Hamburg. Hamburgs Top-Ökonom Henning Vöpel spricht über die Entwicklungen in Amerika – und warnt dabei vor Abschottung und Nationalismus.

Henning Vöpel hat gerade eine digitale Vorlesung an der Universität Hamburg beendet, als das Abendblatt den Direktor des Hamburger Wirtschaftsforschungsinstituts HWWI am Mittwochvormittag sprechen kann. Der renommierte Ökonom der Stadt ist alarmiert über die Entwicklungen in den USA und warnt vor Folgen für Europa, nicht nur ökonomisch, sondern auch gesellschaftlich. Und auch Hamburg dürfte als Handelsmetropole vom Ausgang der Wahl nicht unberührt bleiben.

Wie haben Sie die US-Wahl verfolgt?

Henning VöpelIch habe bis 1 Uhr nachts vor dem Fernseher gesessen. Bis dahin war ja noch nicht klar, in welche Richtung es geht. Aber es deutete sich zumindest schon an, dass es spannender werden könnte als von einigen Demoskopen vorausgesagt. Am nächsten Morgen fühlte ich mich dann in meinen Befürchtungen bestätigt, dass Donald Trump doch besser abschneiden würde als gedacht.

Nun droht wegen des knappen Ergebnisses eine längere juristische Auseinandersetzung - wer wäre für Deutschland mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung der bessere Präsident? Joe Biden oder Donald Trump?

Eine Verfassungs- und Demokratiekrise in der größten Volkswirtschaft der Welt ist das Letzte, was wir gebrauchen können. Sicherlich wäre Joe Biden am Ende besser, denn er ist jemand, der die Zusammenarbeit mit multilateralen Institutionen wie der Welthandelsorganisation WTO sucht, der nicht gegen internationale Wirtschaftsabkommen verstößt, der kalkulierbarer, kooperativer in seinem Handeln ist. Der Welthandel würde mit ihm insgesamt ruhiger und verlässlicher verlaufen, was gerade für die starke deutsche Exportwirtschaft von größter Wichtigkeit ist. Mit einem Präsidenten Trump drohen uns dagegen neue große Handelsauseinandersetzungen. Denn er sucht ja förmlich die Konfrontation mit Europa und China.

Wie sieht es speziell mit Hamburg aus – wäre für den hiesigen Wirtschaftsstandort auch ein Präsident Biden die bessere Wahl?

Im Grundsatz ja. Andererseits kann es im Zuge einer nationalen, abschottenden US-Wirtschaftspolitik auch dazu kommen, dass Handelsströme umgelenkt werden. Und hiervon könnte Hamburg profitieren. Denn die Stadt ist ja bereits sehr stark im Handel mit Asien, speziell China, engagiert. Dieser Trend könnte sich mit einem Präsidenten Trump verstärken, weil Europa sich im Zuge einer weiteren Abschottungspolitik der USA mehr auf Asien konzentrieren müsste.

Müsste sich Europa bei vier weiteren Jahren der US-Abschottung nicht auch politisch viel stärker auf Asien konzentrieren

Ja, auf jeden Fall. Die Welt wird geopolitisch, technologisch und wirtschaftlich neu vermessen. Asien spielt dabei eine zentrale Rolle, das ist unvermeidlich. Fallen die USA als Handelspartner aus, ist Asien eine nahe liegende Alternative. Und eine stärkere wirtschaftliche Verbindung mit Asien kann nicht ohne eine weitere politische Annäherung erfolgen. Europa müsste sich also politisch noch stärker von den USA emanzipieren.

Trumps wirtschaftspolitischen Erfolge bis zur Pandemie kann man nicht wegdiskutieren - blickt man auf die Arbeitslosenzahlen oder die Steuerentlastung für viele ...

Er hat unzweifelhaft ökonomische Erfolge vorzuweisen, dabei hat ihm aber auch die gute weltwirtschaftliche Lage geholfen. Und man darf nicht vergessen, dass sein Vorgänger Barack Obama bereits den Weg für den Aufschwung geebnet hatte. Trumps protektionistische Maßnahmen haben zumindest kurzfristig auch der amerikanischen Mittelschicht geholfen, gerade im industriellen Bereich. Hier waren einige Branchen international doch sehr abgehängt. Es bleibt aber die Frage, wie nachhaltig dieser Aufschwung sein wird. Denn Protektionismus wird auf Dauer nicht funktionieren.

Droht die sehr stark national ausgerichtete Wirtschaftspolitik Trumps auch nach Europa zu schwappen?

