Hamburg. Eine Bestandsaufnahme: Woher kommen die Asylbewerber, wo sind die Unterkünfte, gibt es noch Reserven?
Viele Blicke waren zuletzt auf das Flüchtlingslager Moria in Griechenland gerichtet. Auch Hamburg hat sich bereit erklärt, Hilfesuchende aufzunehmen. Doch wie ist die Situation bei den Flüchtlingsunterkünften in der Hansestadt derzeit? Die Reisefreiheit ist seit Beginn der Corona-Pandemie deutlich eingeschränkt, viele Länder führen wieder Grenzkontrollen durch, dennoch sind auch im Jahr 2020 viele Asylsuchende nach Hamburg gekommen – bis Ende September waren es etwa 3000, allein im September waren es etwa 550. „Die Zahlen waren insbesondere im April und Mai erheblich niedriger“, sagt Martin Helfrich, Sprecher der Sozialbehörde.
„In Hamburg kommen in den vergangenen Monaten zwar weniger Menschen an; das erschließt sich, jeder hat schließlich in den vergangenen Monaten gemerkt, dass Reisen und Mobilität coronabedingt derzeit stark eingeschränkt sind“, so Behördensprecher Helfrich. Möglicherweise hätten sich auch Menschen erstmals in Erstaufnahmen gemeldet, die bereits im Land waren, aber vorher bei den Behörden nicht vorstellig geworden waren.
Es ist schwierig, Flächen zu finden
In der Versorgung der Flüchtlinge seien die Aufgaben aber auch in Coronazeiten nicht weniger geworden. „Alles zu erklären, oft auch zu übersetzen, und in den Unterkünften alle Vorsichtsmaßnahmen umzusetzen, das ist eine große Aufgabe. Schon bevor es in Hamburg die ersten Corona-Fälle gab, waren für alle Unterkünfte Vorsichtsmaßnahmen überlegt und umgesetzt worden“, sagte Helfrich. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Betreuung seien sensibilisiert: „Unter so vielen Menschen sind wir vor Erkrankungen und Ansteckungen zwar nie ganz gefeit, aber die bisherigen Fälle halten sich in Grenzen.
Da, wo es zu lokalen Ausbrüchen kam, konnten diese stets schnell eingedämmt werden.“ Hamburg müsse weiterhin Reserven bereithalten, falls man kurzfristig wieder mehr Menschen helfen müsse. In Zeiten knapper öffentlicher Haushalte seien die finanziellen Spielräume aber inzwischen geringer, so der Sprecher der Sozialbehörde. Auch Flächen zu finden, die für Unterkünfte infrage kommen, sei nicht einfach. „Es ist deswegen nicht nur logistisch, sondern auch aus finanziellen, praktischen und Integrationsaspekten sinnvoll, bestehende Flächen im Rahmen der getroffenen Vereinbarungen so gut wie möglich zu nutzen“, so Helfrich.
Wie viele Plätze für Flüchtlinge hält Hamburg derzeit bereit?
In Erst- und Zweitaufnahmeeinrichtungen leben 29.621 Menschen, dazu zählen Zugewanderte und Wohnungslose (Stand Ende Juli 2020). Um die Belegung der Plätze kümmert sich nach Angaben von Helfrich „Fördern und Wohnen“. „Eine genaue Zahl der freien Plätze in Hamburg liegt uns nicht vor“, sagte der Behördensprecher. Für den Fall eines Zuzugs von Flüchtlingen in größerem Rahmen gebe es aber eine Reserve-Planung. Zuallererst könne man Standorte relativ zügig wieder aufbauen, die vorübergehend geschlossen worden seien. Zudem gebe es mögliche Standorte mit Vorgenehmigungen. Als Drittes existierten Flächen, für die es bislang aber noch kein Planungsrecht gebe, sagt Helfrich. Nach Angaben von Klaus Schomacker, Vorsitzender des Dachverbandes Initiativen für erfolgreiche Integration, werden insgesamt 2110 Erstaufnahmeplätze an fünf Reserve- und Notfallstandorten vorgehalten. „Für Ende 2020 liegt die geplante Kapazität bei 30.174 Plätzen. Ende 2019 waren 33.028 Plätze geplant, die tatsächliche Belegung lag bei 30.601, darunter 5436 Wohnungslose“, so Schomacker. Demnach werden im laufenden Jahr gut 2800 Plätze abgebaut.
Wie viele Unterkunftsstandorte gibt es in Hamburg und wo?
In den sieben Hamburger Bezirken verteilen sich die Flüchtlingsunterkünfte wie folgt: Altona (14), Bergedorf (10), Eimsbüttel (11), Harburg (12), Mitte (17), Nord (19), Wandsbek (24). Hier sind insgesamt 23.459 Menschen untergebracht. Weitere 6162 Menschen leben an 15 Standorten mit sogenannten „Unterkünften mit Perspektive Wohnen“, in denen vollständige abgeschlossene Wohneinheiten in einem hohen Standard des sozialen Wohnungsbaus (Neubau) realisiert sind.
Wie viele Menschen leben in Erstaufnahmeeinrichtungen, wie viele in Folgeunterkünften?
Im Ankunftszentrum und den Erstaufnahmen sind gegenwärtig rund 600 Personen (temporär) untergebracht. Knapp 24.000 Personen leben in Folgeunterkünften.
Gibt es noch Flüchtlinge, die Anspruch auf eine Folgeunterkunft haben, aber noch in der Erstaufnahme leben?
Neun Personen, auf die das zutrifft, lebten am Stichtag 31. August 2020 in einer Erstaufnahmeeinrichtung.
Wie viele Flüchtlinge leben derzeit in Hamburg?
