagemann. Selbstkritisch äußerte sich auch der frühere Staatssekretär in Kiel, Thomas Losse-Müller: „Bei der Windkraft fehlte uns der industriepolitische Mut - da ist zu viele Wertschöpfung abgewandert.“ Zugleich zeigten sich Losse-Müller und Westhagemann aber optimistisch, dass der Norden nun mit der Energiewende und dem grünen Wasserstoff auf Zukunftstechnologien setze.