Hamburg. In vier Jahren sind mehr als 10.000 Bäume in der Hansestadt nicht ersetzt und Fällungen nur lückenhaft erfasst worden.

Hamburg hat den Anspruch, grüne Metropole zu sein. Auch in Zeiten des Wohnungsbaus soll das laut rot-grünem Senat so bleiben, weshalb erklärtermaßen jeder für Bauvorhaben oder Straßen gefällte Baum im Verhältnis 1:1 nachgepflanzt werden soll. Doch der Bestand an Straßenbäumen sinkt seit Jahren. Und jetzt zeigen Recherchen des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Sandro Kappe, dass auch der Baumbestand in öffentlichen Parks, in den Wäldern der Stadt und auf den Privatgrundstücken der Bürger per Saldo kontinuierlich schrumpft. Ist die plakative grüne Senats-Parole von der 1:1-Nachpflanzung Augenwischerei?

„Systematisch und vollständig dokumentiert die Stadt nur Verlust und Neupflanzung von Straßenbäumen“, sagt Kappe. „Zu den Wäldern, Parkanlagen und Privatbäumen gibt es nur lückenhafte Erhebungen, die kein vollständiges Gesamtbild vermitteln.“ Das zeigen auch die Antworten des Senats auf diverse Kleine und Große Anfragen Kappes in Bürgerschaft und Bezirksversammlung. Selbst wenn der Senat im Verhältnis 1:1 nachpflanzen würde, könnte er das gar nicht belegen, so Kappe.

Lückenhafte Dokumentation der Baumbilanzen

Das aber, was schon die lückenhafte Dokumentation der Baumbilanzen mit den senatseigenen Zahlen aus den Antworten auf die Kleinen Anfragen ergibt, sind Verluste auf allen Ebenen. In allen vier Segmenten (Straßenbäume, Parkbäume, Wald und Privatbäume) schrumpft die Zahl der für das Stadtklima und die Kühlung im Sommer so wichtigen Bäume in Hamburg.

Von 2015 bis 2019 wurden rund 17 Hektar (ha) Wald in Hamburg gerodet. Im gleichen Zeitraum wurde laut Senatsdrucksache 22/2406 aber nur 5,3 ha Wald erstaufgeforstet. Das ergibt ein Defizit von 11,7 ha. Die Zahl der in diesem Segment fehlenden Einzelbäume ist nicht bekannt. Für Parks und Grünanlagen liegen Zahlen nur für drei Bezirke vor. Das sind Wandsbek, Hamburg-Nord und Harburg. Für die Zeit von 2015 bis 2019 gibt der Senat für diese drei Bezirke 4261 Fällungen und 2202 Nachpflanzungen an (Drs. 22/813).

Nicht jeder gefällte Straßenbaum wird nachgepflanzt

Das Defizit: 2059 Bäume. Dass nicht jeder gefällte Straßenbaum nachgepflanzt wird, ist seit Jahren immer wieder dokumentiert worden, ohne dass Abhilfe geschaffen wurde. Laut Senatsdrucksachen 22/339 und 22/2237 wurden in den sieben Bezirken von 2015 bis 2019 insgesamt 12.893 Straßenbäume geschlagen und 9378 nachgepflanzt. Das Defizit: 3515 Bäume. Für den Zeitraum zwischen 2008 und 2019 liegt das Defizit bei 12.382 Straßenbäumen (Drucksache 22/2237).

In der Drucksache 22/2555 teilt der Senat mit, dass Bäume auf privatem Grund zum Hamburger Baumbestand gehören und das Ziel bestehe, den Baumbestand konstant zu halten. Zahlen dazu liegen komplett nur von zwei Bezirken vor – obwohl Fällungen auf privatem Grund beantragt und genehmigt werden müssen und die Stadt somit Zugriff auf die Zahlen hätte. Vorgelegt wurden dennoch nur Daten aus Harburg und Bergedorf. Von 2015 bis 2019 wurden dort 6267 Privatbäume gefällt und 1428 nachgepflanzt. Defizit: 4839 Bäume. Der Vollständigkeit halber muss gesagt werden, dass die von den Ämtern erhobenen Zahlen zu den Privatbäumen laut Senat eigentlich Vorgänge betreffen, nicht Einzelbäume. Ein Vorgang kann demnach mehrere Bäume umfassen. Für Harburg konnte die Zahl der Fällungen 2018 nicht angegeben werden, da ein Erfassungsfehler vorgelegen habe, hieß es in der Drucksache. Das Jahr ging deshalb mit null Fällungen in die Erhebung ein.

