Hamburg. Sie haben zum Valentinstag noch nicht den oder die Richtige/n gefunden? Lesen Sie, wie andere das mit ein paar Klicks machen.
Lenas Profiltext liest sich folgendermaßen: „Selbstdarstellung ist ja wohl immer eine Art der Selbstinszenierung, also: schokoladig, Schlaukopf, 20er BMI (macht mich wohl „sportlich“), Studentin, Semi-Karibisch (Barbados), Soziologin in spe, aber vor allem: sapiosexuell.“
Wer nicht weiß, was sapiosexuell sein soll: Die Studentin steht auf intelligente Männer, trifft sich daher am liebsten mit Medizinern und Juristen – wobei man korrigieren muss: Lena trifft sich mit Männern, die in ihren Tinder-Profilen behaupten, diese Berufe auszuüben. Denn in Dating-Foren wie Tinder kann jeder erst mal alles sein und alles behaupten. Er kann sogar anders aussehen, denn es gibt immer wieder Leute, die sogar Fotos von anderen klauen. „Ist letztens einem Freund von mir passiert“, sagt Lena.
Valentinstag: Mit ein paar Klicks beim Tinder-Dating zum Erfolg?
Das Bild der 24-Jährigen sieht ganz süß aus, womit sie das wichtigste Kriterium des Onlinedatings erfüllt und dementsprechend großen Erfolg hat. Als sie letztens zum Skifahren in Kitzbühel war und sich auf Tinder anmeldete, hatte sie 2000 Likes in acht Stunden. 2000 Menschen, die sie mindestens kennenlernen wollten, gerne mehr. „Auf der Straße würden mich im echten Leben niemals 2000 Leute am Tag ansprechen. Kontakte knüpfen geht über Tinder wesentlich schneller“, sagt Lena.
Natürlich sei das Medium sehr oberflächlich, doch in der Kneipe würde man auch nur die ansprechen, die einem auf den ersten Blick gefallen, findet die Studentin. Es kostet sie allerdings viel Zeit, unter all den Interessenten die rauszusuchen, die wirklich so sind, wie sie sich beschreiben. „Am meisten gelogen wird bei der Körpergröße. Komischerweise sind alle kleinen Männer 1,80 Meter groß“, sagt Lena.
Italienerinnen mögen Bärte, Finnen sind große Knutscher
Wie sehr bei der Gestaltung des Profiltextes getrickst wird, hat nun eine große internationale Studie untersucht (einzusehen unter www.onlinedating.de). Mehr als 5,5 Millionen Profile von Onlinedatern aus 16 Ländern wurden analysiert. Um Erfolg zu haben, geben die meisten Männer an, in leitenden Positionen wie CEO oder Manager tätig zu sein, demnach bestünde die Welt fast ausschließlich aus Führungspersonen.
Nur 0,05 Prozent der Onlinedater in Deutschland geben zu, arbeitslos zu sein. Wenn überhaupt, nennt man sich „Überlebenskünstler“ oder „Geheimagent“; es gibt auffallend viele DJs und komischerweise Astronauten. Ob die wirklich alle auf dem Weg zum Mond sind oder eher dahinter leben?
Im internationalen Vergleich sind die Deutschen vor allem auf der Suche nach „guten Gesprächen“, in Italien hingegen suchen besonders die Frauen eher „Spaß“. Die Italienerinnen haben auch eine kuriose Körpervorliebe: Sie sprechen gerne über Bärte, insgesamt wird am häufigsten über Tattoos geredet, keineswegs über Brüste. Unerwartet: Bei der Suche nach Knutschereien führen die Finnen im internationalen Vergleich. Die im Norden gehen ran!
Dating-Apps: „Am meisten gelogen wird bei der Größe“
Wo wir gerade von uns sprechen: In der Studie tauchen auch 11.800 Hamburger auf, und die haben durchaus ein paar interessante Eigenarten. Auch bei uns ist man am liebsten Chef (Geschäftsinhaber oder Geschäftsführer), verwendet aber viel häufiger als andere die Deutschland-Flagge. Es ist das meistbenutzte Emoji in Hamburg. Sind wir viel patriotischer, als wir dachten?
