Hamburg. Junger Hamburger entwickelt kostenlose App, bei der es um ernst gemeinte Partnersuche gehen soll. Beziehungsexpertin bewertet die Idee.

Als käme seine Idee gerade recht. Als seien alle Singles erschöpft und ausgelaugt vom Multi-Dating und der permanenten Frage, ob sich da nicht noch jemand Besseres findet. 40.000 Nutzer haben sich bereits bei „Only One“ angemeldet, dabei gibt es die App erst seit Mai. „Und wir haben noch gar keine Werbung dafür gemacht oder Marketing betrieben“, sagt Manuel Tolle, der das Ende der Oberflächlichkeit propagiert und mit seinem Start-up Menschen mit ernsthaftem Interesse miteinander verknüpfen möchte.

Der 32-Jährige sitzt in der Küche seiner Firma am Mittelweg. Die Alster ist nur drei Minuten entfernt, der Ausblick teuer. Am Eingang steht ein Tischkicker für die Entwickler, der Chef spielt lieber Schach. Tolle trägt weiße Hose, eine Saint-Laurent-Brille, keine Socken und bereitet Kaffee zu, obwohl er selbst keinen trinken darf. Eine Zecke verpasste ihm vor drei Jahren eine Borreliose, seitdem muss der Hamburger auf Koffein, Alkohol, Milch, Gluten und Zucker komplett verzichten. „Das blöde Tier hat mich gezwungen, endlich gesund zu leben“, sagt Tolle, dessen Werdegang allerdings ohnehin nicht so wirkt, als hätte er seine Jugend mit zu viel Remmidemmi gefüllt. Die Zecke war unnötig.

Daten bei Tinder oder Badoo ähnelt einem Spiel

Mit 17 setzte Tolle bereits seine erste Geschäftsidee um, eine Webseite für Filmtrailer. In der Vor-Netflix- und Vor-Corona-Ära gingen die Menschen ja noch gerne ins Kino, und der junge Mann machte gute Umsätze und gewann Partner wie Maxdome. Anschließend investiert Tolle – der auch mal BWL studierte, es aber nach drei Wochen schon als Zeitverschwendung begriff – in www.heimarbeit.de und kaufte für 30.000 Euro die Domain www.singleboerse.de . Deren Aufgabe war es, Flirtwilligen die für sie geeignetste Partnervermittlung vorzuschlagen. Schloss jemand über diese Webseite einen Vertrag mit Parship und Co. ab, erhielt Tolle eine Provision.

Zehn Jahre arbeitete der Hamburger mit namhaften Onlinedating-Unternehmen zusammen, bevor er in diesem Jahr seine eigene App launchte, die ein anderes Konzept verfolgt als die bisherigen. Herkömmliche Partnervermittlungs-Apps wie Tinder oder Badoo funktionieren folgendermaßen: Man schaut sich Fotos von anderen Flirtwilligen auf dem Handy an und wischt mit dem Daumen nach rechts, wenn einem jemand gefällt. „Dabei wird man ständig erschlagen von Reizen. Schon hinter dem nächsten ­Swipe könnte etwas ‚Besseres‘ stecken“, sagt Tolle. Viele Nutzer entwickeln dabei das Syndrom, etwas oder jemanden zu verpassen (die sogenannte „fear of missing out“). Die Folge: Statt sich auf eine einzige Person einzulassen, werden sich alle Optionen offen gehalten und das Daten ähnelt einem Spiel, bei dem möglichst viele Matches gesammelt werden.

Permanentes Überangebot

Ihn habe es beim Onlinedating immer total überfordert, jeden Tag zehn verschiedene Optionen zu haben, erklärt Tolle. Das menschliche Gehirn sei seiner Ansicht nach nicht darauf ausgelegt, und das Dating-Verhalten werde durch das permanente Überangebot massiv gestört: „So stellt eine Kontaktaufnahme gar nichts Besonderes mehr dar.“ An dieser Stelle setzt „Only One“ an: Die App funktioniert zwar auch nach dem gängigen Swipe-Prinzip in einem Profilkatalog, jedoch mit dem Unterschied, dass Nutzer sich zeitgleich immer nur mit einer Person verbinden können. Der Fokus liegt somit auf einer einzigen Unterhaltung. Während einer aktiven Verbindung erhält man keine weiteren Partnervorschläge. „Die Nutzer sind somit gezwungen, sich auf den anderen zu konzentrieren, die Gespräche bekommen eine ganz andere Tiefe,“ sagt der Ideengeber.

Gerade weibliche Nutzer der App geben die Rückmeldung, dass es sie total beruhige, wenn sie nicht die ganze Zeit annehmen müssen, ihr Flirtpartner schreibe zeitgleich noch mit anderen Frauen. Sie stehen dadurch nicht so unter einem Leistungsdruck, glaubt die Tiefenpsychologin und Beziehungsexpertin Katharina Ohana. Viele Singles würden denken, wenn man ganz viele Personen nebeneinander date, erhöhe das die Chancen, endlich den oder die Richtige/n zu treffen. Liebe als eine Art Geschäft? Bei der durch polygames Dating Zeit gespart und der bestmögliche Deal für sich selbst ausgehandelt wird? Davon hält Ohana wenig: „Liebe als Business funktioniert nicht. Das ist unreif und narzisstisch.”

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Durch Corona hätten sich auch die Werte der Menschen in Bezug auf Liebe und Partnerschaft verändert, glaubt Tolle: „Nur wenige sind noch scharf auf einen One-Night-Stand.“ Neben der Fokussierung bietet seine App zwei weitere Besonderheiten: Im Profil oder beim Favorisieren können Sprachnachrichten hinterlegt werden. Die Stimme spielt eine extrem große Rolle bei der Entscheidung, ob einem jemand sympathisch ist oder nicht.

Zusätzlich kostet „Only One“ nichts. Aber womit will Tolle denn dann überhaupt Geld verdienen? Der Chef von 16 Mitarbeitern zuckt mit den Schultern: „Die größten Ideen sind immer ohne Businessplan entstanden. Wer hätte bei Facebook schon gedacht, man könnte mit so einem Netzwerk mal Geld verdienen.“ Der Unternehmer lebt von den Einkünften seiner Haupt-Website www.empfohlen.de , ein Businesskonzept für seine neue Entwicklung wird schon irgendwann um die Ecke kommen. Wie der Traumprinz eben.