Hamburg. Die Frauenrechtlerin macht sich für ein Kopftuchverbot für Kinder stark – und bekommt eine klare Absage vom Hamburger Senat.

Die Soziologin und Publizistin Necla Kelek hat den Hamburger Senat kritisiert. Seit Jahren macht sich die erfolgreiche Autorin für ein Kopftuchverbot bei Kindern stark – und holte sich nun eine klare Absage vom Senat. „Ich bin wirklich überrascht“, sagt die Hamburgerin, die vor einem Dreivierteljahr zurück in ihre Heimatstadt zog. „Seit 15 Jahren – damals noch in der Islamkonferenz von Wolfgang Schäuble – mache ich mich für dieses Verbot stark. Es macht mich fassungslos, mit welcher Klarheit und Selbstverständlichkeit eine säkulare Stadt wie Hamburg die Kinder schutzlos den religiösen Vorstellungen von Eltern und Imamen überlässt“, sagte sie dem Abendblatt.

Auslöser war ein Schreiben des Vereins „Säkularer Islam Hamburg“ an Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und andere Politiker, in dem ein Kopftuchverbot für Kinder angeregt wird. Diesen überparteilichen Zusammenschluss „Säkularer Islam“ hatten 2018 führende Kritiker des Fundamentalismus wie Ertan Toprak, Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Im­migrantenverbände, der Grünen-Politiker Cem Özdemir, die Frauenrechtlerin Seyran Ateş, die Politologen Hamed Abdel-Samad und Bassam Tibi sowie der Psychologe Ahmad Mansour initiiert.

Kelek: "Das Kopftuch gefährdet den Schulfrieden“

„Wir möchten Sie dafür gewinnen, ein Gesetz bzw. eine Verordnung zu erlassen, mit der das Tragen eines Kopftuches an Hamburger Schulen und Kindertagesstätten bei Kindern unter 14 Jahren untersagt wird“, heißt es in dem Schreiben der Gruppe vom 30. August 2020. Es gehe dabei um den Schutz und die Grundrechte und um unser Zusammenleben. „Das Kopftuch ist nach konservativem islamischen Verständnis das Stigma der ehrbaren Frau. Es soll zeigen, ich bin eine Frau, ich bin rein und gläubig“, schreibt Kelek, die Vorsitzende des Vereins „Säkularer Islam Hamburg“ ist.

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Die erwachsene Trägerin eines Kopftuchs sei durch das Grundrecht der Religionsfreiheit geschützt. Anders sieht es der Verein „Säkularer Islam“ bei Kindern: „Mädchen im Kindergarten oder der Grundschule werden durch das Kopftuch bereits als Sexualwesen stigmatisiert, sie werden so auf ihre Rolle als weibliches Wesen mit eingeschränkten Rechten vorbereitet.“ Nach Berichten von Lehrkräften nehme die Zahl der minderjährigen Mädchen zu, die Kopftuch tragen, sagt Kelek.

Schlimmer noch: Durch die Betonung ihrer Rolle als „Frau“ seien die Mädchen in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und nähmen weniger an Sport- und Schwimmunterricht, Ausflügen und Klassenfahrten teil. „Das Kopftuch behindert nicht nur die Kopftuch tragenden Mädchen, sondern verändert oder spaltet gar die Klassengemeinschaft. Leidtragende sind nicht nur die Mädchen mit Kopftuch, sondern je nach Konstellation auch die „Ungläubigen“ in der Klasse. Das Kopftuch gefährdet den Schulfrieden.“

Kopftuchverbot für Mädchen könnte muslimische Eltern davon abhalten, ihre Kinder in eine Kita zu geben

Das sehen die Schul- und die Sozialbehörde der Stadt ganz anders. In der Antwort, verfasst von zwei Abteilungsleitern am 9. Oktober, heißt es: „Das Tragen eines Kopftuches unterfällt dem Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 GG. Es ist Ausdruck der gemeinsamen Glaubensüberzeugung einer Religionsgemeinschaft, auch dann, wenn dieses nur von einem Teil dieser Gemeinschaft als zwingendes Gebot angesehen wird.“ Zudem gelte das elterliche Erziehungsrecht, Eltern dürften „vor Eintritt der Religionsmündigkeit grundsätzlich über die Bekleidung ihrer Kinder“ bestimmen.

