Hamburg. Mann in Tarnanzug hat jüdischen Studenten mit Spaten schwer verletzt. Was man über den Täter weiß. Reaktion auf die Attacke.
Schlimme Erinnerungen an Halle werden wach: Vor der Hamburger Synagoge an der Hohen Weide in Eimsbüttel ist es am Sonntagnachmittag zu einer offenbar antisemitischen Attacke gekommen, bei der ein 26 Jahre alter Student schwer verletzt wurde. Nach bisherigen Erkenntnissen der Polizei hielt sich der Tatverdächtige (29) kurz vor 16 Uhr an der Heymannstraße Ecke Hohe Weide auf und griff dort an der Synagoge den 26-Jährigen an, der offenbar gerade das Gelände der Synagoge betreten wollte. Bei dem Opfer soll es sich um einen jüdischen Studenten handeln. Der Tatverdächtige, der laut Polizeisprecherin Sandra Levgrün eine Art militärischen Tarnanzug trug, attackierte das Opfer mit einem Klappspaten.
Angriff vor Hamburger Synagoge: Staatschutz ermittelt
Die Jüdische Gemeinde wollte am Nachmittag in der Synagoge anlässlich des Festes Sukkot einen Gottesdienst feiern, an dem der 26-Jährige teilnehmen wollte. Als er die Synagoge betreten wollte, wurde er von dem Tatverdächtigen angesprochen, mit dem Spaten auf den Kopf und ins Gesicht geschlagen.
Der 26-Jährige erlitt schwere Kopfverletzungen. Er wurde bis zum Eintreffen der Rettungskräfte von Passanten erstversorgt. Anschließend wurde er in ein Krankenhaus transportiert. Er schwebe nicht in Lebensgefahr, so Levgrün. Beamte des Objektschutzes der Synagoge Hohe Weide nahmen den Tatverdächtigen noch vor Ort fest.
Polizeisprecherin Sandra Levgrün: Erste Erkenntnisse zur Tat
Bei dem Angreifer handelt es sich laut Levgrün um einen Deutschen. Er soll kasachische Wurzeln haben und in Berlin leben. Es sei auch noch unklar, wie lange und warum er sich in Hamburg aufhielt, sagte Levgrün. Es handele sich um einen psychisch auffälligen Mann, der einen ,„extrem verwirrten Eindruck“ mache. Es sei schwierig, ihn zu vernehmen.
Nach dpa-Informationen soll der Angreifer einen Zettel mit einem Hakenkreuz in seiner Hosentasche gehabt haben. Das konnte die Polizei bislang nicht bestätigen. Auch der Landesrabbiner Shlomo Bistritzky sprach davon. Er selbst war im Juni vergangenen Jahres am Rathaus Opfer einer Attacke geworden.
Landesrabbiner Shlomo Bistritzky zur Tat am Sonntag
Die Mordbereitschaft sicherte bis in den späten Sonntagabend hinein Spuren am Tatort. Der Staatsschutz und die Mordkommission haben die Ermittlungen zur Tat übernommen. Ob der Verdächtige aus antisemitischen Motiven heraus handelt, kann laut Levgrün nicht ausgeschlossen werden. "Wir ermitteln in alle Richtungen." Zeugen, die den Angriff auf den jungen Mann beobachtet haben, wurden am Sonntag vernommen.
Bürgermeister Tschentscher: "Ich bin bestürzt"
Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher reagierte via Twitter auf die Tat: „Ich bin bestürzt über den Angriff vor einer Synagoge in Hamburg. Die Polizei hat den Täter festgenommen und klärt die Hintergründe der Tat auf. Ich wünsche dem Opfer viel Kraft und baldige Genesung. Hamburg steht fest an der Seite unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger.“
Dennis Gladiator: "Eine widerliche Tat"
„Das ist eine widerliche Tat“, sagte Dennis Gladiotor, innenpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion am Sonntagabend. „Sollte sich herausstellen, dass es ein antisemitisches Motiv gibt, wäre das besonders abscheulich. Für Antisemitismus gibt es in Hamburg keinen Zentimeter Platz.“ Auf Senatsebene wollte man sich am Sonntagabend unter Verweis auf die ungeklärten Hintergründe der Tat noch nicht äußern.
Außenminister Maas verurteilt Attacke von Hamburg
Außenminister Heiko Maas (SPD) hat die Attacke scharf verurteilt. „In Hamburg hat ein Mann wohl einen jüdischen Studenten vor seiner Synagoge mit einer Schaufel angegriffen. Das ist kein Einzelfall, das ist widerlicher Antisemitismus und dem müssen wir uns alle entgegenstellen“, schrieb Maas am Sonntagabend auf Twitter. „Meine Gedanken sind bei dem Studenten, ich wünsche gute Genesung.“
Linksfraktion in der Bürgerschaft: "Eine Schande!"
Insa Tietjen, religionspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft erklärt hierzu: „Der Angriff auf einen jüdischen Studenten führt uns wieder vor Augen, warum jüdische Einrichtungen im Jahr 2020 immer noch besonders geschützt werden müssen. Es ist eine Schande! Meine Solidarität gilt dem Opfer! Dieser Angriff muss minutiös aufgearbeitet werden.“
„Wir verurteilen den abscheulichen Angriff auf einen jüdischen Mitbürger vor der Hamburger Synagoge. Unser Mitgefühl und unsere Solidarität gelten dem Opfer und der jüdischen Gemeinde. Der Gedanke, dass diese schreckliche Tat antisemitisch motiviert und bewusst zum Sukkot-Fest ausgeübt wurde, ist unerträglich. Angesichts mehrerer Anschläge und Angriffe in den letzten Monaten ist es notwendiger denn je, Antisemitismus und Rechtsextremismus mit allen Mitteln zu bekämpfen", kommentiert Deniz Celik, Sprecher für Antifaschismus der Linksfraktion, die Tat.
Erinnerungen an Anschlag auf Synagoge in Halle
Sollte sich ein antisemitischer Hintergrund bestätigen, würde das dunkle Erinnerungen an den Anschlag auf das jüdische Gotteshaus in Halle an der Saale vor fast einem Jahr wecken. Am 9. Oktober 2019 hatte der schwer bewaffnete Rechtsextremist Stephan Balliet versucht, die Synagoge in Halle zu stürmen und ein Massaker unter 52 Besuchern anzurichten. Die begingen dort zu dem Zeitpunkt den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur.
Als ihm dies nicht gelang, erschoss er eine Passantin und in einem Imbiss einen 20 Jahre alten Gast. Auf seiner Flucht verletzte der Deutsche mehrere Menschen teils sehr schwer. Gegen ihn läuft am Oberlandesgericht Naumburg der Prozess.
An diesem Sonntag haben die Juden Sukkot gefeiert, das Laubhüttenfest, das im jüdischen Kalender unmittelbar auf den Feiertag Jom Kippur folgt.