Hamburg. Nach dem Angriff auf einen Kippa-Träger in Hamburg haben Anwohner und Angehörige der Jüdischen Gemeinde drängende Fragen.

Der Schock sitzt tief am Tag danach bei den Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde und bei den Menschen in Eimsbüttel. Am Tag nachdem ein jüdischer Student vor der Synagoge an der Hohen Weide angegriffen und lebensgefährlich verletzt wurde – weil er eine Kippa trug. Polizei und Staatsanwaltschaft gehen von einem Mordversuch und antisemitischem Hintergrund aus.

Trotz des Anschlags findet am Morgen wieder ein Gottesdienst statt. Und auch die Feierlichkeiten zum Laubhüttenfest Sukkot gehen trotz allem weiter. Die Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Hamburg und Landesrabbiner Shlomo Bistritzky sind vor Ort an diesem regnerischen Vormittag und machen klar: „Wir sind Bürger dieser Stadt und lassen uns nicht einschüchtern“, sagt Eli Fel, Zweiter Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde. „Auch in Hamburg findet eine Verrohung statt, das wird deutlich nach den Angriffen auf den Landesrabbiner im vergangenen Jahr. Der Angriff von gestern ist eine weitere Steigerung.“

Landesrabbiner Shlomo Bistritzky zum Anschlag in Hamburg
Landesrabbiner Shlomo Bistritzky zum Anschlag in Hamburg

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    Attacke vor der Synagoge: Student auf dem Wege der Besserung

    Dem Studenten, der bei dem Attentat schwer verletzt wurde, gehe es besser, weiß Philipp Stricharz, Erster Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde. Der 26-Jahre alte Student sei ernsthaft verletzt und werde im Krankenhaus in der Nähe behandelt. Noch am Sonntagabend war Stricharz vor Ort und besuchte den jungen Mann. „Er wird intensiv beobachtet, ist aber auf dem Weg der Besserung.“

    Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) kommt ebenfalls am Tag danach zur Synagoge, um mit den jüdischen Vertretern zu sprechen. „Ich bin zutiefst beschämt darüber, dass ein jüdischer Student attackiert wurde. Wir möchten, dass alle Menschen jüdischen Glaubens frei und sicher in unserer Stadt leben können. Antisemitismus ist ein Gift, das die Gesellschaft zerfressen kann, und Antisemitismus ist kein Einzelfall. Wir müssen uns noch mehr mit dem Hass, der im Netz millionenfach verbreitet wird, auseinandersetzen und dürfen das nicht abtun als die Tat von Einzelnen, die gern als geistig Verwirrte beschrieben werden. Das ist ein gravierendes gesellschaftliches Thema, das wir haben.“

    Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) vor der Synagoge im Gespräch mit Philipp Stricharz, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Hamburg (v. l.), Landesrabbiner Shlomo Bistritzky und Eli Fel, Zweiter Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde
    Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) vor der Synagoge im Gespräch mit Philipp Stricharz, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Hamburg (v. l.), Landesrabbiner Shlomo Bistritzky und Eli Fel, Zweiter Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde © dpa | Jonas Walzberg

    Fassungslos und schockiert – Anteilnahme in Eimsbüttel

    Trotz der intensiven Schutzmaßnahmen vor der Synagoge hatte es der Täter geschafft, den Studenten anzugreifen. „Das darf nicht sein“, so Philipp Stricharz. „Unsere Besucher müssen zu 100 Prozent sicher sein, unverletzt und unbehelligt unsere Einrichtungen besuchen und wieder verlassen zu können. Wir sind fassungslos und schockiert. Leider passieren solche Anschläge auch in Hamburg, mitten in einem Wohngebiet.“ Die Planungen zu einem Antisemitismus-Beauftragten müssten nun in den Fokus rücken. „Es muss zu Entscheidungen kommen, und es muss jemand sein, der die Schlagkraft hat, solche Täter, die fern von Bildung und Ansprache sind, zu erreichen.“

    Auch Maria Arps ist an diesem Nachmittag zur Synagoge gegangen, hört den Reden der Offiziellen zu. Wie viele andere möchte sie ihre Anteilnahme zeigen. Sie ist fassungslos und so ergriffen, dass ihr Tränen über die Wangen rollen, als sie sagt: „Ich bin entsetzt und erschüttert, dass so etwas in Deutschland möglich ist.“ Die alte Dame wohnt seit mehr als 40 Jahren in der Nähe und hätte niemals gedacht, dass hier so etwas passieren kann. „Wer sind die Nächsten? Diese Entwicklung beängstigt mich“, sagt die 75-Jährige.

    Angriff auf Juden vor Hamburger Synagoge
    Angriff auf Juden vor Hamburger Synagoge

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      Schutz der jüdischen Einrichtung dringend notwendig

      Dass Polizisten mit Maschinenpistolen bewaffnet vor der Synagoge patrouillieren, ist ein bekanntes Bild. Auf manche Passanten mag das Auftreten der Polizei inmitten eines Wohngebietes in der Nähe zu den Sportanlagen des Eimsbütteler Turnverbands martialisch wirken. Doch spätestens seit Sonntag ist klar, wie notwendig dieser Schutz der jüdischen Einrichtung ist.

      Maria Arps kann allerdings nicht verstehen, wie es trotz der Polizeipräsenz so weit kommen, wie es der Mann bis an den Eingang zur Synagoge schaffen konnte. „Der Täter war im Tarnanzug unterwegs, das hätte den Polizisten doch gleich auffallen müssen.“ Am Tag danach fragen sich das hier viele Anwohner. Doch am Montag geht es weniger um Vorwürfe, denn Trauer und Entsetzen überwiegen. Menschen haben Blumen, Kerzen und Briefe vor der Synagoge niedergelegt. „Liebe jüdische Gemeinde, Eimsbüttel ist bunt und soll bunt bleiben. Ihr seid Teil von uns, und dieses Viertel ist Euer Zuhause. Wir sind an Eurer Seite“, steht dort zum Beispiel.

      Der Anschlag wird die Wahrnehmung der Menschen im Viertel verändern. Sina Treskow vom Kiosk gegenüber der Synagoge wohnt seit ihrer Kindheit in der Nähe und sagt: „Wir werden noch stärker hingucken und unsere Augen offen halten müssen und können uns nicht allein auf die Polizei verlassen.“