Hamburg. Die 28-jährige Syrerin kümmert sich um andere Flüchtlingsfrauen in Hamburg – und hat einen besonderen Preis gewonnen.
Als Bjeen Alhassan 2014 mit ihrer Familie aus dem Nordosten Syriens vor dem Krieg nach Deutschland floh, war es unmöglich vorstellbar, dass sie sechs Jahre später im kleinen Kreis von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) empfangen würde. Heute war es so weit: Die 28-Jährige ist von ihrem aktuellen Wohnsitz in Barmbek-Süd in die Hauptstadt geriest.
Als eine von zehn Personen und Organisationen war Frau Alhassan für den Nationalen Integrationspreis nominiert. Schon vor der Bekanntgabe der Gewinnerin wurden der Hamburgerin gute Chancen eingeräumt: Und tatsächlich hat Bjeen Alhassan gewonnen.
Bedeutender noch als eine Urkunde und 10.000 Euro Preisgeld sind die Ehre und Motivation für ihr Projekt „Lernen mit Bijin“. Unter diesem Motto erreicht die Wahlhamburgerin via Facebook regelmäßig mehr als 200 Frauen mit arabischer und kurdischer Muttersprache, die jetzt in Deutschland leben. Bei diesen jederzeit abrufbaren Videos geht es um die Feinheiten der deutschen Sprache, aber auch um alltägliche Fragen wie Ausbildung, Studium, Behördengänge. Bjeen Alhassan hat in sechs Jahren eine Menge gelernt. Ihre Initiative startete sie im Alleingang.
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Integrationspreis: Bjeen Alhassan hat Ja gesagt zu ihrer neuen Heimat
„Ich möchte Mut machen und Brücken bauen“, sagt sie beim Gespräch in einem Café am Altonaer Bahnhof. Sie sagt es in perfektem Deutsch. Zur Begrüßung gibt’s statt Handschlag eine kleine Dose mit Datteln sowie ein auf Anhieb offenes Visier. Dieses offenherzige, taffe Naturell gibt einen Hinweis, mit welcher Lebensfreude und Energie sich die Syrerin in ihr neues Leben katapultiert hat. Dass neben Ehrgeiz und positivem Geist auch die Größe dazugehört, gelegentlichen Anfeindungen und Tücken zu trotzen, ergibt sich während der Unterhaltung. Bjeen Alhassan hat Ja gesagt zu ihrer neuen Heimat. Mehr als zwei spannende Stunden vergehen wie im Fluge.
Ihre Herkunftsregion im Norden und Osten Syriens, die in kurdischer Sprache Rojava heißt und mehr als vier Millionen Einwohner umfasst, liegt zwischen den Fronten. 2014 folgte Bjeen Alhassan mit Eltern und Geschwistern ihrem zehn Jahre älteren Bruder nach Ostfriesland. Dieser arbeitet in Aurich erfolgreich als Autohändler. Mittlerweile haben die sieben Kinder in Deutschland ihren Weg gemacht, sind allesamt gut ausgebildet, haben feste Jobs und teilweise eigene Familien. Die Mutter war Lehrerin, der Vater Beamter. Eine Schwester ist Architektin, eine Zahnärztin.
Qualifikation zum Master im vergangenen Jahr in Emden
Bjeen Alhassan, die erstklassig Kurdisch, Arabisch, Englisch, Deutsch sowie ein bisschen Französisch spricht, schaffte ihren Bachelor-Abschluss an der Universität Damaskus, Fachbereich Wirtschaft mit Schwerpunkten Personal und Marketing. Die Qualifikation zum Master folgte im März vergangenen Jahres in Emden. „Gutes Deutsch ist ein Schlüssel, um sich auf neuem Boden sicher und wohlzufühlen“, erkannte sie. Und handelte. Sie nahm an einem Intensiv-Integrationskursus der Volkshochschule teil, 20 Stunden pro Woche, übte nebenbei via Internet. Sie lernte ein paar Sätze auswendig, rief bei einer Werbeagentur in Aurich an – und erhielt dort ein halbjähriges Praktikum.
Mit einer Menge Erfahrung reicher zog sie vor einem Jahr nach Barmbek. Im Januar 2020 bekam die plietsche Zuwanderin eine Festanstellung bei der Koordinierungsstelle Weiterbildung und Beschäftigung (KWB) für Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte. Aufgabe: Fachkräftevermittlung. Diese Organisation mit 40 Mitstreitern wird von der EU, der Bundesrepublik sowie der Hansestadt gefördert. Vorgeschlagen für den Nationalen Integrationspreis wurde Bjeen Alhassan von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und dem Bundesverband der Deutschen Industrie. Unter 43 Anwärtern wählte eine unabhängige Jury die Hamburgerin in die Riege der letzten zehn.
Im hohen Tempo ging’s voran. Kurzen Telefonaten mit Mitarbeitern des Bundeskanzleramts folgte am 25. September die offizielle Einladung – zeitgemäß per Mail. In einer Zeremonie am Montagnachmittag hat Angela Merkel die Preisträger gewürdigt. Bjeen Alhassan ist mit dem Zug nach Berlin gefahren. Es war ein weiter, mühseliger Weg bis zu diesem Erfolgserlebnis.
Sie ist Brückenbauerin und hilft bei der Integration
Unter dem Strich hat sich die Neuhamburgerin den Preis selbst erarbeitet. Ihren Erfahrungsschatz gibt sie jetzt an andere Frauen aus ihrem früheren Kulturkreis weiter – so, wie sie es vorgemacht hat. „Lernen mit Bijin“ ist Programm: als Hilfe bei der Integration auf noch fremdem Terrain. Sie versteht sich als Brückenbauerin zwischen diesen Flüchtlingsfrauen und der neuen Heimat. „Sie werden selbstbewusster und trauen sich, allein rauszugehen“, sagt Bjeen Alhassan. Diese Selbstständigkeit helfe, „sich hier in Deutschland gut zurechtzufinden“. Davon profitieren letztlich alle. Übrigens: Der Vorname Bjeen oder Bijin bezieht sich auf unterschiedliche Schreibweisen. Der erste auf Deutsch/Englisch, der zweite in kurdischer Sprache.
Seit dem Start ihres ehrenamtlichen Projekts erlebt sie ein konstant wachsendes Echo. Investition: privater Laptop, Handy und im Schnitt zwei Stunden Freizeit täglich. Neben zwei bis drei rund fünfminütigen Videospots mit Deutschtipps pro Woche auf Facebook ergeben sich persönliche Fragen zuhauf. Auf was ist bei Behördenbesuchen zu achten? Wo und wie können ausländische Abschlüsse hierzulande anerkannt werden? Wie verhält man sich, um im Gastland nicht anzuecken? Auf ihrem Mobiltelefon zeigt Bjeen Alhassan beispielhafte Mailkontakte. Zwischen den Zeilen sind Sachverstand, Herzblut und Gefühl für die neue Heimat zu lesen. So viel Hilfsbereitschaft und Inspiration beeindruckten nicht nur die Jury.