Laut einer CDU-Senatsanfrage leben 55.287 Flüchtlinge in Hamburg (Stand Ende Juli 2020). Davon waren laut Ausländerzentralregister am Stichtag 31. August 2020 insgesamt 6618 Personen in Hamburg im Besitz einer sogenannten Duldung. Die Ausreisepflichtigen, deren Abschiebung ausgesetzt ist, kommen vornehmlich aus Afghanistan (1029), der Russischen Föderation (628), Irak (553), Ghana (506), Iran (393), Ägypten (330) und Serbien (309). Jene 2818 Ausreisepflichtigen, die keine gültige Duldung haben, stammen aus folgenden Hauptherkunftsländern: Polen (295), Rumänien (191), Albanien (171), Afghanistan (160), Nordmazedonien (159), Türkei (147), Serbien (139), Bulgarien (111), Ghana (110), Russische Föderation (66) und Ägypten (66). Nicht jeder, der „ausreisepflichtig“ ist, kann auch abgeschoben werden, beispielsweise, weil Reisedokumente fehlen.
Wie viele Asylbewerber sind in diesem Jahr schon nach Hamburg gekommen und wie viele sind in der Stadt geblieben?
Im Januar kamen 679 Menschen in Hamburg an, 434 durften bleiben, die anderen wurden in andere Bundesländer umverteilt. Im Februar kamen 583 – 365 blieben. Im März kamen 530 – 291 blieben. Im April kamen 281 – 204 blieben, im Mai kamen 266 – 190 blieben, im Juni kamen 323 – 219 blieben, im Juli kamen 485 – 335 blieben, im August kamen 521 – 338 blieben.
Gab es in diesem Jahr schon Abschiebungen?
Im 1. Quartal des laufenden Jahres sind nach Angaben der Innenbehörde 162 Personen freiwillig ausgereist, 73 ausreisepflichtige Personen wurden in ihre Herkunftsländer abgeschoben. 61 Personen wurden an Drittländer überstellt. Im 2. Quartal 2020 reisten 32 Personen freiwillig aus, 21 wurden in ihre Herkunftsländer abgeschoben. „Im August 2020 konnten 66 Rückführungen vollzogen werden“, sagte Daniel Schaefer von der Innenbehörde. In den Jahren zuvor waren deutlich mehr Menschen abgeschoben worden: 2015 waren es 2160, im Jahr danach 3062, 2017 nur noch 1211, im Jahr 2018 nur 1076 und im vergangenen Jahr 1212 Rückführungen. Im Juli 2020 wurden 101 Rückführungen vorbereitet.
Wie viele Menschen mit welchem Asylstatus wird Hamburg tatsächlich aus Griechenland aufnehmen?
Die Bundesregierung hat sich am 15. September 2020 bereit erklärt, 1553 Menschen aus dem Flüchtlingslager Moria auf Lesbos sowie von weiteren griechischen Inseln aufzunehmen. Die Gruppe der genannten 1553 Personen – 408 Familien mit Kindern – umfasst ausschließlich Menschen, die durch die griechischen Behörden bereits als Schutzberechtigte anerkannt wurden. Hamburg hat sich laut Behördensprecher Helfrich bereit erklärt, unabhängig von einer Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel 500 Personen aufzunehmen. Da nicht bekannt sei, in welcher Anzahl andere Bundesländer ihre Bereitschaft erklärt haben, könne derzeit noch nicht angegeben werden, wie viele Schutzberechtigte in Umsetzung des Bundesaufnahmeprogrammes Hamburg zugewiesen werden, so der Sprecher der Sozialbehörde.
Wenn Flüchtlinge hier ankommen – wo gehen sie in Quarantäne?
Eine Unterbringung erfolgt am Standort Neuer Höltigbaum. „Es steht eine obligatorische Quarantäne an“, so Martin Helfrich von der Sozialbehörde. Die Neuankömmlinge würden in der Zeit separat untergebracht.
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Hält die Stadt die sogenannten Bürgerverträge ein?
Im Juli 2016 haben sich die Volksinitiative „Hamburg für gute Integration“ und auch viele lokale Bürgerinitiativen mit der Stadt geeinigt und umfassende Bürgerverträge geschlossen. Ziel war, die Unterkünfte gerechter über die Stadt zu verteilen und pro Standort die Zahl der Bewohner auf maximal 300 zu begrenzen. Martin Helfrich sagt dazu, die Verträge für die einzelnen Standorte hätten unterschiedliche zeitliche Befristungen, bei manchen laufe der Vertrag Ende des Jahres aus. Man sei an vielen Stellen im Gespräch, doch wegen der Corona-Pandemie seien die Rahmenbedingungen erschwert.
Klaus Schomacker vom Dachverband der Bürgerinitiativen stört sich weniger daran, dass es noch mehrere sehr große Unterkünfte in der Stadt gibt (beispielsweise am Mittleren Landweg): „Es geht nicht nur um die Frage der 300, sondern darum, was man integrationspolitisch umsetzt. Dafür tut die Stadt nicht genug“.
Die Flüchtlinge blieben zu lange in den öffentlichen Unterkünften, statt verteilt über die Stadt in Wohnungen zu ziehen. So sei beispielsweise beim Wohnungsneubau ein Viertelmix statt des üblichen Drittelmixes nötig, um so ein Viertel der Wohnungen an Flüchtlinge vermieten zu können. Oder man müsste Sozialwohnungen umwandeln. Die Flüchtlinge in der Stadt seien für viele Menschen aus dem Bewusstsein gerückt, sagt Schomacker, „aber die Probleme bei der Integration sind noch nicht beseitigt“.