Berlin/Hamburg. Hamburger Staatsminister im Auswärtigen Amt zum Zustand der Demokratie in den USA und die Folgen für die deutsche Außenpolitik

Es war eine sehr kurze Nacht für den Hamburger SPD-Politiker Niels Annen. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt hat gespannt die ersten Ergebnisse der US-Wahl verfolgt und sich nur zwischendurch eine Stunde zum Schlafen gelegt. Sein Fazit am Mittag: „Die USA sind tiefer gespalten als jemals zuvor.“ Das werde dazu führen, dass die US-Politik in den kommenden vier Jahren vor allem mit sich selbst zu tun haben wird, um die Gräben zu überbrücken. „Das bedeutet, dass die Vereinigten Staaten weniger Kraft und Energie haben werden, sich außenpolitisch zu engagieren“, so der 47-Jährige.

„Man muss festhalten, dass sich die Beobachter und Meinungsforscher erneut massiv geirrt haben in ihren Vorhersagen. Das ist ein dramatischer Befund.“ Die Umfrageinstitute hätten versichert, aus ihren Fehlern bei der US-Wahl 2016 gelernt zu haben, doch das sei offenbar nicht der Fall gewesen. Über die Gründe kann Annen nur spekulieren.

Trump erklärt sich vorzeitig zum Wahlsieger – Annen in "großer Sorge"

Es sei möglich, dass manche Trump-Anhänger bei Befragungen nicht zugegeben hätten, den Präsidenten wählen zu wollen – wie man dies in Deutschland bei Wählern von AfD und NPD kenne. „Vor allem aber ist der Effekt der Covid-19-Krise in der Debatte überschätzt worden“, sagt Annen. Die rekordverdächtig hohe Zahl von Früh- und Briefwählern hätten viele Beobachter zudem einseitig als Vorteil für Herausforderer Joe Biden gewertet. „Heute stellen wir fest, dass Donald Trump es geschafft hat, seine Anhänger am Wahltag zu mobilisieren“, so Annen.

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Zum Auftritt des US-Präsidenten, bei dem er sich vorzeitig zum Sieger erklärt und verlangt habe, die Auszählung der weiteren Stimmen zu beenden, findet er für einen Staatsminister relativ deutliche Worte: „Alles, was die Legitimität in Frage stellt und unterminiert, schadet der Akzeptanz des Wahlergebnisses. Gerade unter Freunden und Verbündeten, die sich in der Nato und in anderen Formaten für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie einsetzen, müssen wir voneinander die Erwartung haben – und die formulieren wir auch klar –, dass bei einer Wahl alle Stimmen gezählt werden.“

Durchsetzen lassen werde sich Trumps Ankündigung wohl nicht, weil ein Präsident den Supreme Court gar nicht anrufen könne. Dennoch: „Ich bin in großer Sorge“, sagt Annen. Und er kenne viele Amerikaner, die sich ebenfalls um den Zustand der Demokratie in ihrem Land sorgten.

Annen ist den USA auch privat eng verbunden

„Die amerikanische Demokratie ist gleichwohl eine sehr starke Demokratie. Wir vergessen manchmal, dass sie viel älter ist als etwa die deutsche. Deshalb darf man auch ein wenig Vertrauen in die amerikanische Demokratie haben und sollte nicht den Zeigefinger erheben.“ Von einer Staatskrise in den USA mag Annen nicht sprechen, nicht nur, weil ihm dies als Staatsminister schlecht anstünde. Es sei nicht das erste Mal, dass es bei der US-Wahl zu einer Hängepartie komme und möglicherweise Gerichte entscheiden müssten. Bisher hätten die amerikanischen Institutionen am Ende funktioniert.

Annen interessiert sich nicht nur von Berufs wegen für amerikanische Politik, er ist dem Land auch privat eng verbunden. Als der Sozialdemokrat nach einer Kampfkandidatur in seinem Wahlkreis Eimsbüttel nicht mehr für die Bundestagswahl aufgestellt worden war, ging er 2010/2011 in die USA – als Fellow beim German Marshall Fund, einem Think Tank in Washington D.C., und dann zum Studium an der Johns Hopkins Universität. „Das war eine sehr intensive Zeit, der Präsident hieß Barack Obama, und die rechte Tea-Party-Bewegung war gerade im Entstehen“, erzählt Annen. Er habe damals einen sehr direkten Eindruck von der sich andeutenden Konfrontation im Land bekommen – daran habe er in der Wahlnacht wieder denken müssen.

Wie wird der Ausgang der Wahl das deutsch-amerikanische Verhältnis beeinflussen?

Wie sehr aber wird der Ausgang der Abstimmung das zuletzt sehr angespannte deutsch-amerikanische Verhältnis beeinflussen? „Natürlich wird der Einfluss groß sein“, sagt Außenpolitiker Annen. „Aber wir dürfen unsere Politik nicht auf den Wahlausgang eines anderen Landes ausrichten.“ Die Lehre „aus diesen vier schwierigen Jahren mit sehr viel Streit und öffentlichen Angriffen von Präsident Trump auch bis zuletzt“ bedeutet für ihn, dass Deutschland eine Doppelstrategie benötige: „Wir müssen einen Neustart der deutsch-amerikanischen Beziehungen auf den Weg bringen, unabhängig davon, wer neuer US-Präsident ist.“

Gleichzeitig, so Annen, müssten aber Konsequenzen aus der Trump-Präsidentschaft gezogen werden: „Wir müssen souveräner werden und unsere eigenen Interessen stärker vertreten – und das geht nur, wenn wir eine größere Einigkeit in der europäischen Außenpolitik erreichen.“ Man dürfe sich nicht auf Entscheidungen der Amerikaner verlassen, „bei denen wir gar keine Stimme haben“.