Hamburg. Johanniter-Rettungsstaffel hilft der Polizei Tag und Nacht, Menschen zu suchen. Wegen Corona haben die Tiere mehr zu tun als sonst.
Immer der Nase nach. Die hält English-Springer-Spaniel-Dame Polly dicht am Boden und erschnüffelt sich so ihren Weg. Fokussiert und zügig läuft sie durch die HafenCity – über die Magellanterrassen, die Treppen hinunter. Nichts kann sie jetzt ablenken, auch nicht das Knatschen des Pontons.
Hundeführerin Ines Maaß hält ihre Polly an der langen Schleppleine und muss mit den schnellen Schritten des Hundes mithalten. Unten auf dem Ponton dann großes Hallo: Polly hat Hundeführerin Yvonne Binding gefunden und bekommt zur Belohnung eine für Hunde unwiderstehliche Frischkäse-Leberwurst-Mischung. Was drollig aussieht, hat einen ernsten Hintergrund: Hamburgs Rettungshunde folgen der Spur vermisster Menschen und helfen der Polizei Hamburg, diese zu finden. Coronabedingt haben die Tiere und Menschen der Rettungshundestaffel der Johanniter mehr zu tun als sonst.
Existenzängste aufgrund von Corona
„In den Monaten Mai bis August waren bis jetzt am meisten Einsätze“, sagt Maria Bönisch von den Johannitern. Im August waren es elf Einsätze, allein sechs in der Woche vom 2. bis 9. August. „Im Frühjahr während des Lockdowns gab es einen Einsatz, bei dem eine suizidgefährdete Person zu suchen war. Diese Person hatte aufgrund von Corona Existenzängste, alles geregelt und einen Abschiedsbrief verfasst“, sagt Maria Bönisch. „Die Person wurde nicht gefunden und hat sich anscheinend umgebracht.“
Es sind Menschen, die mit Selbstmordabsichten von zu Hause abhauen, Demenzkranke, alte Menschen, die sich verlaufen oder Kinder, die vermisst werden. Jogger, Mountainbiker oder Reiter, die verunglücken und gesucht werden.
63 Einsätze mit Mantrailern in diesem Jahr
Diese Leute versuchen die Menschen und Hundeteams aufzuspüren. Bislang hatte die Rettungshundestaffel in diesem Jahr 63 Einsätze mit Mantrailern. Bei vier Einsätzen waren zusätzlich Flächensuchhunde dabei. Im August war Ines Maaß mit ihren Hunden Elmo oder Polly fast jede Nacht im Einsatz – ehrenamtlich neben ihrem Beruf als Chefsekretärin im Krankenhaus.
Um die Zusammenarbeit zwischen den Hilfsorganisationen und der Polizei Hamburg zu verbessern, wurde von Vertretern des Arbeiter-Samariter-Bundes Hamburg, des Bundesverbandes Rettungshunde, des Deutschen Roten Kreuzes, der Johanniter-Unfall Hilfe und der Polizei Hamburg gerade eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Darin wird die Koordinierung von Einsätzen geregelt. So erreicht die Polizei Hamburg in Zukunft über eine zentrale Rufnummer die Staffeln.
Idealismus und Leidenschaft
Es gehört viel Idealismus und Leidenschaft dazu, mitten in der Nacht aufzustehen, weil irgendwo in Hamburg ein Mensch gesucht wird. Ines Maaß und ihre Kolleginnen Christina Kunkel und Yvonne Binding machen das. Sie wollen helfen, und sie lieben die Arbeit mit ihren Tieren. Ihre Hunde sind Mantrailer (man = Mensch; trailing = eine Spur verfolgen). Zu Beginn der Suche, des Trails, bekommt der Hund eine Geruchsprobe der vermissten Person.
Beim Mantrailing nimmt der Hund den Geruch auf und folgt der Geruchsspur, genauer den Abbauprodukten. Denn menschliche Gerüche setzen sich aus Abbauprodukten wie Hormonen oder Schweiß zusammen. Hunde können Gerüche auch Stunden und Tage später noch ausmachen und verfolgen.
„Bei den Einsätzen dringen wir tief in das Leben der Menschen ein“, erzählt Christina Kunkel. „Das ist manchmal sehr beklemmend.“ Dann wird mitten in der Nacht zum Beispiel das Kopfkissen einer vermissten alten Frau für eine Geruchsprobe genommen, im Beisein der Angehörigen. Oder eine Haarbürste oder Kleidung. Bei einer vermissten Seniorin aus Geesthacht zog der Hund direkt runter zur Elbe. Die Leiche wurde dann am nächsten Tag gefunden. „Man weiß vor einem Einsatz nie, was einen genau erwartet“, so Ines Maaß.
Fünfjähriger kam vom Spielen nicht mehr nach Hause
„In der Stadt ist es schwierig, oft endet der Trail an einer Bahn- oder Bushaltestelle. Aber das ist ein Erfolg, dann übergeben wir der Polizei die letzte Spur der vermissten Person“, sagt Ines Maaß. Wie gut der Hund die Spur erschnüffelt, ist auch wetterabhängig. Bei großer Hitze ist es fast unmöglich genau wie bei strömendem Regen. Leichter Regen dagegen ist gut, da haftet der Geruch am Boden. Während Hunde beim Mantrailing an der Leine bleiben und in der Stadt suchen, gehen Flächensuchhunde raus ins Gelände und sind ohne Leine unterwegs.
Ines Maaß ist seit 14 Jahren dabei. Zuerst mit ihrem Labrador, jetzt mit Setter-Cockerspaniel-Mix Elmo sowie Polly, die noch in der Ausbildung ist. Drei bis vier Jahre dauert diese Ausbildung. Bis zu dreimal die Woche trainieren Ines Maaß und die anderen für jeweils vier bis fünf Stunden. Das ehrenamtliche Engagement bei der Rettungshundestaffel ist mehr als ein Hobby. Es ist ein wichtiger Teil ihres Lebens. „Als mein damaliger Hund ein halbes Jahr alt war, wollte ich etwas Sinnvolles mit ihm machen. So kam ich zur Rettungshundestaffel“, sagt Ines Maaß. Die Nasenarbeit ist auch für die Hunde eine sinnvolle, artgerechte Beschäftigung.
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Jeder Einsatz ist anders. Die Suche nach vermissten Kindern gehen ihr besonders nah. „Dafür stehe ich nachts aber auch sofort auf“, sagt Ines Maaß. Wie damals, als ein Fünfjähriger in der Fischbeker Heide vom Spielen nicht nach Hause kam und verschwunden war. „Ich habe meinen Hund angesetzt, und der lief um das Haus der Eltern, immer wieder.“ Zuvor hatten Flächensuchhunde nichts gefunden. Im Keller war die Brandschutztür geschlossen und das Kind dahinter. „Die Tür hatte sich beim Versteckspiel geschlossen und konnte nicht geöffnet werden“, sagt Maaß. „Der Junge war dann eingeschlafen.“ Wieder hatte Elmo das richtige Gespür. „Die Hunde können das richtig gut. Wenn, dann machen wir Menschen Fehler.“