Hamburg. Zunahme an körperlicher Gewalt in Hamburg. Zwei Beschäftigte erleiden schwere Verletzungen. Spezielles Training soll helfen.
Die Zahl der Übergriffe gegen Beschäftigte der Stadt Hamburg ist (ohne Polizeivollzug) im Vorjahr gegen den Trend gestiegen. Wie aus einer Auflistung des Personalamtes hervorgeht, die dem Abendblatt vorliegt, haben die Bediensteten 2026 Übergriffe gemeldet (2018: 1788, 2017: 1852).
Zwei Beschäftigte erlitten schwere Verletzungen. Bemerkenswert ist vor allem die deutliche Zunahme körperlicher Gewalt. 2019 zeigten die Bediensteten hier 409 Taten an. 26-mal waren dabei Gegenstände, viermal sogar Waffen im Spiel. 2018 hatte das Personalamt 233 Angriffe dieser Art registriert, im Jahr davor waren es nur 195.
Zunahme im Bezirksamt Altona fällt besonders drastisch aus
Die Zunahme bei der Gesamtzahl hat auch organisatorische Gründe: So beinhaltet die Statistik nun erstmals auch Übergriffe, die von Mitarbeitern des Landesbetriebs Rathaus-Service gemeldet wurden – im Vorjahr waren es 108. Die Zahl der Fälle von „sexuellen Grenzverletzungen“ – diese Kategorie gibt es erst seit zwei Jahren – stieg von 35 auf 50 im Jahr 2019. Mit 563 Anzeigen (2018: 248) fällt die Zunahme im Bezirksamt Altona besonders drastisch aus. Allein die Mitarbeiter des hier angedockten Zentralen Zuführungsdienstes meldeten 295 der stadtweit 409 gewaltsamen Übergriffe.
Hintergrund: In Altona werden psychisch kranke Menschen zur amtsärztlichen Untersuchung „zwangsvorgeführt“, das führt nicht selten zu „Gefahrenlagen“ für die Mitarbeiter. Volker Wiedemann, Leiter des Personalamtes, sieht ein „geändertes Meldeverhalten“ vor allem im Zusammenhang mit einer folgenschweren Attacke auf zwei Zuführer im September 2018. Als sie damals einen 29-Jährigen aus seiner Wohnung in Eißendorf in eine psychiatrische Einrichtung bringen wollten, griff der Verwirrte sie mit brennendem Spiritus an. Ein 50-Jähriger erlag noch am Tatort seinen Verletzungen, sein Kollege (59) ist dauerhaft gezeichnet.
Angriffe mit Blumentöpfen, Flaschen, Scheren, Hämmern
Bereiche mit viel Publikumsverkehr, darunter die sieben Bezirksämter, oder mit problematischer Klientel waren besonders gefährdet. Dort waren schon Angriffe oder Bedrohungen mit Flaschen, Besteck, Scheren, Hämmern und Blumentöpfen waren da schon zu verzeichnen. Im Vorjahr drohten außer Kontrolle geratene Bürger den Staatsdienern zudem mit Messern, Stühlen, Gehstöcken und einem hochgehobenen Bildschirm.
Die 16 Hamburger Jobcenter verzeichnen indes eine erfreuliche Entwicklung: Die Zahl der Übergriffe ist hier stark zurückgegangen, sie sank von 418 im Jahr 2018 auf 357, darunter lediglich fünf Gewalttaten (2018: 15). Im Strafvollzug wurden hingegen 163 Taten und damit 30 mehr als 2018 registriert. In 40 Fällen gaben die Bediensteten an, körperlich angegriffen worden zu sein. Nach wie vor auffällig hoch ist die Quote gewaltsamer Übergriffe, die sich gegen Beschäftigte des Landesbetriebs Erziehung und Bildung (LEB) richten.
Der LEB nimmt unter anderem minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in Obhut. Von den 33 insgesamt gemeldeten Übergriffen wurden 19 der Kategorie „körperliche Gewalt“ zugeordnet. Die Zahl tätlicher Angriffe auf Feuerwehrleute ist zwar leicht zurückgegangen, von 44 auf 34. Ausgerechnet die Retter sehen sich aber weiterhin dutzendfach Beleidigungen, Bedrohungen und Gewalt ausgesetzt. Wiedemann spricht hier exemplarisch von Tritten und Flaschenwürfen gegen die Rettungswagen.
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Allerdings bleibt die Vielzahl der Übergriffe unterhalb der Tätlichkeitsschwelle. Mit Abstand am häufigsten – im Vorjahr 989-mal – mussten die Staatsdiener Beschimpfungen und Beleidigungen über sich ergehen lassen. 589-mal gaben sie an, bedroht worden zu sein, meist durch Worte, in seltenen Fällen auch mit gefährlichen Gegenständen oder Waffen. Während rund 40 Prozent der Opfer weiblich sind, traten Frauen als Täter nur in 24 Prozent aller Fälle in Erscheinung.
Für die Täter hat das Pöbeln, Bedrohen, Schubsen und Spucken längst nicht immer Folgen. Gegen die rund 2200 Tatverdächtigen sprachen die betroffenen Stellen in nur 179 Fällen ein Hausverbot aus, 371-mal wurde Strafanzeige oder Strafantrag erstattet. 13 Opfer wurden vorübergehend, ein weiteres sogar dauerhaft dienstunfähig geschrieben.
Gewerkschaft warnt vor einem Absinken der Hemmschwelle
Seit Jahren warnt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) vor einer Zunahme der Übergriffe gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst und einem Absinken der Hemmschwelle beim Bürger. So hatten bei einer in diesem Jahr durchgeführten, bundesweiten DGB-Umfrage 67 Prozent der Beschäftigten angegeben, in den vergangenen zwei Jahren Beleidigungen, Bedrohungen und tätliche Angriffe erlebt zu haben. „Da läuft eindeutig etwas schief. Wer sich für unsere Gesellschaft einsetzt, darf keine Angst vor Gewalt oder Beschimpfungen haben müssen“, sagt die Hamburger DGB-Chefin Katja Karger.
Für dieses Jahr ist ein deutlicher Rückgang bei den Übergriffszahlen zu erwarten, zumal der Publikumsverkehr in den Amtsstuben durch die Corona-Auflagen deutlich reduziert worden ist. Um die Beschäftigten zu schützen, bietet die Stadt Schulungen und Sicherheitstraining, Kommunikationskurse und Übungen in deeskalierender Gesprächsführung an. Die Präventionsmaßnahmen seien in den vergangenen Jahren ausgebaut worden, so Wiedemann. Es bleibe erklärtes Ziel des Senats, „die Beschäftigten gegen Gewalt bestmöglich zu schützen“.
Hier sei aber noch Luft nach oben, meint Dennis Gladiator, innenpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion. „Die Übergriffe auf Mitarbeiter der Stadt sind alarmierend.“ Der Senat müsse alles tun, um seine Mitarbeiter bestmöglich zu schützen. „Gleichzeitig erwarten wir, dass die gesetzlichen Möglichkeiten zum Schutz und auch zur strafrechtlichen Verfolgung der Täter konsequent ausgeschöpft werden. Hass, Hetze und Gewalt müssen wir alle entschlossen entgegentreten.“