Auf jeden Fall sind wir tierfreundlicher (vor allem die Hamburgerinnen) und halten uns gerne kurz. Die Hamburger Jungs kommen mit 24 Zeichen Selbstbeschreibung aus (die Amerikaner verwenden durchschnittlich 75). Gut, das wundert uns nicht, aber dass wir auf schnelle Karren stehen und trotz des Streits um die katholischen Schulen die wenigsten Atheisten haben, das überrascht dann schon. Im bundesweiten Vergleich belegen wir das erste Treppchen beim Thema Formel 1 und den letzten Platz, wenn es darum geht, sich bewusst zu keiner Religion zu bekennen. Amen.
Manche Tinder-User flunkern und verstecken Komplexe
„Wenn ich schon sehe, wie jemand vor seinem Auto posiert, oder in Jogginghose in der Shisha-Bar abhängt, bekomme ich Fluchtreflexe“, sagt Lena. Sie schätzt es, wenn der Mann ein Buch liest oder vor einem Bücherregal steht. Nicht unwichtig ist für die Tinder-Nutzerin auch, dass Fotos von Freunden oder Familienmitgliedern im Profil auftauchen. „Ich will ja keinen Einsiedlerkrebs!“
Oder einen Nerd, der die ganze Zeit nur schreibt, es aber dann nie zu einem echten Treffen kommen lässt, weil er nämlich in der Realität gar nicht so ist, wie er vorgegeben hat. „Viele verstecken einfach ihre Komplexe. Oder sie flunkern bei ihrem Beziehungsstatus“, sagt Lena.
In ihren fünf Jahren auf Tinder hat sie alles erlebt: „Verheiratete Männer, die nur ihren Marktwert checkten. Paare, die nach einer Gespielin suchten, oder einen Typ, der eine Sklavin wollte.“
Tinder-Benching: Hinhaltetaktik "ist grausam"
Die große Liebe war immerhin auch einmal dabei. Plötzlich entdeckte sie auf einem Bild einen Jungen, mit dem sie früher im Sandkasten gespielt hatte. Sie trafen sich sofort. Die Beziehung hielt knapp zwei Jahre. Auch eine Arbeitskollegin hat bei Tinder ihren aktuellen Freund gefunden. Sowieso sind alle Freundinnen von Lena bei Tinder angemeldet, aber so praktisch sie es finden, in kurzer Zeit viele Leute kennenlernen zu können, so problematisch ist eben genau diese riesige, unendliche Auswahl.
Ein relativ verbreitetes Problem beim Onlinedating nennt sich „Benching“. „Das ist grausam“, sagt Lena. Benching ist eine Art Hinhaltetaktik. Es bedeutet, jemanden auf die lange Bank zu schieben. Mal will man sich treffen, dann doch wieder nicht, man signalisiert dem Gegenüber permanent: Du bist nur eine Option. Niemand will sich mehr festlegen, die Unverbindlichkeit steht über allem.
„Onlinedater haben ein bestimmtes Mindset, und das begünstigt leider diese Zwischenbeziehungsformen“, erklärt Lena, die sich zwischendurch frustriert abmeldete, nachdem sie über zwei Jahre lang eine anstrengende „Freundschaft plus“ führte. Sie war verliebt, doch der Typ wollte sich nicht fest binden. „Das verschleißt die Menschen“, findet Lena.
Tinder-Dating: Lass mal lieber gleich miteinander schlafen!
Die Soziologin Eva Illouz, die Onlinedating als „bedeutendsten Trend in der modernen Partnersuche“ untersuchte, glaubt, die Menschen seien mit dem Überangebot überfordert. Früher, als das Angebot beschränkt war, musste man schneller zugreifen. Heute erscheint die Auswahl wichtiger als das, was man auswählt.