Fragwürdiges Anreizsystem

Insgesamt gingen der Stadt zwischen 2015 und 2019 demnach 10.413 Bäume und 11,7 ha Wald verloren. Hinzukommen laut Kappe 8867 Straßenbäume, die von 2008 bis 2015 nicht ersetzt wurden. Verschärft wird die Misere durch ein fragwürdiges Anreizsystem: Für jeden privat gefällten Baum bekommt die Stadt, nachdem sie auf Antrag ihr O. K. gegeben hat, vom Eigentümer eine Ausgleichszahlung. Diese Einnahmen sind zwar zweckgebunden für Projekte im Bereich Grün, aber die Mittel sind laut Senatsdrucksache 22/2212 nicht ausdrücklich reserviert für Baumpflanzungen.

Mittlerweile lässt der Bezirk Wandsbek einen Gutachter systematisch Standorte für Nachpflanzungen suchen. Das folgt einer Forderung der CDU. In der Vergangenheit hatte es vonseiten des Bezirksamtes immer wieder geheißen, es gebe keinen Platz für neue Straßenbäume bzw. kein Personal, um Plätze suchen zu können. Dagegen haben die Bezirke Hamburg-Nord und Bergedorf längst feste Nachpflanzquoten festgelegt und halten sich auch nach. Aber in Hamburg-Mitte, Harburg, Eimsbüttel und Altona gibt es diese Verbindlichkeit nicht. Hamburgübergreifend aber ist klar: Allen Bezirken fehlt es an Geld.

Wie es besser geht, zeigen Berlin und Bremen

Während Berlin und Bremen ihre Mittel für Straßenbäume und Grün zum Teil erheblich aufstocken, bleibt in Hamburg alles beim Alten. Gemäß Drucksache 22/1852 erhalten die Bezirksämter für den Unterhalt von Straßenbäumen 3,6 Millionen Euro. Bei einem Gesamtstraßenbaumbestand von 224.886 Bäumen im Jahr 2019 stelle der Senat somit lediglich 16 Euro pro Straßenbaum für die Pflege zur Verfügung, sagt Kappe. In Berlin sind es rund 80 Euro. Die Hauptstadt plane laut Kappe eine Erhöhung der Mittel für die Bäume um 15 Millionen Euro, die Stadt Bremen um 30 Prozent.

Das ist auch insofern bedeutsam, als vor allem die Straßenbäume zunehmend mit Klimawandel und Trockenheit zu kämpfen haben. Bremen reagiert darauf mit einem Bewässerungskonzept und speziellen Wasserfässern, die von Schleppern gezogen werden. Berlin stellte den Bezirken vergangenes Jahr im Sommer 2,3 Millionen Euro zusätzliche Sondermittel für Bewässerungen zur Verfügung.

Verstärkte Totholzbildung und mehr Baumkrankheiten

Der Hamburger Senat registrierte zwar eine verstärkte Totholzbildung und mehr Baumkrankheiten wie z. B. Massaria bei Platanen sowie vermehrt abgestorbene Bäume, sah aber keinen kausalen Zusammenhang zur Trockenheit. Dergleichen lasse sich nicht feststellen, erklärte der Senat in der Drucksache 22/2406. Die Wässerung von Bäumen beschränke sich daher in Hamburg in der Regel auf Neupflanzungen während der Anwachsphase.

Doch auch da spielt Geld eine Rolle: Trockenheit verlangt bei Nachpflanzungen heimischer Bäume eine längere Wässerungsphase und einen dickeren Ballen mit entsprechend größerer Pflanzgrube und höheren Anschaffungskosten. Hamburg empfiehlt deshalb je nach Standort, verstärkt auf die Baumauswahl zu achten. Sprich: Die Ämter sollen im Zweifel keine heimischen Gewächse, sondern Bäume aus Übersee pflanzen, die zwar mit weniger Wasser leben können, aber den heimischen Insekten und Vögeln oft nichts zu bieten haben.

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„Es wird Zeit, dass sich der grüne Umweltsenator auf seine Wurzeln besinnt und für die Hamburger Bäume sorgt, statt sie bloß zu verwalten“, sagte Kappe. Seine Forderungen: Die Stadt solle aktiv mit moderner Software via Satellit nach Pflanzstandorten für Straßenbäume suchen, für jeden seit 2010 gefällten Baum mindestens einen Baum nachpflanzen, ein Bewässerungskonzept auch für Altbäume erstellen, prüfen, welche Nachpflanzungsquote erforderlich wäre, um das hohe Grünvolumen gefällter Altbäume mit jungen, kleineren Bäumen ersetzen zu können.

Nach derzeitigem Stand geht es im neuen Jahr genauso weiter, wie es im alten Jahr aufgehört hat. Laut Senatsdrucksache 22/2406 wissen die Bezirksämter von 2.744 schadhaften oder kranken Bäumen, die 2021 gefällt werden müssen. 336 Bäume werden Baumaßnahmen zum Opfer fallen. Den jetzt schon sicheren 3080 Fällungen stehen nach derzeitigem Planungsstand 1713 Nachpflanzungen gegenüber. Macht ein Minus von 1367.