Hamburg. Nicht nur das Stammpublikum kommt: Einkaufen unter freiem Himmel ist so beliebt wie nie. Nach diesen Regeln werden Stände vergeben.
5,50 Euro für 100 Gramm Nussecken, 4 Euro für einen kleinen frischen Saft, Heilsteine, Rosshaar-Spülbürsten, kanadischer Hummer oder handgemachte Bonbons – das sind Preise und Waren, die auf dem Isemarkt von jeher zum Inventar gehören – und dort kaum wegzudenken sind. Doch ist den Besuchern von Hamburgs längstem Freiluftmarkt unter dem Hochbahn-Viadukt auch während dieser Pandemie nach kulinarischen Köstlichkeiten und kleinen Luxusprodukten? Oder werden die Lebensmittel für den täglichen Bedarf rasch im Supermarkt besorgt?
Immer mehr Einzelhändlern, Gastronomen oder Selbstständigen in der Stadt droht die Pleite. Wie gehen die Marktbeschicker mit der Krise um, wie hat sich das Geschehen auf den großen Hamburger Wochenmärkten in den vergangenen Monaten verändert? „Gekauft wird auf dem Isemarkt ja schon mal alles“, schickt Dietmar König vorweg, „und trotz Corona geht es den allermeisten Marktbeschickern sehr gut.“ König, dessen offizielle Bezeichnung „Abteilungsleiter für Markt- und Ordnungsaufgaben“ vom Bezirksamt Eimsbüttel ist, arbeitet als Marktmeister auf dem Isemarkt, spricht zweimal wöchentlich mit den Händlern, sorgt auf dem Gelände für die Einhaltung der neuen Regeln.
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Geheimnisvolles hat die Vergabe der begehrten Plätze wenig
Die Eindämmungsverordnung verlangt mehr Platz für die Warteschlangen und mehr Abstand zwischen den Verkaufswagen der Händler. Großzügiger erscheint die Marktfläche durch diese coronabedingten Vorschriften. Durch den Abstand von zwei bis drei Metern wurde nämlich auch an Breite gewonnen, da die Stände mehr nach außen gezogen wurden, damit die Menschenmengen möglichst ohne Kontakt schlendern können. „Das lassen wir auch in Zukunft so“, sagt König und meint die Zeit nach Corona.
König befasst sich auch mit dem heiklen Thema der Standvergabe während der Pandemie. Wer darf überhaupt auf den Isemarkt, wer steht wo? „Wir versuchen, allen gerecht zu werden, und nicht jeder versteht es, aber wir geben unser Bestes in diesen Zeiten.“ Fakt ist: Es gibt mehr Händler, die ihre Waren anbieten wollen, als Standplätze. Fakt ist auch, dass auf dem Isemarkt wohl das meiste Geld verdient werden kann.
Geheimnisvolles hat die Vergabe der begehrten Plätze wenig, vielmehr liegt ihr eine lange behördliche Bestimmung zugrunde, die regelt, was ein Händler vorweisen muss, um einen festen Platz zu bekommen. „Aktuell haben wir 160 feste Händler, die hier jeden Markttag hinkommen können, solange sie wollen“, sagt König. „Dazu hatten wir vor Corona 40 freie Plätze für Tagesbewerber.“ Mit den interessierten Händlern sprach der Marktmeister morgens vor Marktbeginn, achtete auf die gewünschte Standgröße, aktuelle Situationen wie Urlaub oder Krankheit anderer Standinhaber und konnte so meist alle zufriedenstellen. „Jetzt kann ich nur noch wenige unterbringen“, sagt er.
„Für unsere Händler ist der Markt eine Oase der Glückseligkeit in diesen Zeiten“
Dienstags seien es sechs bis acht, freitags lediglich drei bis fünf. Mit einem rotierenden Verfahren wird die Liste der Interessierten abgearbeitet, damit jeder die Chance hat, dabei zu sein. Wartezeiten für einen festen Standplatz liegen übrigens gerade bei drei bis vier Jahren, 100 Stände stehen auf der Liste. „Der Isemarkt ist der ‚place to be‘ unter den Hamburger Märkten, das Herzstück, hier lässt sich bestens verkaufen“, sagt der leidenschaftliche Bäcker Christian Aeby, der auch von der ungebrochen guten Stimmung auf dem Markt profitierte. Mit seinem kleinen schwarzen Brotstand war er bis vor wenigen Tagen Teil des Isemarkt-Gemeinschaft – bis er über sein Aus auf dem Isemarkt (siehe Text rechts) informiert wurde. Er ist einer derjenigen, die durch die Pandemie zum Umdenken gezwungen wurden.