Insofern könnten Eltern ihren Töchtern „zum Tragen des Kopftuches anhalten.“ Weiter heißt es dort: Ein Verbot könne Misstrauen in die Neutralität einer staatlichen Institution begründen. „Die stünde nicht im Interesse der multikulturell und multireligiös geprägten Freien und Hansestadt Hamburg“. Und noch eine Sorge treibt die Behörden um: Ein Kopftuchverbot für Mädchen könnte muslimische Eltern davon abhalten, ihre Kinder in eine Kita zu geben.

Die Antwort bringt die Frauenrechtlerin Kelek in Rage: „Die hier dargelegte Auffassung des Hamburger Senats bedeutet, Religion und Elternrechte first, Freiheit second. Das ist kein Recht, sondern offenbar die Politik des rot-grünen Senats. Die Argumentation folgt damit der ,Kopftuch‘-Fatwa des vom Iran gesteuerten Islamischen Zentrums Hamburg (IZH), die genau dies fordert.“ Der Vorwurf ist auch deshalb heftig, weil das IZH seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Trotzdem ist das IZH Teil der Schura, mit dem die Stadt einen Staatsvertrag abgeschlossen hat.

Kinder rechtlos dem Willen der Eltern ausgeliefert?

In ihrer aktuellen Replik schreibt Kelek nun den Behörden: „Dem Grundrecht auf Religionsfreiheit wird hier Priorität vor anderen Grundrechten eingeräumt, auch wenn diese Auffassungen Sektencharakter haben.“ Weiter heißt es: „Kinder haben nach Auffassung der Hamburger Behörde keine eigenständigen Rechte, sondern sind vollkommen dem Willen der Eltern ausgeliefert. Das ist bemerkenswert für eine ,Freie und Hansestadt‘, die völlig davon abzusehen scheint, selbstbestimmte freie Bürgerinnen und Bürger zu erziehen.“

Eine Schülerin mit Kopftuch (Symbolbild)
Eine Schülerin mit Kopftuch (Symbolbild) © dpa | Frank Rumpenhorst

Das Kopftuch, so Kelek, sei kein Ausdruck von Spiritualität, „sondern zunächst ein Zeichen der Abgrenzung von Männern und Frauen“, es unterscheide zwischen Reinen und Unreinen und Gläubigen und Ungläubigen. „Es ist ein Zeichen der Apartheid, die mit Vielfalt rein gar nichts zu tun hat.“ Ihr Brief endet mit dem Satz: „Die Rechte der Kinder auf eine Erziehung in Freiheit kommen in der Antwort des Senats nicht vor. Damit können wir nicht einverstanden sein.“

Gegen das Kinderkopftuch engagieren sich viele Gruppen, darunter die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Migrantenverbände und der Deutsche Lehrerverband. Österreich hat die Verhüllung von Mädchen mit einem Kopftuch in der Grundschule 2019 gesetzlich verboten.

"Hamburg muss mutiger werden und mit liberalen Muslimen zusammenarbeiten"

Im Gespräch mit dem Abendblatt fordert Kelek als Vorsitzende des Vereins die Politik auf, ein klares Signal gegen den politischen Islam zu setzen. Dies sei angesichts der Anschläge islamistischer Terroristen besonders geboten: „Hamburg muss mutiger werden und mit liberalen Muslimen zusammenarbeiten. Leider höre die Politik aber lieber auf rückwärtsgewandte Verbände, die vorgeben, für die Muslime zu sprechen.“ Auch auf Bundesebene habe die Politik diese Verbände ohne Not gestärkt. Schulen, so Kelek, müssten wieder ein Ort der Freiheit werden, wo für die Zukunft gelernt wird.

Sie müssten die Fähigkeiten der jungen Menschen stärken, selbstständig zu leben. „So bin ich in Deutschland sozialisiert worden“, betont die Sozialwissenschaftlerin, die mit zehn Jahren in die Bundesrepublik kam. Gleichzeitig macht Kelek deutlich, dass der Verein „Säkularer Islam“ weiterkämpfen werde. „Wir werden uns in die Kommunalpolitik einmischen.“