Das deutet sich ja schon an. Trumps Denken in Nullsummenspielen ist gefährlich für Europa. Der Blick in die Geschichte zeigt, sobald ein großer Spieler in der Weltwirtschaft protektionistische Maßnahmen ergriffen hat, folgten andere Länder nach. Wir sehen das ja bereits in Großbritannien mit dem Brexit. Sollten sich nun auch noch andere große Länder auf diesen Weg begeben, dann werden wir in einer völlig neuen Handelswelt leben - mit tiefgreifenden Folgen für die nationalen Wirtschaften. Die Phase im Anschluss an die Pandemie wird hier für Europa entscheidend sein. Finden wir dann eine gemeinsame europäische Lösung oder geht jeder Nationalstaat seinen eigenen Weg? Die Antwort darauf wird spannend. Und die Gefahr ist groß, dass das nationale Denken gewinnen wird, was für die europäische Idee eine Katastrophe wäre. Der Trumpsche Weg droht auch Europa zu erfassen.

Die Sehnsucht vieler Amerikaner nach einem starken Mann, einer starken Frau - ist das eine Blaupause für Europa?

Ich fürchte schon, dass sich dieses Denken auch in Europa verbreiten könnte. Man sieht die Tendenz ja bereits in Ländern wie Ungarn oder Polen. Und 2022 sind Präsidentschaftswahlen in Frankreich mit einer starken rechten Kandidatin. Wir haben sicherlich unterschätzt, wie sehr die Globalisierung nationalstaatliches Denken fördert. Denn viele Menschen fühlen sich sozial abgehängt, als Verlierer der Globalisierung – und sie suchen nun einfache Antworten in einer starken, national denkenden Figur.

Wie kann man diese Menschen, die sich abgehängt fühlen, wieder mitnehmen?

Wir müssen anerkennen, dass es in der Gesellschaft Menschen mit sehr unterschiedlichen Lebensrealitäten gibt. Der Kampf gegen den Klimawandel und die Digitalisierung sind wichtige Zukunftsthemen, aber wir müssen hier sehr achtsam sein, dass das keine Elitenprojekte werden. So ist es zum Beispiel äußerst problematisch, die Autoindustrie in Deutschland jetzt mutwillig kaputt zu machen mit dem Verweis auf das Ende der fossilen Brennstoffe. Wir müssen die Menschen in diesem Wandlungsprozess mitnehmen, dürfen nicht zu radikal vorgehen, sonst droht unsere Gesellschaft auseinander zu fallen. Die grüne und die digitale Transformation kann nur gelingen, wenn wir gleichzeitig den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken. Gute Politik besteht genau darin, die gesellschaftlichen Zielkonflikte zu überwinden, nicht sie zu verstärken.

Was ist denn aus rein ökonomischer Sicht das richtige Verhalten: Abschotten und nur an sich selbst denken oder offene Grenzen?

Sicherlich müssen wir auch in Europa eigene Schwerpunkte setzen, zum Beispiel in der Technologie- und Industriepolitik – wichtige Felder der politischen Souveränität. Dort benötigen wir durchaus staatliche Akzente, auch in Form finanzieller Unterstützung. Aber insgesamt ist es sinnvoll, die Märkte weltweit so offen wie möglich zu halten. Denn wenn man sich nicht dem weltweiten Wettbewerb stellt, büßt man Innovationskraft und Fortschritt ein. Offene Grenzen fördern den Wohlstand überall.

Auch die Pandemie hat gesellschaftliche Sprengkraft. Ökonomisch stellt sich die Frage: Wie will man den Schuldenberg, den man nun anhäuft, abbauen? Müssen die Kosten von der Allgemeinheit getragen werden oder wäre es nicht gerechter, besonders Vermögende extra zur Kasse zu bitten?

Man muss nach der Pandemie vor allem aufpassen, dass man den Mittelstand nicht zu stark belastet, denn auf ihn wird es dann besonders ankommen. Sicherlich kann man über Steuern für sehr Vermögende diskutieren, aber mich treibt etwas anderes um: Der Staat sollte darüber nachdenken, die Pandemieschulden als Sondervermögen zu behandeln. Er könnte niedrig verzinste Anleihen zu diesem Zweck ausgeben, so dass wir die Zusatzschulden erst über einen Zeitraum von 40, 50 Jahren zurückzahlen, quasi aus den Schulden herauszuwachsen. Es wäre jedenfalls keine gute Idee, direkt nach der Bundestagswahl die Steuern allgemein zu erhöhen, um die Schulden abzutragen. Denn dies würde den dann notwendigen Aufschwung verhindern, unsere Gesellschaft noch stärker spalten und Verhältnisse wie in den USA auch hierzulande begünstigen.