„Für unsere Händler ist der Markt eine Oase der Glückseligkeit in diesen Zeiten“, bestätigt Thomas Schlüter, Abschnittsleiter Wochenmärkte vom Bezirksamt Wandsbek, die überaus positive Stimmung. Er ist für zehn Märkte im Bezirk zuständig, darunter der tägliche Wandsbeker Wochenmarkt am Quarree. „Die Händler haben mehr zu tun als zuvor, die Menschen wollen eher im Freien einkaufen, und eigentlich profitieren gerade alle von der Situation.“ Anders als auf Märkten in eng bebauten Wohnquartieren wie Isemarkt und Goldbekmarkt, die mit Platzproblemen umzugehen haben, konnte bei den Wochenmärkten in Blankenese und in der Neuen Großen Bergstraße sowie in Wandsbek beispielsweise durch Umstellung der Zugmaschinen großzügig entzerrt werden – der Platz ist vorhanden.
In Wandsbek ist auch an Gastro-Ständen viel los
„Wir sind sehr froh, dass wir keinen unserer 60 Händler nach Hause schicken mussten“, sagt Schlüter. „Schon zu Beginn der Pandemie, als noch niemand so recht wusste, worauf das hinausläuft, war uns allen immer klar, dass wir das irgendwie hinkriegen müssen, damit alle Händler weiterhin ihren Lebensunterhalt gesichert kriegen.“ Und es hat geklappt. Sogar gastronomische Betriebe wie Currywurst-Stand, Kaffee-Wagen und Pommes-Bude, die auf engen Märkten zu den Verlieren zählen, da nicht mehr am Stand verzehrt werden darf, haben hier richtig gut zu tun. Dazu kommt, dass im Umfeld des Wandsbeker Marktes viele Menschen arbeiten. So nutzen auch einige der mehr als 1000 Mitarbeiter des Bezirksamtes Wandsbek, die aufgrund ihrer bürgernahen Aufgaben nicht durchgehend im Homeoffice arbeiten, die Möglichkeit, sich auf dem Markt ihr Mittagessen zu holen.
„Unsere Kantine hat geschlossen, einige umliegende Gastronomiebetriebe bieten keinen Außer-Haus-Verkauf an, deshalb liegt ein Marktbesuch nahe“, bestätigt Bezirksamtssprecher Jacob Löwenstrom. Freiluft-Lebensmittel-Shopping läuft auch in Wandsbek, sogar bestens: „Die Händler haben sogar mehr zu tun“, sagt Schlüter, „neben dem Stammpublikum kommen jetzt auch die, die sonst im Supermarkt kaufen würden.“
Markt am Goldbekufer bleibt beliebter Treffpunkt zum Klönschnack
Diesen Eindruck teilt auch Sven Trepte, der als Marktmeister seit zwölf Jahren das Geschehen auf dem Winterhuder Goldbekmarkt lenkt. Er kennt seine Fleischer, Fischverkäufer, die Betreiber vom Muffins-Stand, die Pastafrauen und die Gemüsehändler. „An Sonnabenden haben die Händler bei uns sogar Umsatzzuwächse“, sagt Trepte, „die sind alle richtig kaputt, überarbeitet.“ Dennoch verzichtet keiner der 80 festen Händler – Tagesbewerber haben aktuell keine Chance – auf seinen Standplatz: „Am Wochenende wird hier das Geld verdient, und jetzt erst recht.“
Auch aus Sicht der Einkaufenden ist der Markt am Goldbekufer weiterhin ein beliebter Treffpunkt zum Klönschnack. Mehr noch: „Seit die ganzen Cafés und Restaurants auf dem Mühlenkamp zu sind, kommen noch mehr Leute hierher“, so Trepte. Gerade jüngere Hamburger sehe er seitdem auf seinem Markt. Ob denn alle die Abstände einhielten? „Das Gute ist, es ist so brechend voll, da kann keiner auf der Marktfläche stehen bleiben“, sagt Trepte. Die meisten erledigten ihre Einkäufe, holten sich dann Kaffee und wichen auf den Bürgersteig aus, wo es luftiger sei. Und so findet jeder seinen Platz in der „Oase der Glückseligen“. Selbstredend mit Mundschutz.