Hamburg. Nach dem Anschlag auf einen jüdischen Studenten steigt der Druck auf den Senat. Doch die Dinge sind komplizierter.

Seit dem antisemitischen Anschlag auf einen jüdischen Studenten in der Nähe der Synagoge Hohe Weide am vergangenen Sonntag ist der politische Druck auf den rot-grünen Senat enorm gewachsen. Der 26 Jahre alte Mann, der mit einem Klappspaten attackiert worden war, konnte zwar das Krankenhaus glücklicherweise inzwischen wieder verlassen. Und der 29 Jahre alte mutmaßliche Täter, ein Spätaussiedler aus Kasachstan, wurde vor Ort überwältigt und kam in die Psychiatrie.

Doch das Entsetzen über den schwerwiegendsten antisemitischen Anschlag in Hamburg seit Langem ist geblieben und mithin die drängende Frage, was der Senat gegen den anwachsenden Antisemitismus unternimmt. Es passt ins Lagebild, dass Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, am Freitag – genau ein Jahr nach dem Terroranschlag von Halle, bei dem zwei Menschen starben – sogar vor einem „steil ansteigenden Antisemitismus in Deutschland“ warnte.

Ein Personalvorschlag mit internationaler Ausstrahlung

Am 9. Oktober 2019 hatte der Rechtsextremist Stephan B. vergeblich versucht, mit Waffengewalt in die Haller Synagoge einzudringen, wo sich zahlreiche Juden an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, versammelt hatten. B. erschoss kurz darauf eine Passantin sowie einen Mann in einem Döner-Imbiss und verletzte weitere Menschen, ehe er von Polizeibeamten überwältigt und festgenommen werden konnte.

Die grauenhafte Tat führte dazu, dass Senat und Bürgerschaft binnen kurzer Zeit auch für Hamburg weitreichende Maßnahmen zur Bekämpfung des Antisemitismus beschlossen. Zwei Punkte ragen heraus: Der einstimmige Beschluss der Bürgerschaft für den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge, die die Nazis 1938 erst verwüstet und ein Jahr später abgerissen hatten. Der Neubau der einst größten Synagoge Norddeutschlands, der einem Wunsch der Jüdischen Gemeinde Hamburg entspricht, soll jüdisches Leben in der Stadt wieder sichtbarer machen.

Hamburg solle einen Antisemitismus-Beauftragten erhalten

Zweitens soll Hamburg einen Antisemitismus-Beauftragten erhalten – einen Posten, den es in 13 der 16 Bundesländer und für den Bund bereits gibt. Lange galt eine solche Institution vielen in der Stadt als nicht erforderlich, vielleicht, weil man sich in der trügerischen Sicherheit wähnte, Hamburg als tolerante und weltoffene Stadt habe kein so großes Problem mit dem Antisemitismus wie andere Länder. Nicht erst seit Sonntag weiß man es besser.

Seit dem Beschluss ist fast ein Jahr vergangen – eine oder einen „Beauftragte/n für jüdisches Leben und die Bekämpfung und Prävention von Rechtsextremismus“, so der Titel laut Bürgerschaftsdrucksache, gibt es immer noch nicht. Auf den ersten Blick könnte der Verdacht naheliegen, dass die Politik schlicht ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich: Daran liegt es nicht, die Dinge sind deutlich komplizierter.

Jüdische Gemeinden haben ein Vorschlagsrecht

„Die jüdischen Gemeinden haben ein Vorschlagsrecht“, heißt es in dem von der Bürgerschaft beschlossenen Eckpunktepapier zum Amt des Antisemitismus-Beauftragten. Kein einfaches Unterfangen, denn die Jüdische Gemeinde Hamburg mit ihren rund 2500 Mitgliedern und die wesentlich kleinere Liberale Jüdische Gemeinde, 2004 als Verein gegründet, haben ein nicht unproblematisches Verhältnis zueinander. Die Jüdische Gemeinde Hamburg, eine Körperschaft öffentlichen Rechts, versteht sich als Einheitsgemeinde, die alle Strömungen des Judentums vertritt.

Dennoch gelang es den Vertretern beider Gemeinden, sich im Laufe dieses Jahres auf einen Personalvorschlag zu verständigen, der noch dazu ziemlich spektakulär ist, weil er eine bundesweite, ja internationale Ausstrahlung hätte: Ahmad Mansour, Psychologe und Autor mehrerer Bücher über Antisemitismus, Rassismus und Islamismus („Generation Allah“). Der in Berlin lebende Muslim Mansour, häufiger Gast in Talkshows, ist ein arabischer Israeli, der in seiner Jugend selbst radikalisiert war, ehe er sich vom Islamismus im Studium abwandte. Es ist nicht zuletzt Mansurs Biografie, die ihm aus Sicht der Jüdischen Gemeinde besondere Glaubwürdigkeit und Durchsetzungskraft im Kampf gegen den Antisemitismus verleiht.