Eine Entscheidung wird nunmehr nach Regeln der Effizienz getroffen, die Intuition (nur bei Face-to-Face-Kommunikation möglich) tritt in den Hintergrund, genauso wie die Regeln der Höflichkeit. Lena hat unmögliches Verhalten bedingt durch den romantischen Massenkonsum mehrfach erlebt, etwa wenn jemand ziemlich schnell aggressiv schreibt: „Lass mal nicht zum Kaffee treffen, wir können doch auch gleich miteinander schlafen.“
Weniger Frauen als Männer auf Dating-Plattformen
Ungeduldig sind eher die Herren als die Damen, auch in Hamburg. Nur 19 Prozent geben laut Studie an, ausdrücklich nicht auf der Suche nach einem One-Night-Stand zu sein. Umkehrschluss: 80 Prozent sind es. Die ganz Unangenehmen setzen ihr Gegenüber sogar unter Druck und schreiben Dinge wie: „Wenn du jetzt nicht sofort Zeit hast, brauchst du dich nie wieder zu melden.“ Selbst wenn Lena antwortet, sie arbeite gerade und könne jetzt nicht sofort losrennen, reagieren manche Kerle empfindlich gekränkt: „Die ständigen Likes führen bei Personen mit hübschen Fotos zu einer gnadenlosen Selbstüberschätzung.“
Dabei müssten die Zahlen eigentlich zumindest in Hamburg den Frauen den Rücken stärken. Sie sind in dieser Stadt nämlich viel seltener auf Onlinedating-Plattformen vertreten als Männer: 61,2 Prozent sind Männer, 38,8 Prozent Frauen. Und die besitzen sogar etwas, das bei neuen potenziellen Partnern gut ankommt: Humor. Im bundesweiten Vergleich haben sie mit 61,5 Prozent bei positiven Texten über Lachen und Spaß die Nase vorn.
Love is in the App – oder in einer der zahlreichen Apps
Neben Tinder gibt es verschiedene andere Dating-Anbieter wie Pickable, Once, Lovoo, Bumble, Badoo und OKCupid, und weil die Suche nach der großen Liebe so ein gutes Geschäft zu sein scheint, mischt künftig auch ein großer Player in dem Business mit. Pünktlich zum Valentinstag plante „Facebook Dating“ nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz zu kommen.
In den USA gibt es das Angebot bereits. Das soziale Netzwerk empfiehlt aufgrund des Wissens über Interessen und Aktivitäten der Nutzer potenzielle Partner. Die Gemeinsamkeiten sollen hier also die Grundlage eines „Matches“ sein. Man kann sich über Textnachrichten kontaktieren, Fotos dürfen zwischen den Dating-Profilen jedoch nicht versendet werden.
Auf Traumprinz(essin) auf Facebook muss man noch warten
Ein großes Event in Berlin mit Prominenten wie Bill Kaulitz am Mittwoch wurde jedoch kurzfristig verschoben. Auf den Traumprinz und die Traumprinzessin per Facebook muss man nun noch etwas warten. „Der Launch von Facebook Dating ist uns sehr wichtig – wir nehmen uns deshalb noch etwas mehr Zeit, um das Produkt für Europa vorzubereiten,“ erklärte Facebook.
Doch das war anscheinend nur die halbe Wahrheit. Die irische Datenschutzbehörde hatte nämlich Bedenken und daraufhin den Start der Dating-Funktion in Europa auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Datenschützer erklärten, sie seien besorgt gewesen, dass das Online-Netzwerk sie erst Anfang des Monats über Pläne informiert habe, die Plattform nach Europa zu bringen.
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Letztens hatte Lena ein Date, das sehr lustig verlaufen sei: „Der Mann hat mit mir eine Tour durch die Stadt gemacht, an jeder Station haben wir ein Bier getrunken, und am Ende waren wir bei einem Currywurst-Schärfe-Wettessen.“ Solche Abende seien nett, findet Lena, selbst wenn aus den beiden nichts wurde.
Onlinewelt kann eins nicht: Entfernungen reduzieren
Lena liest ihren aktuellen Lieblings-Profiltext eines 30-Jährigen vor: „Du willst endlich aus dem Tindergarten abgeholt werden? Hast genug vom Leben im Betindertenheim? Wische links für ein Leben in ewiger Verdammnis, wische rechts für die abenteuerliche Reise in ein besseres Alternativuniversum, in dem sich Fuchs und Hase Guten Morgen sagen können. Am Ende kann man wahlweise immer noch behaupten, man hätte sich im Zeugenschutzprogramm, beim Dynamit-Fischen oder auf einem Charity-Event kennengelernt.“
Der Mann wäre was. Leider gibt es ein Problem: Der witzige Schreiber wohnt in Österreich. Das schafft selbst die Onlinewelt nicht: Entfernungen zu reduzieren.