Mansour ist bekannt für seine provokativen Thesen zum Thema Integration

Ursprünglich hatten die Vertreter der Jüdischen Gemeinde die Ansicht geäußert, der Antisemitismus-Beauftragte solle jüdischen Glaubens sein. Nach einem Gespräch mit Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) am Dienstag im Rathaus betonte Philipp Stricharz, der Erste Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Hamburg, der Beauftragte müsse weder Mitglied der Gemeinde noch jüdischen Glaubens sein.

Mansour ist außerdem bekannt für seine zum Teil provokativen Thesen zum Thema Integration – und vor allem im linksliberalen Milieu deswegen nicht unumstritten. Dennoch soll die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne), seit dem Neustart der rot-grünen Koalition im Senat für das jüdische Leben zuständig, recht begeistert von der Personalie gewesen sein.

Der Vorschlag hat einen Haken: Der Antisemitismus-Beauftragte soll laut Bürgerschaftsdrucksache zwar „weisungsunabhängig“, aber nur „ehrenamtlich“ arbeiten. Er erhält für seine Tätigkeit „eine Aufwandsentschädigung“. Mansours Vorstellungen sollen nach Abendblatt-Informationen weit darüber hinaus gegangen sein. Er soll einen nicht geringen sechsstelligen Betrag jährlich für sich gefordert haben. Dazu würde die finanzielle Ausstattung einer Geschäftsstelle kommen.

Einigkeit der beiden jüdischen Gemeinden nicht leichtfertig aufs Spiel setzen

Zwar soll es in Gesprächen mit Mansour gelungen sein, dass sich die Vorstellungen etwas annäherten, aber letztlich gab es keine Einigung. Die Verhandlungen wurden abgebrochen. Die Jüdische Gemeinde Hamburg betont, dass es mehrere denkbare Kandidaten für den Posten gebe. Zugleich sollen Stricharz und Landesrabbiner Shlomo Bistritzky beim Gespräch mit Tschentscher am Dienstag deutlich gemacht haben, dass Mansour weiterhin ihr Favorit ist. Auch wenn derzeit nicht ganz klar ist, wer angesichts von internen Auseinandersetzungen für die Liberale Jüdische Gemeinde spricht, gilt deren Zustimmung zu Mansour wohl weiterhin.

Landesrabbiner Shlomo Bistritzky zum Anschlag in Hamburg:

Landesrabbiner Shlomo Bistritzky zum Anschlag in Hamburg

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    Die Einigkeit der beiden jüdischen Gemeinden in dieser Frage sollte aus Sicht des Senats nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Deswegen dürfte es jetzt zu einem zweigleisigen Verfahren kommen: einerseits und vor allem erneute Gespräche mit Mansour und andererseits auch mit anderen Kandidaten. Angesichts des Problemdrucks nach dem Anschlag vom Sonntag dürfte die Kon­struktion des Antisemitismus-Beauftragten als ein Ehrenamt wohl nicht mehr aufrechtzuhalten sein.

    Schwierige Verhandlungen

    Das Ehrenamt werde „der Bedeutung und dem Anspruch der Aufgabe“ nicht gerecht, sagt Stricharz. Der oder die Beauftragte müsse Kampagnen entwickeln und durchführen sowie insbesondere auf Bevölkerungsgruppen zugehen, die für antisemitische Strömungen anfällig seien. „Nach einem Jahr wird man fragen: Was hast du erreicht?“, so der Erste Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Hamburg.

    Die anstehenden Verhandlungen werden nicht erleichtert dadurch, dass die Verantwortlichkeit im Senat gewechselt hat. Bis zur Senatsneubildung war Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) für den Bereich jüdisches Leben zuständig. Das Amt des Antisemitismus-Beauftragten sollte folglich auch der Sozialbehörde angegliedert werden. Sozial-Staatsrätin Petra Lotzkat, die die Gespräche bislang geführt hat, hat sich Vertrauen bei den jüdischen Gemeinden erworben. Lotzkat wird voraussichtlich zusammen mit Wissenschafts-Staatsrätin Eva Gümbel (Grüne) die Verhandlungen künftig weiterführen.

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    Um den finanziellen Spielraum zu verdeutlichen, wird auf Senatsseite auf den Posten des Senatskoordinators für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen verwiesen. Ralph Raule, seit August im Amt, ist der erste hauptamtliche Behinderten-Beauftragte. Er wird nach der Gehaltsstufe E 15 besoldet – und das liegt deutlich unter 100.000 Euro pro Jahr. Fegebank, die um die heikle Problematik des Themas Antisemitismus-Beauftragter weiß, sagte am Dienstag in der Landespressekonferenz, sie rechne mit „einer einvernehmlichen Lösung in mittlerer Zukunft“. Ein wahrlich dehnbarer Begriff, der aber bewusst gewählt war ...